Kratzers Wortschatz:Brennende Butzkiah!

Dachsnudeln, Moggl, Bätzla, Butzkiah: Die Zapfen der Fichten haben die unterschiedlichsten Namen.

Kolumne von Hans Kratzer

1 / 26

Butzkühe

Sektion Picea Serie Glaucae: Weiß-Fichte (Picea glauca) Fichtenzapfen (unter cc by sa 2.0)

Quelle: Flickr-User nicmcphee

Im Weihnachtsurlaub ist einer Kollegin daheim in der Oberpfalz das Wort Butzlkouh (Plural: Butzlkejh) aufgefallen. Im Süden heißen die Fichtenzapfen Butzkühe (Butzelkühe, Butzkiah). Scharenweise gingen die Familien einst zum Butzkühklauben in die Wälder. An der Loisach heißen sie Dachsnudeln, in Schwaben und Franken Moggl oder Bätzla. Aus dem Rottal wurde uns die Variante Bullkei gemeldet. Vielleicht geht das Wort Butzkühe auf Butz zurück (Menschlein). Im Mittelhochdeutschen steht "butze" für einen Kobold oder eine Schreckgestalt. Der Dialektologe Ludwig Zehetner bringt Butzkühe durchaus auch mit kleinen Kühen in Verbindung, weil die Zapfen früher als Kinderspielzeug dienten. Ein Leser aus der Oberpfalz stellt einen Zusammenhang mit Butzlkien her, da die Butzlkejh sehr harzreich seien. Die alten Kienspanlampen seien mit Spänen von harzreichem Holz befeuert worden.

2 / 26

bollisch

Jugendämter prüften 107 000 Gefährdungen des Kindeswohls

Quelle: dpa

Nicht selten kommt es vor, dass sich ein lebhaftes Kleinkind etwa an der Kasse eines belebten Supermarktes wegen eines unerfüllten Kaufwunsches laut plärrend am Boden wälzt. Ältere Beobachter sagen dann: "Das Kind is bollisch!" Das Adjektiv bollisch trifft das Wesen eines Tobsuchtsanfalls recht gut. In Wörterbüchern werden ihm die Synonyme störrisch und unhöflich zugeordnet, aber auch eigensinnig und trotzig. Gerne wird bollisch auf das Adjektiv polnisch zurückgeführt, im Sinne von fremdartig, seltsam. Früher wurden Phänomene, die befremdlich wirkten, häufig mit Ländernamen charakterisiert. Statt bollisch wurde auch böhmisch gebraucht (böhmische Goaß). Die Viechtacher Heimatforscherin Elisabeth Spitzenberger leitet bollisch von Bock und bockig ab. "Bolle, bolle dusch!" sagte man in ihrer Kindheit, wenn zwei Köpfe zusammenstießen, ähnlich wie beim Kampf zweier Böcke.

3 / 26

das Luserl

Ausstellung über Redensarten und Sprichwörter

Quelle: Daniel Karmann/dpa

Die aus Pocking stammende Künstlerin Margit Orlogi ist als reisende Bildhauerin weltweit unterwegs. Sie schöpft dabei visuell wie handwerklich aus ihrer Lehrzeit in Italien sowie aus ihrer Kindheit in Niederbayern. Da Frau Orlogi in einer Pockinger Metzgerei aufgewachsen ist, beherrscht sie die dortige Mundart und ihre Eigenheiten in Perfektion. Manchmal, so hat sie es einmal geschildert, sei die Tante aus Ketzding (Bad Kötzting) zu Besuch in Pocking gewesen.

Wenn diese jemanden beim Horchen an der Tür erwischt habe, sagte sie nur: "Schau hi, der lust wia d'Sau vor der Muidia" (der lauscht wie die Sau vor der Mühltüre). Sie selber, so erzählte Frau Orlogi, habe als Kind "mehr gschaut wia gschmatzt" (mehr geschaut als geredet). Deshalb gab ihr der Vater den Spitznamen "'s Luserl" (das Luserl). Diesem Wort liegt das alte Verb lusen zugrunde (hören, lauschen), das bereits im Althochdeutschen (hlosen) belegt ist und im Dialekt bis heute überlebt hat. "Lus amoi!", sagt man zu einem, der die Ohren aufsperren soll.

4 / 26

gneißen

Network of neurons and neural connections, Brain cells, scientific conceptual 3D illustration

Quelle: Oleksiy Maksymenko/dpa/All Canada Photos

Dem Chef der SZ-Bayernredaktion hat neulich in der Konferenz eine Textstelle missfallen. Er tadelte dies mit den Worten, der Urheber habe das eben nicht gegneißt. Der Fehler hatte insofern sein Gutes, als seinetwegen ein altehrwürdiges Wort wieder zu Ehren kam. Gneißen bedeutet soviel wie ahnen, in Erfahrung bringen, kapieren. Oft wird gneißen dann angewendet, wenn eine Person etwas erst nach längerer Zeit bemerkt. "Hast du des ned gneißt?", lautet die entsprechende Frage. Oder: "Du gneißt aber auch gar nichts!"

Einer, der nichts kapiert, wird auch als Blitzgneißer gewürdigt (Schnellspanner, Schnellchecker). Das ist ironisch gemeint, denn eigentlich ist ein Blitzgneißer ein aufgeweckter Bursche, der alles sehr schnell versteht. Im ironischen Sinne zielt der Blitzgneißer also auf jene, die zum Begreifen einer Selbstverständlichkeit unverhältnismäßig lange brauchen. Wenn eine Person als Blitzgneißer von der Firma Langsam geadelt wird, ist das leider keine Auszeichnung.

5 / 26

Bachl

Dialekte in Baden-Württemberg

Quelle: dpa

Kollege R. hat neulich in einer sehr lustigen Glosse im Bayernteil der SZ die Tücken des schwäbischen Dialekts und deren Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Stadtverwaltung und Bürgern erörtert. In dieser Abhandlung kam unter anderem das Wort Bachl zur Sprache, dessen Auflösung der Kollege allerdings schuldig blieb. Vielmehr gab er dem Leser als Aufgabe mit, selber herauszufinden, was der Begriff Bachl bedeute.

Um Hilfestellung zu leisten, seien hier einige Lösungsversuche angeboten, die sich im Wesentlichen auf das von Brigitte Schwarz verfasste Dialektwörterbuch von Bayerisch-Schwaben stützen. Demnach versteht man unter einem Bachl (Bachel) in Städten wie Nördlingen, Memmingen, Kempten und Oberstdorf einen einfältigen, geistig zurückgebliebenen Menschen. Im Westallgäu gilt zudem eine rundliche, kleine Person als Bachl, während in Pelzheim ein grobschlächtiger, unbeholfener Mensch so bezeichnet wird. In Entringen wiederum ist eine hausbackene, altmodische Frau ein Bachl: "Si ischt wool a weng a Bachala, aaber sooscht ganz rät!". In Obergünzburg und Altusried gilt Selbiges für ein dickes, pausbäckiges Kind: " Dös ischt a Bachele!" Schwarz stellt einen Bezug zur Figur des Bacchus her, dem griechischen Gott des Weines. Auch der wurde ja häufig als eine beleibte, plumpe Gestalt dargestellt.

6 / 26

die Schneid

-

Quelle: Alessandra Schellnegger

Ein frisches Lob gebührt der Autorin Petra Herrmann, die in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift MUH ein Porträt der Darstellerin Ilse Neubauer (im Bild) verfasst hat. Aufmerksamkeit verdient vor allem ihr Urteil, Neubauer sei eine Frau, "die sich nicht die Schneid abkaufen lässt." Dass Angehörige der schreibenden Zunft davon Abstand nehmen, "der Schneid" zu schreiben, ist selten geworden. Bei aller Sprachsensibilität, die der moderne Journalismus mahnend vor sich herträgt, geht er in diesem Fall dennoch wie eh und je dem alten preußischen Militarismus auf den Leim, nur will das fast niemand wahrhaben.

So wird regelmäßig "der Schneid" ins Spiel gebracht, wenn Tugenden wie Mut, Tatkraft und forsches Auftreten zum Ausdruck kommen sollen. Trotzdem ist der Ausgangspunkt des Begriffs immer noch die Schneide des Messers oder der blanken Waffe, es muss deshalb "die Schneid" heißen. Die maskuline Form, die sich im Standarddeutschen durchgesetzt hat, ist falsch. Doch hat sich das Standarddeutsche auch hier gegen das Südhochdeutsche durchgesetzt. Preußische Truppen hatten wohl im Krieg von 1870/71 zum ersten Mal gehört, sie sollten sich nicht die Schneid abkaufen lassen. Dass trotzdem alle der Schneid sagen, ist dem alten Bismarck zu verdanken, der eine Kriegsführung "mit vollem Schneid" gefordert hatte.

