Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Betschwestern im Herz-Jesu-Bibberlverein

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Der Herz-Jesu-Kult erreicht im Juni seinen Höhepunkt. Doch manche wagen es, Frömmigkeitsausbrüche bei Angehörigen mit einer Prise Ironie zu garnieren.

Kolumne von Hans Kratzer

Herz-Jesu-Bibberlverein

Der Monat Juni steht bei Gläubigen als Herz-Jesu-Monat in Ehren. Am dritten Freitag nach Pfingsten feiern Katholiken außerdem das Herz-Jesu-Fest. Trotzdem: Der Herz-Jesu-Kult wirkt heute wie aus der Zeit gefallen, allein schon wegen der Assoziationen, die süßliche Andachtsbilder mit dem von Dornen umrankten Herz und den leuchtenden Flammen erwecken. Früher war die Herz-Jesu-Verehrung weit verbreitet, was auch in der Sprache Spuren hinterließ. Eine aus Oberbayern stammende Leserin schrieb uns, in ihrer Familie sei der Begriff Herz-Jesu-Bibberlverein üblich gewesen. Das kommt daher, dass man Frömmigkeitsausbrüche mancher Familienmitglieder mit einer Prise Ironie begleitet hat. In diesem Fall war eine sehr religiöse, fast bigotte Tante Mitglied in diversen katholischen Kleingruppen, die als Herz-Jesu-Bibberlvereine galten, wie die Leserin mitteilte. Denn die Betschwestern standen im Verdacht, sich nicht nur zum Beten zu treffen, sondern auch, um mit Wonne Leute auszurichten. Das Wort Herz-Jesu provozierte stets auch eine Überzeichnung. Das belegt der Herz-Jesu-Sozialist, ein einst von Sozis und Gewerkschaftern gerne verwendeter Spottname für Anhänger der katholischen Soziallehre. Sie wollten damit vor allem die mit ihnen konkurrierenden christdemokratischen Arbeitnehmervertreter als sentimental abqualifizieren. Außer Norbert Blüm wurde auch der jetzige Innenminister Horst Seehofer häufig als Herz-Jesu-Sozialist tituliert.

rinnaugert

Als neulich ein Bekannter auf einen kurzen Sprung vorbeischaute, begannen plötzlich seine Augen zu triefen. Sie wurden einfach feucht, obwohl dem guten Mann keineswegs nach Weinen zumute war. "Ich war gestern schon rinnaugert", sagte er. Er drückte sein Malheur mit einem bildhaften Dialektwort aus, wie es typisch für das Bairische ist. In der Standardsprache würde das Pendant triefäugig lauten, das aber irgendwie nicht ganz so originell klingt wie rinnaugert. Das Bairische kennt in Verbindung mit dem Wortstamm -augert noch etliche Erweiterungen, die zum Schmunzeln reizen. Da heißt es zum Beispiel: "Er schaut mich großaugert an." Wer einen etwas schiefen Blick hat, der ist schelchaugert. Und vieraugert wird jemand genannt, der eine Brille trägt. "Das Mädel ist ja vieraugert."

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SZ vom 29.05.2021
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