Süddeutsche Zeitung

Kratzers Wortschatz:Aufs Ungenaue nicht viel Mühe verwenden

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Wenn was nicht so ganz stimmt oder man sich nicht so sehr anstrengen soll oder will - dafür hat der Bayer zwei interessante alte Dialektworte: Giasinger Heiwog und Duadinedowe

Von Hans Kratzer

Giasinger Heiwog

Neulich ist das Auto nicht angesprungen, es wurde in die Werkstatt geschleppt. Kfz-Meister Rainer B. stellte eine rasche Diagnose: Der Tank war leer. Die Anzeige hatte fälschlicherweise angegeben, er sei noch halb voll. Es sei eigentlich ein gutes Auto, sagte der Meister, es habe nur eine Schwäche: "Die Benzinanzeige geht nach der Giasinger Heiwog!" Bei allem Ärger war es erfrischend, diese alte Redewendung wieder einmal live zu hören. Dahinter steckt ja ein Stück Wirtschaftsgeschichte, denn es geht es dabei um die legendäre Heuwaage, die einst in München-Giesing stand. Mit ihrer Hilfe wurden in Zeiten ohne Digitalanzeige Pferdefuhrwerke und ihre Ladung gewogen. Die Giasinger Heiwog hatte riesige Ausmaße, trotzdem konnte man damit das wahre Gewicht einer Ladung nur grob und ungenau wiedergeben. Wegen dieser Eigenschaft fand die Giesinger Heuwaage Eingang in den Sprachschatz. Nicht nur Rainer B. pflegt alles Ungenaue, das ihm im Alltag begegnet, immer noch mit dieser Wendung zu beschreiben. Auch eine ungenaue Uhr geht nach der Giasinger Heiwog.

Überhaupt werden gewisse Münchner Orte gerne für solche Vergleiche herangezogen. Schreiner und Zimmerer sagen, wenn der Abstand in einer Holzkonstruktion nicht stimmt: "Da fehlt's ja um d'Neihauser Strass!" Der Abstand ist also, leicht übertrieben, so groß wie die Neuhauser Straße, die heute Teil der Fußgängerzone im Zentrum von München ist.

Duadinedowe

Kollege K. hat neulich in einer Mail um eine Auskunft gebeten, aber im selben Satz die Bitte geäußert, nicht unnötig Zeit darauf zu verwenden. "Duadinedowe!", schrieb er in feinstem Dialekt. Sich owedoa (obetun, abhintun) heißt: sich anstrengen, sich nach Kräften bemühen. K. sagte damit also: Verwende nicht zu viel Mühe darauf! Wenn sich jemand recht plagt, heißt es: "Jetz hod er se a so owedo!" Wer faul ist, der "duad se ned owe", es bekümmert ihn nicht. Das ist manchmal lustig, manchmal auch todtraurig. Die Landshuter Zeitung erinnerte vor Jahren an einen Prozess kurz nach dem Krieg, bei dem es um den Mord an einem jungen Mann aus Polen ging. Der Bruder des Opfers beklagte, man habe nicht intensiv genug ermittelt. Von einem Polizisten habe er sich damals aber anhören müssen: "Zwengs dem Polackenbuam dean mia uns ned obe."

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Quelle:
SZ vom 21.10.2019
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