7 / 26

Seeräuber

TSV 1860 München - Wacker Burghausen

Quelle: Tobias Hase/dpa

Im Münchner Sechzgerstadion herrscht bisweilen ein rauer Umgangston. Wenn sich alte Freunde begrüßen, hört sich das so an: "Hä, oider Bazi, wo kimmstn her?" Antwort: "Des mägst jetz wissen, gell, du Säreiber (Seeräuber), du greisliger!" In diesem Biotop blüht die Schimpfwörterkultur, man muss sie aber richtig interpretieren. Je verletzender die Begriffe klingen, desto freundlicher sind sie gemeint. Die gröbste Beleidigung ist unter Sechzgerfans als Wertschätzung zu verstehen.

Früher war es Brauch, einem Mann mit struppigem Haupt- und Barthaar hinzureiben, er sehe aus wie ein Seeräuber. Der Straubinger Lehrer Hans Schlappinger stellte die Frage, wann und wie das altbayerische Binnenvolk mit Seeräubern bekannt geworden sei, da es doch nach Aventins Zeugnis "gern dahaim pleibt, nit vast auß in frembde land raist". Reiseberichte scheiden wohl aus, früher wurde wenig gelesen. Nach Schlappingers Theorie haben die Bayern wohl durch den Handel mit Venedig und Genua von den Piraten Kunde erhalten und den Begriff weitertradiert. Er lässt sich bis ins Fränkische hinein verfolgen, wo das Schimpfwort Seeräuber entlang der Handelsstraßen zu hören war. Warum viele Seeräuber die Sechzger auf Giesings Höhen heimsuchen, obwohl sie, geografisch betrachtet, die Bayern im Fröttmaninger Flachland bequemer erreichen könnten, muss noch erforscht werden.

8 / 26

aussagfressn

'Babylon Berlin'

Quelle: dpa

Das Bairische lebt von der Bildhaftigkeit, wie sie etwa in dem Begriff aussagfressn (herausgefressen) zum Ausdruck kommt. Sogar ein Leser aus Berlin hat angemahnt, die SZ solle dieses Wort würdigen. In der Bundeshauptstadt wird es freilich nicht verwendet. In Volker Kutschers Kriminalroman "Märzgefallene", der als Vorlage für die TV-Serie "Babylon Berlin" diente, kommen Typen mit verfetteten Gfriesern vor. Diese Umschreibung gilt auch für aussagfressn. In der Wirtschaftswunderzeit war es ein Statussymbol, aussagfressn zu sein: Zigarre im Mund, die Wampe nach vorne gewölbt, das Stiergnack über den Hemdkragen fließend. Der drohende Herzinfarkt wurde verdrängt. Wenn jemand etwas ausgefressen hat, muss er nicht notgedrungen aussagfressn sein.

9 / 26

sterbatskrank

Grippe

Quelle: dpa

Eine Frau hat neulich im Zug ihrer Sitznachbarin erklärt, sie habe jetzt drei Tage lang nicht in die Arbeit fahren können, sie sei sterbatskrank gewesen. Diese anrührende Einlassung entbehrt nicht der Ironie, denn im wörtlichen Sinne wäre ein Mensch, der sterbatskrank ist, bereits dem Tode geweiht. Aber es ist ja ein erfrischender Wesenszug des Bairischen, Adjektive bildlich zu verstärken, damit der Zuhörer nur ja nicht am Wahrheitsgehalt des Gesagten zu zweifeln beginnt.

Ein blasser Mensch wird deshalb als kasweiß beschrieben, ein dicker Mensch gilt als zeckerlfett, der Eidotter ist gackerlgelb, und wenn eine Sache einen günstigen Verlauf nimmt, dann ist das pfenningguat. Das Präfix sterbats- dient ebenfalls der Verstärkung der Aussage: "Mei, des is ja sterbatslangweilig!" Sterbatskrank ist quasi das Gegenteil von pumperlgsund (kerngesund). In diesem lustigen Adjektiv schwingt ein österreichisches Element mit, dort wird das pochende Herz Pumperl genannt.

10 / 26

beinander

-

Quelle: Toni Heigl

Der November bietet ideale Voraussetzungen, um sterbatskrank zu sein. Viren schwirren herum, viele Menschen fühlen sich unwohl. Ein Kollege klagte soeben: "Ohje, ich bin so schlecht beinander!" Das Grundwort lautet eigentlich beieinander, umgangssprachlich sind aber die Formen beinander und beinand gebräuchlich. Auch der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hat diese Wendung im Repertoire. Als er im Landtag noch in der Opposition verweilte, forderte er: "Repariert unsere Straßen!" Nachdem er von einer Deutschlandreise zurückgekehrt war, sagte er, es sei eine Katastrophe, wie "unsere Straßen beinander sind." Er beklagte damit den schlechten Zustand der Verkehrswege.

Das Wort wird auch beim Grüßen verwendet: "Servus beinand!" Wenn jemand einen ausgeprägten Körperbau hat, dann heißt es, der oder die sei gut beinand (gut genährt, beleibt). Gefährlich wurde es einst für Kinder, wenn die Mutter sagte: "Jetzt hast es gnau beinander!" Dann drohte eine zügige Bestrafung.

11 / 26

Bräu

Sud-Ansetzung im Salvatorkeller in München, 2017

Quelle: Stephan Rumpf

Wirtshäuser, die den Bestandteil Bräu im Namen führen, werden in Zeitungen häufig als "das Bräu" bezeichnet. "Das alteingesessene Unionsbräu", war kürzlich in einem Bericht über das Traditionswirtshaus in der SZ zu lesen. Nach allen gängigen Regeln des Bairischen ist das Neutrum in diesem Fall nicht angebracht. Demnach käme "das Bräu" nur dann zur Anwendung, wenn ein Bier aus einer bestimmten Brauerei gemeint ist: das Löwenbräu, das Paulaner, das Spatenbräu ... In allen anderen Fällen ist das Maskulinum vorzuziehen. Der Bräu ist zum einen der Brauereibesitzer oder der Gastwirt einer Bräuschenke. Auch die Brauerei hat das männliche Geschlecht (der Spatenbräu).

Wirtshäuser mit entsprechendem Namen heißen ebenfalls der Bräu: der Flötzinger Bräu in Rosenheim, der Unionsbräu in Haidhausen, der Starnbräu in Tölz. Da aber viele Medien trotzdem das Neutrum verwenden, muss es als künftiger Standard betrachtet werden. Grob gesagt, setzt sich hier eine umformatierte Bairischregel von Isarpreißn durch.

12 / 26

Zantimeter

KLEINSTER ZOLLSTOCK

Quelle: DPA/DPAWEB

Es gibt Begriffe, die eine eigene Kategorie im Zwischenreich von Dialekt und Standardsprache bilden. Ein solches Wort ist Namidog (Nachmittag). "Heid Namidog fahr ich in die Stadt zum Shoppen", sagte neulich eine vornehme Dame im Café. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort Zanimeter (Zanimedda, Zentimeter). Zurzeit sorgen die Polder entlang der Donau für politischen Streit. Sie sollen die Dämme entlasten. "Da spielen ein paar Zanimeter eine Rolle", sagte ein Kollege.

Vor allem Handwerker verwenden dieses Wort. "An Zanimedda hi oder her", sagen die Zimmerer, und bei mehr als einem Zanimedda, "da fehlts glei um die Neihauser Strass". Gemeint ist die Neuhauser Straße, die heute als Münchner Fußgängerzone dient. Kürzlich war die stets auf modische Originalität achtende Kulturmanagerin Birgitt Binder zu Gast im Sender BR-Heimat. Der Moderator Rudi Küffner staunte so sehr über ihre Ohrhänger, dass er sie den Radiohörern plastisch beschrieb: "Die san in pink und ham guade vier Zanimeter Durchmesser!"

13 / 26

Ab nach Kassel

Kasseler Wasserspiele

Quelle: Uwe Zucchi/dpa

Obwohl die Stadt Kassel in Hessen liegt, ist die Redensart "Ab nach Kassel" auch in Bayern zu hören. Früher sagten Mütter, die ihre Zeit schindenden Kinder ins Bett staubten: "Jetzt aber ab nach Kassel!" Oft heißt es, dieses geflügelte Wort erinnere an jene Rekrutenschar, die Friedrich II. von Hessen-Kassel 1776 dem englischen König verkauft hatte, der sie dann im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg opferte.

Die erste Station dieser armen Soldaten sei eine Kasseler Kaserne gewesen. Wie die Stadt Kassel allerdings mitteilt, ist diese Geschichte nicht bezeugt. Die Sammelstellen für die Rekruten hätten sich nicht in Kassel befunden, sondern in nordhessischen Garnisonen. Gesichert ist dagegen, dass die Aachener 1870 nach der Schlacht bei Sedan dem in Gefangenschaft nach Kassel-Wilhelmshöhe reisenden Kaiser Napoleon III. auf dem Bahnhof spöttisch zuriefen: "Ab nach Kassel!" Ein zeitgenössisches Flugblatt zeigt den Franzosen zwischen Moltke und Bismarck, der mit dem Arm nach Osten zeigt. Unter der Abbildung steht: Ab nach Kassel! Seit dieser Zeit findet sich der Ausruf in den Medien, was aber eine frühere Verwendung nicht ausschließt. Belegt ist er aber vor dem Jahr 1870 nicht.

Auch die einst von Kassel nach München berufene ehemalige Stadtbaurätin Christine Thalgott musste sich den Spruch an ihrer neuen Wirkungsstätte öfter anhören. Die Stadt Kassel verwendete ihn eine Zeitlang als Werbeslogan. In Bayern ist er eher als liebevolle Drohung zu verstehen.

14 / 26

auf d'Letzt

-

Quelle: Marco Einfeldt

Im November ist der Tod im Alltag stärker präsent als in den übrigen Monaten. Umso deutlicher treten auch die Begriffe hervor, die das Themenfeld Tod und Friedhof begleiten. Auf d'Letzt ist so ein Ausdruck. "Jetzt geht's auf d'Letzt zua!" heißt: Das Leben neigt sich dem Ende zu. Die mittlerweile gestorbene Rottaler Bäuerin Emma Loibl, die im Mittelpunkt einer Langzeit-Dokumentation des Bayerischen Fernsehens stand, sagte in einem Beitrag: "I sitz mi doch ned hi und wart, bis da Tod kimmt, den spar i mir auf d'Letzt!"

15 / 26

Arme Seelen

Bäckerei

Quelle: HEDDERGOTT

Eine Welt, die mehr und mehr aus den Fugen gerät, pfeift auf überkommene Deutungsmuster des irdischen Geschehens. Das betrifft auch die Phänomene des Kirchenjahres, die mittlerweile selbst in einem urkatholischen Land wie Bayern weit in den Hintergrund gerückt sind. Der Festtag Allerseelen (2. November) ist heute einem Großteil der Jugendlichen unbekannt.

An den Feiertagen Allerheiligen und Allerseelen gedenkt man der Armen Seelen, welche nach altem Kirchenglauben im Fegefeuer ihrer Erlösung harren. Einst glaubte man, die Seelen der Verstorbenen kehrten am Allerseelentag oder in der darauffolgenden Seelwoche auch körperlich dorthin zurück, wo sie einst zu Hause waren. Damit sie sich stärken konnten, reichte man ihnen Seelenzöpfe und Seelenwecken. Dieses Gebäck wurde aus dunklem Roggenmehl hergestellt und hatte oft die Form eines Zopfes, da die Seele nach alter Vorstellung ihren Sitz in den Haaren hatte. In der Rosenheimer Gegend wurden bis in die Gegenwart herein in der Nacht zu Allerseelen sogenannte Seelennudeln vor die Haustür gelegt. In manchen Gegenden stellte man am Grab einen Laib Brot ab oder man hängte eine Seelenbreze ans Grabkreuz. Die Armen und Bedürftigen durften sich diese Speisen später abholen. Heute erhalten Kinder von ihren Tauf- oder Firmpaten hie und da noch einen Seelenwecken. Nun ist das aber eine Süßspeise in Form einer speziell geformten Torte. Ein Brauch zum Wohle des Menschen, der noch lange fortdauern möge.

16 / 26

ruaschad

Verkaufsoffener Sonntag in München im Jahr 2015 zum Stadtgründungsfest

Quelle: Lukas Barth

Eine fürsorgliche Kollegin hat neulich einen etwas hektisch agierenden Redakteur ermahnt, er solle doch nicht so ruaschad sein. Sie bekräftigte also ihre Mahnung mit dem Begriff ruaschad (ruschig), dessen Herkunft einem auf Anhieb rätselhaft vorkommt. Das Verb ruaschen beschreibt zunächst einmal ein übereifriges Handeln. Ein Synonym ist hudeln. Ein ruaschada Bub macht eine Unordnung, etwa auf der Suche nach Süßigkeiten im Vorratsraum. "Wo ruaschst denn schon wieder?", lautet die passende Frage dazu. In Ilmbergers Lexikon ist nachzulesen, dass das Wort Ruaschn auch eine Baumart bezeichnet (Rüster, Ulme). A ruaschads Holz ist demnach ein Rüsternholz. Eine Ruaschn kann laut Ilmberger aber auch eine schlampig und schludrig arbeitende Frau sein (Plural: Ruaschna). Ludwig Merkle schreibt in seiner Fibel, eine Ruaschn benehme sich übereilig, unbesonnen, schusselig. Das passt gut zusammen mit der mittelhochdeutschen Vorform ruschen. Diese bedeutete: ein Geräusch erzeugen (rauschen), aber auch: sich eilig bewegen, sausen, stürmen. Damit lässt sich bequem an das englische rush anknüpfen und an die rush hour, die Zeit des dichtesten Verkehrs.

17 / 26

lack

To match Reuters Life! BRITAIN-PUBS/

Quelle: Luke MacGregor/Reuters

In der vom Bayerischen Fernsehen ausgestrahlten Sendung "Vereinsheim Schwabing" übersetzt der Schankkellner Björn Puscha regelmäßig einen deutschen Satz ins Lateinische. Vor Kurzem kam folgende Sentenz zur Sprache: "Frauen und Suppen soll man nie warten lassen, sonst werden sie kalt!" Constanze Lindner, die Moderatorin, sagte einleitend, der Satz sei von Shakespeare, worauf Puscha entgegnete: "Wir sollten William Shakespeare auch auf Lateinisch übersetzen - Wilhelminus." Dann zapfte er ein Bier, schüttelte es (shakes beer) und sagte: "Und wer sich scho immer moi gefragt hat, warum des englische Bier so lack schmeckt, der woaß, dass William Shakespeare dafür verantwortlich ist."

Das Adjektiv lack (hell gesprochenes a) ist also noch gebrauchsfähig. Wenn ein Bier lack schmeckt, dann ist es abgestanden und fad. Es wurde zu fest geschüttelt, stand zu lange herum oder war zu wenig gekühlt. Laut der alten Sprachfibel von Ilmberger nannte man einst das oft zu dunkel geratene Bier der Landbrauereien einen Schäsnlack. Dies bezog sich auf den schwarzen Lack, der für das Kutschendach (Chaisendach) verwendet wurde. Der Liedermacher Kurt Schwarzbauer textete folgende Zeile: "I brauch a Sonne und an frischen Wind hint nei ins Gnack, sonst wird ma's Bluad schee langsam lack."

18 / 26

verschäwern

-

Quelle: Alessandra Schellnegger

Bei der jüngsten Besprechung des Verbs schäwern haben einige Leser den Hinweis auf das hochdeutsche Kernwort scheppern vermisst. Es bedeutet klappern, klirren, krachen. Edith Seth hat uns daran erinnert, dass Mütter ihren Kindern, wenn sie nicht gehorchten, früher androhten: "Wart nur, bis der Papa heimkommt, dann schäwerts!" (dann kracht es, dann folgt die Strafe). Anton Preis verweist auf die in Ostbayern gebräuchliche Erweiterung "verschäwern", die zur Anwendung kommt, wenn etwas (zu) billig verkauft wird: "Da Nachbar hot sei letzte Kouh aa no verschäwert." Ein rasselndes Kinderspielzeug wird gerne Schäwerl genannt. Eine oide Schäwern ist dagegen ein Schimpfwort, das vorwiegend an Frauen gerichtet wurde.

19 / 26

Weiberts

Kind in Tracht

Quelle: Johannes Simon

Das Straubinger Gäubodenvolksfest ist ein Publikumsmagnet, weshalb in den vollen Bierzelten und im Gedränge vor den Fahrgeschäften gelegentlich der Stress ausbricht. Das Schöne daran ist: Er wird oft in wunderbare Sätze gekleidet. So sagte etwa eine genervte junge Mama zu ihrem Buben, der vor dem Riesenrad im Kinderwagerl quengelte: "Du bist schlimmer wia a Weiberts!" Welch eine wuchtige Rhetorik in Zeiten von Gender- und MeToo-Debatten.

Um jeglichem Shitstorm vorzubeugen: Dieser Satz aus dem Munde einer Frau wird hier nur dokumentiert wegen des Wortes Weiberts, einer alten Sonderform von Weib. Es gibt die zärtlichen Varianten Weiberl und Weibi, wogegen Weiberts eher abfällig intoniert wird, ähnlich wie Weibsperson oder Weibsbild. Ein Weiberheld gilt im Übrigen als Weiberer.

20 / 26

Wepsen

Wespen in der Sommerhitze

Quelle: dpa

Die Hitze, das reife Obst an den Bäumen, all die Eisbecher in den Straßencafés - zurzeit herrschen ideale Lebensbedingungen für Genießer, aber auch für Wespen. Kein Wunder, dass sich der Mensch, der in Ruhe seine süßen Schmankerl genießen will, von den hektisch herumfliegenden Tieren drangsaliert fühlt und über eine Wespenplage klagt. Das Wort Wespen gebrauchen in Südbayern vor allem die Medien und die Hochsprachler, im südlich gefärbten Hochdeutsch heißt die Wespe dagegen Weps. Wegen dieser Konsonantenverschiebung sagen Eingeborene also nicht: "Eine Wespe hat mich gestochen", sondern: "A Weps hod mi gstocha." Bemerkenswert ist überdies, dass die Wespe weiblich, der Weps aber männlich ist.

Vielleicht herrscht deshalb die Neigung vor, fälschlicherweise fast jedes surrende und stechende Vieh als Weps oder Wepsendeifi zu deklarieren. Viele können Wepsen nicht mehr von Bienen unterscheiden, die im Bairischen wiederum Impn heißen. Das Wort Weps ist sehr alt, das Althochdeutsche kennt bereits die Vorläuferform wefs. Mit dem Weps verwandt sind das Verb wepsen und die Adjektive wepsert und wepsig. Von einem Kind, das sich nicht stillhalten kann, sagt man, es wepse herum oder es sei wepsert.

21 / 26

schäwern

Fußballtrainer Michael Köllner

Quelle: Patrick Seeger/dpa

Im Profifußball und in seinem medialen Umfeld wird eine Sprache gepflegt, die sich durch rhetorische Blässe und Eintönigkeit auszeichnet. Zwei bayerische Bundesligatrainer leisten sich immerhin eine Sprachfärbung. Der aus der Oberpfalz stammende Michael Köllner (1. FC Nürnberg/im Bild) und der gebürtige Niederbayer Manuel Baum (FC Augsburg) verleugnen, wenn sie reden, erfreulicherweise ihre Herkunft nicht. Baum hat zuletzt im Bayerischen Rundfunk kundgetan: "Ich hoff, dass es vorn amal schäwert!". Er meinte damit: Seine Augsburger sollten ins Düsseldorfer Tor treffen, was sie dann ja auch taten. Baum gebrauchte das Verb schäwern, das im Dialekt universal verwendet wird.

Es kommt ins Spiel, wenn es irgendwo kracht. Nachdem SZ-Kollege W. neulich eine Umleitung fahren musste, umschrieb auch er den Unfall bildhaft: "weil's irgendwo gschäwert hat!" Im September 2015 erzielte Bayern-Stürmer Lewandowski einmal innerhalb von neun Minuten fünf Treffer. Im Zug erzählte ein Mann, seine Kartlerrunde habe damals ihren Schafkopf unterbrochen, um sich ganz auf die Radiosendung "Heute im Stadion" zu konzentrieren: "Da hat's a bisse vui gschäwert!"

22 / 26

richten

Sonnenblume auf dem Feld

Quelle: Stephan Goerlich

Ein Pendler erzählte neulich seinem Gegenüber, er habe eine anstrengende Dienstreise hinter sich. Der erwiderte: "Hast es wieder hintregricht!" Das Verb erledigen wäre in diesem Fall wohl zu schwach gewesen. Etwas hintrerichten drückt aus, dass man ein sperriges Projekt gestemmt hat. Das Verb richten wird zu wenig beachtet, dabei ist es ein kreuzwichtiges Wort. Man kann ein Auto herrichten, die Uhr richten und sich die Zähne richten lassen, wenn diese nicht mehr strahlen.

In Verbindung mit einem Adverb ergeben sich allerlei Weiterungen. Nach einer Verfehlung werden einem etwa die Wadl wieder vire gricht, also nach vorne gerichtet. Edmund Stoiber sagte einmal, er richte im Garten gerne Blumen hin. Dafür erntete er kübelweise Spott, obwohl man Blumen durchaus schön hinrichten kann. Man tut aber gut daran, Blumen lieber zu drapieren oder zu arrangieren.

23 / 26

Staffeln

Treppenhaus im Alten Peter in München

Quelle: Alessandra Schellnegger

Zum Schicksal eines Zeitungsredakteurs gehört es, dass ihm Kolleg(-inne)n seinen Alterungsprozess täglich gnadenlos vor Augen führen. Als ein Autor neulich in einer Geschichte über die Landshuter Martinskirche das Wort Staffeln verwenden wollte, weil fast 500 solcher Staffeln auf den Turm hinaufführen und weil das Wort zu den mittelalterlichen Mauern so gut passt, da protestierte das redaktionelle Jungvolk. Es wisse nicht, was Staffeln seien, das Wort müsse also unbedingt durch den Begriff Treppe ersetzt werden.

Auf ein solch ehrbares, farbiges, geschichtsträchtiges Wort wie Staffel zu verzichten, das ist schon hart. Zumal da es in der Literatur viele Belegstellen gibt, etwa in Benno Hubensteiners Aufsatz "Romantik in Landshut: ". . . eilte man die Staffeln zur Burg hinan." Andrea Maria Schenkel schrieb in ihrem Roman "Täuscher": "Komm, wir setzen uns ein bisserl auf die Staffeln dort . . ." Dass das nun keiner mehr versteht, ist wohl ein Fingerzeig: Für alte Staffel-Redakteure wird es Zeit, ihren Platz zu räumen.

24 / 26

knarratzn

Gerölllawine in den Dolomiten

Quelle: picture-alliance/ dpa

In einer orthopädischen Praxis hat sich neulich ein kreuzlahmer Patient zwecks Untersuchung mühsam auf eine Liege gequält. Doch siehe da, diese gab bei diesem Prozess ein ächzendes Geräusch von sich, als öffne sich ein rostige Tür in einem Gruselfilm. Die medizinische Assistentin gab den beruhigenden Hinweis: "Oh, nicht erschrecken, die knarratzd!" Der des Bairischen mächtige Patient verstand, was gemeint war, aber in diesem Fall hätte auch ein im Standarddeutschen beheimateter Patient kapiert, was knarratzn bedeutet.

Im Standarddeutschen klingt das Verb ja ähnlich: knarren, knarzen. Ein Synonym für knarratzn lautet garatzn. Es gibt noch einige weitere Verben mit den mittelhochdeutschen Endungen -atzn und -etzn, etwa nofetzn, ein Synonym für dösen und schlummern. Wenn ein lebenserfahrener Bergbewohner sagt, er höre auf den Anhöhen ein Achatzn und Knarratzn, dann ist es höchste Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Auf diese Weise kündigt sich nämlich häufig der Abgang von Lawinen an.

25 / 26

Bluatshitzn

Sommerhitze - Abkühlung am Pool

Quelle: dpa

Temperaturen jenseits der 30 Grad waren zuletzt der Normalfall. Eine solche Hitze wird im Bairischen als Blutshitze (Bluatshitzn) bezeichnet. Das Wort Blut dient im Alltag gerne als verstärkendes Präfix, vor allem in Fällen, in denen man die eigene Machtlosigkeit wenigstens seelisch bewältigen will: Eine Gemeinheit wird zur Bluatssauerei und ein einschlägiger Fluch heißt Bluatssakra .

Der Dialektforscher Ludwig Zehetner bezeichnet Blut als ein altes Tabuwort (Blut Christi). Insofern stehen, so sagt der Professor, emotionale Wendungen mit Blut und blutig solchen mit Scheiß- einerseits und Kreuz- andererseits nahe. Überhaupt ist das Wort Blut schon in den Anfängen der bairischen Sprache als "pluot" nachweisbar. In dem in der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrten Endzeitgedicht Muspilli, entstanden um das Jahr 870, heißt es: "so daz Eliases pluot in erda kitriufit" (träufelt).

26 / 26

Stiftlkopf

Friseur Haarschnitt

Quelle: Markus Scholz/dpa-tmn

Neulich wurde an dieser Stelle das altehrwürdige Wort Staffel erörtert, es ist ein Synonym für die Treppenstufe. Traditionell ausgedrückt, führen also auf den Turm einer alten Kirche Staffeln hinauf. Brigitte Bauer hat uns dazu eine nette Ergänzung zuteil werden lassen: "Von meinem Mann, gebürtig in einem kleinen Dorf in der Oberpfalz zwischen Cham und Waldmünchen, kenne ich den Ausdruck, wenn dem Friseur beim Schneiden Messer oder Schere ausgerutscht sind: Der hat dir aber eine saubere Staffel reingeschnitten."

Hier werden Erinnerungen an alte Zeiten wach, als die Dorffriseure oft noch Freistilschnitte pflegten. Entweder setzten sie einem einen Topf aufs Haupt und scherten dann drum herum, oder sie murksten beim Scherenschnitt, bis die Frisur voller Staffeln war. Am besten ließ man sich einen Stiftlkopf schneiden, wie ihn die amerikanischen Soldaten trugen. Er hieß so, weil die Haare so kurz waren, dass sie wie Stiftl vom Kopf wegstanden. Dieser Schnitt hatte den Vorteil, dass man sich nicht mehr kämmen musste - und bei großer Hitze ist so eine luftige Frisur sowieso Goldes wert.

© SZ vom 27.08.2018/vewo
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: