Süddeutsche Zeitung

Kongress zu Reproduktionsmedizin:Schwieriger Weg zum Kind

In München treffen sich 9.000 Reproduktionsmediziner aus aller Welt. Besonders die deutschen Ärzte werden durch die strenge Gesetzgebung eingeschränkt. Für sie könnte manche neue Methode Theorie bleiben.

Von Anna Günther

Sie können Leben schenken, ohne selbst Eltern zu werden, und den sehnlichsten Wunsch verzweifelter Paare erfüllen. In den Praxen von Gynäkologen und Reproduktionsmedizinern zieren die Grußkarten dankbarer Neu-Eltern oft Wände. Samenspende, In-Vitro-Befruchtung (IVF) und Hormontherapien helfen der Natur auf die Sprünge, 48 000 Patientinnen wurden laut Deutschem IVF-Register 2012 behandelt, geboren wurden mehr als 10 000 Babys.

Doch manchmal sind den Medizinern die Hände gebunden. Deutschland hat mit dem Embryonenschutzgesetz eine der strengsten Regelungen in Europa, Eizellspenden etwa sind verboten genauso wie Leihmutterschaft. Präimplantationsdiagnostik, also die Untersuchung der im Reagenzglas gezeugten Embryonen vor der Einpflanzung, ist erst seit 2011 unter strengen Bedingungen erlaubt. Und wenn Ärzte mit ihren Patienten über diese rechtswidrigen Alternativen sprechen, können sie sich sogar strafbar machen.

Allein bei den Staatsanwaltschaften München I und Augsburg laufen derzeit drei Verfahren wegen Verstößen gegen das Embryonenschutzgesetz. Die Augsburger ermitteln seit Ende 2012 in 18 Fällen unter anderem wegen Beihilfe zu missbräuchlicher Anwendung von Fortpflanzungsdiagnostik. Zu einzelnen Vorwürfen wollte Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai wegen des laufenden Verfahrens nichts sagen, aber der Knackpunkt ist hier: Wann fängt Beihilfe an? Reicht der Hinweis auf Methoden im Ausland?

Gesetzliche Grauzonen

Die Verunsicherung der Mediziner über gesetzliche Grauzonen dürften neben neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen Thema sein, wenn sich von Sonntag an bis Mittwoch 9000 Fruchtbarkeitsärzte in München zum Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Embryologie treffen. Manche neue Methode wird für die deutschen Ärzte Theorie bleiben.

Den Kollegen aus dem Ausland fühlt Tina Buchholz sich trotzdem nicht unterlegen. "Es ist eine größere Herausforderung, sich damit zu beschäftigen", sagt die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin (DGR). In der Zeit, als die Präimplantationsdiagnostik ausnahmslos verboten war, untersuchten Buchholz und Kollegen die Gene am Polkörperchen, bevor die Befruchtung abgeschlossen war, und lieferte den ausländischen Kollegen neue Erkenntnisse.

Die Ärztin spricht von Einzelfällen

Die Zahl der Paare, denen in Deutschland wegen der Rechtslage nicht geholfen werden kann, ist aus Buchholz' Sicht sehr gering. In ihrer Praxis behandelt sie vor allem bei genetischen Problemen. Etwa zwei bis fünf Prozent der Patienten könnten im Ausland therapiert werden. Die Ärztin spricht von Einzelfällen.

Eine liberalere Handhabe würde sie sich dennoch wünschen: Im Einzelfall sollten unter strikten Bedingungen alle Methoden zugelassen werden. Die Verunsicherung unter Medizinern sei wegen der unklaren Rechtslage groß, bestätigt die DGR-Vorsitzende. Seit 2011 gibt es zwar das Präimplantationsgesetz als Ergänzung zum Embryonenschutzgesetz, doch dazu kursieren wieder unterschiedlichste Auslegungen.

Viele Initiativen zur Überarbeitung sind versandet, Gesetzeslücken werden bewusst geduldet. Auch wenn sie der eigentlichen Regel widersprechen: Embryonenspenden sind hierzulande sogar erlaubt, sofern eine Eizelle befruchtet wurde, die Frau vor dem Einsetzen den Eingriff aber plötzlich ablehnt. Diesen "übrig gebliebenen" Embryo dürften Mediziner einer anderen Frau einsetzen. "Aber die Bedingungen sind völlig unklar. Muss die Spenderin zustimmen? Wie wird die Abstammung des Kindes geregelt?", sagt Jens Kersten, Professor für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Für mehr Klarheit hat Kersten 2013 mit Kollegen der LMU und der Uni Augsburg ein Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin entworfen, das alle bekannten Methoden erlaubt. Diese Freiheit würde im Detail wieder eingeschränkt: Kommerzialisierung etwa wäre verboten. Bei einer Leihmutterschaft müsste notariell vor der Geburt geklärt werden, wer verantwortlich ist, falls die "Besteller" das Kind doch nicht wollen. Laut Gesetz ist es derzeit die leibliche Mutter. Der Entwurf sei im Bundesgesundheitsministerium durchaus bekannt, heißt es aus Berlin, doch zum Embryonenschutzgesetz steht nichts im Koalitionsvertrag.

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