Krankenhäuser auf dem Land:Von wegen kleine Klitsche

Lesezeit: 4 Min.

Das Krankenhaus in Schongau hat gerade einmal 180 Betten. Zu wenig, finden die Krankenkassen, die auf große Häuser setzen. Fast die Hälfte von Bayerns Kliniken steckt im Defizit. Doch die Kommunen wollen die Versorgung auf dem Land sicher stellen

Von Dietrich Mittler, Schongau

Gut drei Stunden ihrer Arbeitszeit hat Oberärztin Marion Leichtle schon hinter sich - und es geht rund in der Notaufnahme des Krankenhauses Schongau. Draußen ist es eisglatt. Leichtle, die als Fachärztin der Chirurgie jetzt gut zu tun hat, spricht im Stakkato: "Viele Stürze, viele Menschen, die ausrutschen, die auf die Hüfte fallen, Handgelenke!" Kurzum: "35 Fälle waren das mindestens, nur chirurgisch. Nicht alle gefallen, aber viele davon." Gegen 11.30 Uhr dann ein Schrei: "Aua! Au!" Am anderen Ende des Gangs, im Wartezimmer der Notaufnahme, gehen einige Köpfe in die Höhe, bevor sie sich wieder zum Smartphone senken.

Dann ertönt erneut ein Schrei. "Seid's sicher, dass ihr da bleiben wollt?", fragt eine junge Frau in die Runde. Ihr Partner, die Urinprobe in der Hand, zuckt mit den Schultern. Er hat Schmerzen, will endlich drankommen. Was er nicht sieht: Die akut eingetroffenen Schwerverletzten. Oberärztin Leichtle versorgt gerade einen dementen alten Mann, der im Pflegeheim aus dem Bett gefallen ist, auf die Hüfte. Und die tut ihm, deutlich zu hören, sehr weh. Offiziell hätte Leichtle an diesem Tag um 16 Uhr Feierabend. Es könnte länger werden, ahnt sie aber schon. Doch das sei in Ordnung. "Wir helfen hier zusammen. Das ist das Schöne an so einem kleinen Haus."

Die Schongauer Klinik und ihre Geriatrische Rehabilitation. (Foto: Dietrich Mittler)

180 Betten hat das Krankenhaus Schongau, das Schwesterhaus in Weilheim hat 160 Betten. Bei dieser Bettenzahl ziehen Krankenkassen-Chefs die Augenbrauen nach oben. Als langfristig überlebensfähig gelten aus ihrer Sicht nur die Häuser ab 200 Betten. "Bayern", so ist zum Beispiel vom Verband der Ersatzkassen zu hören, "hat den größten Anteil kleiner Krankenhäuser mit weniger als 150 Betten." Wie auch Baden-Württemberg kämpfe Bayern "mit kleinteiligen Strukturen".

Im Klartext schwebt den Kassen folgendes vor: Weg mit den kleinen Häusern, möglichst auch ein Abbau der Krankenhausdichte, die in Bayern bei 246 Kliniken pro zehn Millionen Einwohnern liegt. In Sachsen komme man da mit weit weniger Häusern aus, und "nennenswerte Klagen über Unterversorgung" seien dort auch nicht bekannt. Schon früher hätte Thomas Lippmann, Geschäftsführer der Krankenhaus GmbH Landkreis Weilheim-Schongau, bei solchen Worten nicht Beifall gespendet. Da verdiente er - selbst aus Sachsen - sein Gehalt noch im Management eines privaten Klinikträgers. Jetzt sagt er sogar: "Wir werden uns nicht damit abfinden, dass wir kleinen Häuser eigentlich nicht gewollt sind."

Geschäftsführer Thomas Lippmann ist stolz auf die Klinik-GmbH. (Foto: Dietrich Mittler)

Als Lippmann 2014 in die Region Weilheim-Schongau kam, da hatte die kreiseigene GmbH mit Peißenberg noch ein drittes Haus und ein Defizit in Höhe von sechs bis sieben Millionen Euro. Eine Beratungsgesellschaft warnte: Wenn nichts passiere, sei gar mit zehn Millionen Euro Verlust zu rechnen. Derzeit liegen seine beiden Häuser in Weilheim und in Schongau bei rund fünf Millionen Euro Defizit. Lippmann liebt Geschichten, so auch diese: "Ich war erst kurze Zeit da, ging durch das Peißenberger Haus. Da war ein Malermeister, der im Flur mit einem kleinen Pinsel einzelne Stellen ausbesserte." Er fragte ihn also: "Warum machen Sie das denn mit dem kleinen Pinsel, das dauert ja ewig?" Der Maler antwortete: "Die Farbe kostet ja Geld, und wir haben keins." Lippmann dachte sich: "Aha, so hat man hier Strategie betrieben." Da musste eine neue her, gemeinsam entwickelt mit dem Peißenberger Chefarzt Wilhelm Fischer und abgesegnet von den Fraktionen im Kreistag: Das 50-Betten-Haus in Peißenberg wurde geschlossen, die Belegschaft mit vollem Tarifgehalt in die beiden anderen Häuser integriert - insbesondere in Schongau.

Lippmann sah sich weiter um, was früher schiefgelaufen war und stieß darauf, dass seine Vorgänger vor Investitionen zurückgeschreckt waren. Dass die Verwaltung aufgebläht war, während bei vielversprechenden Investitionen in Ärzte und neue Großgeräte gespart wurde.

Und dann auch noch ein Kapitalfehler: dass sich die Krankenhaus-GmbH nicht auf die Umstellung auf das neue DRG-Abrechnungssystem vorbereitet hatte und so statt schwarzer Zahlen plötzlich rote schrieb. Wie die Häuser des Kreises Weilheim-Schongau standen aber viele andere Landkrankenhäuser vor der Erkenntnis: Wer überleben will, muss nach den Regeln dieses Fallpauschalensystem funktionieren, in dem es nicht nur auf kurze Verweildauern und hohe Patientenzahlen, sondern auch auf lukrative Behandlungen ankommt. Lippmann gehört zu jenen, die auf Leistungssteigerung setzen. Nur so lasse sich die Basisversorgung und die Notversorgung finanzieren. Das heißt eben auch, jene Mindestmengen zu erfüllen, die ein Haus an Eingriffen erbringen muss, um diese überhaupt durchführen zu können.

Zur Schongauer Klinik gehört auch die Geburtshilfestation. (Foto: Dietrich Mittler / Mi.Pictures)

Wenn Lippmann Gäste durchs Schongauer Haus führt, dann landen die neben der Station mit den Neugeborenen oft auch auf der interdisziplinären Intensivstation, geleitet von Chefarzt Armin Kirschner. "Wir brauchen mehr Kapazitäten", sagt der. Längst sei es nicht mehr so, dass man komplizierte Fälle so einfach in die großen Häuser abgeben könne. "Weil die selbst recht knapp sind mit den Aufnahme-Kapazitäten, speziell im intensivmedizinischen Bereich", sagt Kirschner. Schon deshalb führe an Landkrankenhäusern gar kein Weg vorbei. Und von wegen kleine Klitschen: Kirschner war vor seiner Chefarztstelle in Schongau Oberarzt an der Würzburger Uniklinik, seine Oberärztin Margit Sturm arbeitete zuvor am Klinikum München-Schwabing, und Wilhelm Fischer - mittlerweile Ärztlicher Direktor - gilt als international anerkannte Kapazität, insbesondere auf dem Gebiet der Herzschrittmacher. Eines seiner Standardwerke wurde in viele Sprachen übersetzt. "Ins Japanische etwa", sagt Fischer.

Eines der Betten auf der Intensivstation ist soeben frei geworden. Eine Frau, die aufgrund von Kindbettfieber gerade noch vor dem Tod bewahrt werden konnte, ist nun so stabil, dass sie auf eine Normalstation verlegt werden kann. "Es gibt ja viele Erkrankungen, die sind absolut zeitkritisch in der Behandlung", sagt Kirschner. Und daher sei alles Bestreben, kleinen Landkrankenhäusern das Überleben zu erschweren, ein gefährlicher Weg. So sieht das auch Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistags. "Es kann nicht sein, dass wir irgendwann 80 Kilometer zum nächsten Krankenhaus haben", sagt er.

Die gut 370 Krankenhäuser in Bayern haben es überhaupt schwer, da ihre Einnahmen noch immer durch Budgets gedeckelt sind und jede Tariferhöhung Löcher reißt. 44 Prozent der Häuser befürchten, dieses Jahr mit einem Defizit abzuschließen. Thomas Lippmann weiß bereits, dass es so kommen wird - bedingt durch die Investitionen und die Tariftreue seiner Häuser. Seine Landrätin Andrea Jochner-Weiß (CSU) steht hinter ihm: "Unser Ziel ist, weiterhin eine hohe medizinische Versorgung vor Ort zu haben", sagt sie.

Lippmann kennt indes die Tücken des Internets, das aber auch gar nichts vergisst, etwa jenen Beitrag von 2013 mit der Beschwerde, "dass eine Pflegerin meine Oma auf die Toilette brachte und sie dort vergessen hat". Lippmann versucht, offensiv damit umzugehen. Alle Patienten werden nun gebeten, sich im Netz über ihre Behandlung zu äußern, also auch die Zufriedenen - mit Erfolg. "Wir haben viele Patienten wieder zurückholen können, die früher woanders hingegangen sind", sagt er.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: