Korruptionsaffäre:Wolbergs sieht sich als Opfer - und viele glauben ihm

Korruptionsaffäre: Fotos: Stephan Rumpf, Armin Weigel/dpa (2); Illustration: Özer/SZ

Fotos: Stephan Rumpf, Armin Weigel/dpa (2); Illustration: Özer/SZ

Der suspendierte Oberbürgermeister bringt die Regensburger zum Zweifeln: Schuldig? Unschuldig? Und vor allem: Wer ist dieser Mann wirklich? Eine Spurensuche.

Von Andreas Glas

Es ist Maikundgebung auf dem Haidplatz. Ein neuer Versuch, diesen Mann zu durchschauen. Joachim Wolbergs trägt Mantel, Schal und Sonnenbrille, steht Schulter an Schulter mit den Bürgern. Sieht so ein Krimineller aus? Es ist sinnlos. Man kann ja doch nicht hinein blicken in den Mann, den früher jeder anfassen durfte und jetzt keiner mehr greifen kann. Wer Wolbergs durchschauen will, sieht am 1. Mai nur das eigene Spiegelbild in den Gläsern seiner Sonnenbrille.

Wolbergs hat sich regelrecht verschanzt, nachdem er Ende Februar aus der U-Haft freikam. Hinter seiner Sonnenbrille, seinem öffentlichen Schweigen, seinem Anwalt. Die große Bühne hat er verlassen, als Oberbürgermeister ist er suspendiert. Aber er ist noch da, die Bühne ist nur kleiner. Mal taucht er bei der Maikundgebung auf, mal bei Treffen der SPD-Ortsvereine. Sein Auto parkt mal hier, mal dort, mal huscht er durch die eine Gasse, mal durch eine andere. Wie ein Phantom. Unterwegs, um den Leuten seine Version einer Affäre zu schildern, die Regensburg tief gespalten hat. Eine Version, in der er nicht Täter ist, sondern Opfer.

Als er Ende März im Hotel Wiendl auftrat, beim Treffen des SPD-Unterbezirks, sprach Wolbergs von "ehrenrührigen Verdächtigungen", "bewusst gestreuten Lügen". Er wittere ein Komplott, sagt einer, der ihn neulich getroffen hat, eine Intrige der Staatsanwaltschaft. Das ist sie, seine Version. Sie steht einer Reihe an Vorwürfen der Justiz gegenüber. Man würde ihn gern selbst dazu fragen, aber er redet nicht mit der Presse, nicht mit der SZ, auch in lokalen Medien äußert er sich nicht. Man kann nicht sagen, wie eine Stadt tickt, in der 160 000 Menschen leben. Aber es gibt in Regensburg nicht nur jene, die Wolbergs aus der Stadt jagen wollen. Es gibt auch viele, die an seine Unschuld glauben. Am Montag, als Wolbergs sich nach mehr als einem Jahr wieder auf Facebook meldete, haben sofort Hunderte den Gefällt-mir-Daumen geklickt. Dazu dutzendweise Kommentare: "wird sich alles aufklären", "nicht unterkriegen lassen".

Zwei Lager also. Und dazwischen, vielleicht die Mehrheit: die Zweifler. Diejenigen, die einen Menschen zu kennen glaubten, weil er sich so nah am Volk bewegte - und nun nicht mehr wissen, was sie von Joachim Wolbergs noch halten sollen. Wer ist dieser Mann? Es war schon mal leichter, dieser Frage zu begegnen.

Die Suche nach Antworten führt in den Regensburger Osten. Hier ist Wolbergs aufgewachsen, hier hat er Abitur gemacht, war Schülersprecher am Albrecht-Altdorfer-Gymnasium. Er hat das oft erzählt, hat es dick und fett in seinen Lebenslauf geschrieben. Eine Lehre hat er ja nie gemacht, sein Studium abgebrochen. Aber eines hatte er bereits als Schülersprecher: Das Talent, Menschen für sich zu gewinnen. "Seine Überzeugungskraft ist echt eine Naturgabe", sagt eine, die damals mit ihm Schülersprecherin war.

"Er hat alles umgekrempelt. Mit einer Energie, dass uns die Augen rausgefallen sind." Er habe die Mitsprache der jüngeren Schüler gefördert, ein Tutorensystem und Bildungsreisen organisiert. Er habe "große Visionen" gehabt, die bei den Mitschülern auch auf Zweifel stießen. "Dann hat er erklärt, wie er sich das vorstellt, und am Ende gab es keine Diskussionen mehr", sagt die Frau, die damals das Gymnasium mit Wolbergs umgekrempelt hat. "Manches wollte ich erst nicht, aber mit seinen Argumenten habe ich es kapiert."

Irgendwie ist das jetzt noch so. Nur dass die Leute nicht mehr an Wolbergs Visionen zweifeln, sondern an seiner Unschuld. Und dann kommt er mit seinen Argumenten und verscheucht die Zweifel wie lästige Fliegen. Wenn er auf Facebook schreibt, im Café auftaucht oder in den Ortsvereinen: Die Leute scharen sich um ihn, hören ihm gebannt zu, wenn er seine Unschuld beteuert. Ein Mann wie ein Magnet. "Und am Ende glauben ihm die Leute. Das kann er einfach", sagt eine SPD-Stadträtin.

390 Tage

So lange ist es her, dass die Staatsanwaltschaft den inzwischen suspendierten OB Joachim Wolbergs mit ihren Vorwürfen konfrontierte. Der dringende Verdacht: Bestechlichkeit. Die Ermittlungen sind immer noch nicht abgeschlossen. Seit mehr als einem Jahr wabert die Korruptionsaffäre also in der Stadt, seit mehr als einem Jahr warten die Regensburger darauf, dass die Justizbehörde eine Entscheidung darüber trifft, ob sie Anklage erhebt gegen den SPD-Politiker. Spätestens im September soll es nach Aussagen der Staatsanwaltschaft so weit sein.

Er hatte das wohl schon als Schülersprecher begriffen: Dass ihm seine Überzeugungskraft helfen würde, als Politiker erfolgreich zu sein. Heute fragt man sich, ob er sein Talent auch einsetzt, um die Leute mit einem Opfermärchen zu blenden. Und ob er seine Gabe missbrauchte, um im Stadtrat Stimmen zu sammeln, die er für möglicherweise dreckige Deals brauchte.

Schmarrn, sagt Christa Meier (SPD), die von 1990 bis 1996 Oberbürgermeisterin war. Sie gilt als Wolbergs' politische Ziehmutter, hat ihn 1989 in ihr Wahlkampfteam geholt, da war er 18, sechs Jahre später machte sie ihn zum Wahlkampfleiter. Er habe sich unglaublich reingehängt, sagt Meier. Vielleicht auch deshalb, weil er es denen zeigen wollte, die ihn wegen des abgebrochenen Studiums belächelten. Ihn habe das Gefühl geplagt, "nichts in seinem Leben erreicht zu haben", sagt ein hochrangiger Mitarbeiter im Rathaus.

"Sicher mach ich's auch aus Eitelkeit", hat Wolbergs einmal gesagt

Er hat also geschuftet, hat auch als Wahlkampfchef Plakate für Meier tapeziert - und am Ende war es umsonst, weil die Regensburger den CSU-Kandidaten Hans Schaidinger wählten. Trotzdem, sagt Meier, für Wolbergs' eigene Karriere sei das lehrreich gewesen. Damals hat er womöglich auch gelernt, dass es nicht schadet, richtig zu klotzen, um Stimmen zu fangen. Im Gegensatz zu heute sei ihr Wahlkampf "ja viel billiger" gewesen, sagt Meier.

Wolbergs' Wahlsieg 2014 kostete wohl mehr als 800 000 Euro. Eine irre Summe. Zum Vergleich: Für die Wahl zum Abgeordnetenhaus hat die Berliner SPD lediglich das Doppelte ausgegeben. Bezahlt hat den OB-Wahlkampf der SPD-Ortsverein Stadtsüden, dessen Kontostand kaum einer außer Wolbergs kannte. Drei Bauunternehmer hatten weit mehr als eine halbe Million Euro überwiesen, meist in Tranchen knapp unter der Veröffentlichungsgrenze von 10 000 Euro. Zum Teil floss das Geld wohl über Strohmänner: Mal spendete die Firma, mal der Chef, mal ein Mitarbeiter, mal Familienmitglieder des Firmenchefs. Im Gegenzug soll Wolbergs mindestens einen Unternehmer bei Grundstücksgeschäften begünstigt haben.

Die Vorwürfe der Justiz kennt auch Christa Meier, sie sitzt ja immer noch im Stadtrat, kennt auch die Spenderlisten: Links die Spendernamen, die man nur googeln muss, um sie als Personen zu identifizieren, die zum Kreis der Baufirmen gehören. Rechts die Spendenbeträge: 9990, 9900, 9990 und so weiter.

Fühlt sie sich vom OB nicht getäuscht, der die Spenden vor seiner eigenen Partei verheimlichte? "Täuschen heißt ja, wenn jemand böswillig etwas verschweigt. Aber das hat er bestimmt nicht", sagt Meier. Man hört das öfter aus der SPD: Täuschung ja, böse Absicht nein. Zum Beispiel die Vergabe des Nibelungenareals, die im Zentrum der Affäre steht, die sei doch super gewesen, sagt Meier: Mietpreisgarantie, hohe Sozialwohnungsquote, niedrige Energiekosten. Wolbergs habe im Stadtrat für die Vergabe an die Firma Tretzel geworben, weil deren Angebot das beste gewesen sei - und nicht wegen der Parteispenden des Firmenchefs.

So ähnlich sagen das viele in der Stadt, sehen mildernde Umstände: Wenn überhaupt, habe "der Wolli" die Grenzen des Legalen nur zum Wohle der Stadt überschritten. Und überhaupt, sagt Meier: Nicht Wolbergs habe die Spenden gestückelt, sondern die Spender hätten es getan. Wolbergs erzählt das angeblich genauso, wenn ihn jemand fragt, der ihn in diesen Tagen auf der Straße trifft oder beim Einkaufen. Aber warum hat er die Einzelspenden nicht addiert und für alle sichtbar gemacht, so wie es das Parteiengesetz vorschreibt?

Mei, die Buchhaltung sei eben nicht seine Stärke, sagt Meier. Sie spielt auf die Zeit zwischen 1993 und 2007 an, als Wolbergs Chef im Kulturzentrum Alte Mälzerei war. Er war fleißig, kreativ, wie später als OB. Aber schon damals hatte er die Justiz am Hals. Der Verdacht: Untreue. Juristisch blieb nichts hängen, aber Wolbergs gab "Schlampereien" zu. Vielleicht sehe sie ihn als Ziehmutter "ein bisschen rosiger", aber das sei doch besser "als ein Pedant, der keine Ideen hat und nichts voranbringt", sagt Meier. Noch so ein Wolbergs-Bild, das einige sympathisch finden: Rechnung in den Karton, Deckel drauf, verdrängt. Man kennt das ja von sich selbst. Ist er also nur ein Schlamper, der das Gesetz aus dem Blick verlor, weil er so sehr auf das Wohl der Bürger fixiert war?

Eine Frage, die Regensburg umtreibt. Zumal jetzt, da der SSV Jahn in die Zweite Liga aufgestiegen ist. Laut Justiz soll auch in den Fußballklub Schmiergeld geflossen sein. Zum Wohl der Stadt, könnte man wieder sagen, wenn man den Stolz der Regensburger auf den Jahn sieht, der ohne Tretzel-Millionen pleite wäre. Aber heiligt ein vermeintlich guter Zweck zwielichtige Mittel? Der Rechtsstaat sagt ganz klar: nein. "Ich glaube, dass der Verantwortungsdruck einen Politiker manchmal zwingt, gewisse Dinge einfach zu tun", sagt Wolbergs' Schülersprecher-Kollegin. Es könne sein, "dass ein Posten jemanden verändert", der früher "kreuzehrlich" gewesen sei. Er wollte ja unbedingt OB werden, hat hart dafür gearbeitet. Binnen weniger Jahre schaffte er den Aufstieg zum Dritten Bürgermeister, zum Hoffnungsträger der geplagten Bayern-SPD, dann zum OB.

"Sicher mach ich's auch aus Eitelkeit", das hat Wolbergs selbst mal gesagt. Eine Schwäche ist das nicht, jeder kämpft um Anerkennung. Eine Schwäche ist es nur, wenn man im Kampf das Visier so tief ins Gesicht zieht, dass man nichts mehr sieht oder sehen will. Und die eigenen Probleme mag ja keiner gerne sehen. In den Karton, Deckel drauf, verdrängt. Wolbergs sei so ein Verdrängungskünstler, sagt eine SPD-Stadträtin. Sie zweifelt an seiner Unschuld. Sie glaubt aber, dass seine Unschuldsbeteuerungen ehrlich sind, weil er sich "seine eigene Realität" gezimmert habe, um das alles ertragen zu können.

Vielleicht ist es aber auch anders, vielleicht schafft er, was er schon einmal schaffte, als er bei der Oberbürgermeisterwahl 2014 schier unmögliche 70 Prozent holte: Dass er denen das Gegenteil beweist, die ihn früher für einen Taugenichts hielten und heute für einen Verbrecher. Für den Moment aber bleibt Joachim Wolbergs ein Rätsel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: