Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:Landshuter Wachstums-Schmerzen

Als FDP-Mann Alexander Putz vor gut drei Jahren Oberbürgermeister wurde, war das eine Sensation. Doch die Euphorie ist verflogen. Denn Niederbayerns Kapitale wächst rasant - und Kritiker vermissen die Visionen

Von Andreas Glas, Landshut

Als Alexander Putz am 23. Oktober 2016 das Lokal "Tigerlilly" betrat, haben die Leute geklatscht und gejohlt, sie haben Konfetti und Luftschlangen geworfen. Es dauerte, bis sich Putz (FDP) durch die Menge gequetscht hatte, sich ganz amerikanisch auf einen Stuhl stellte und einen sehr amerikanischen Satz ins Mikrofon sagte: "Heute haben wir bewiesen, dass man vieles erreichen kann, wenn man nur daran glaubt." Die Landshuter hatten ihn gerade zum Oberbürgermeister gewählt - gegen den Kandidaten der CSU, die Landshut jahrzehntelang regiert hatte. Historisch, Sensation, politische Zäsur - das waren die Kommentare auf der Wahlparty. Und Putz, der Triumphator, rief vom Stuhl ins Partyvolk: "Ich verspreche Ihnen, ich werde Sie nicht enttäuschen."

Als Sigi Hagl im Februar 2020 die Tigerlilly betritt, klatscht niemand, johlt niemand, keiner wirft Konfetti. Die meisten Tische sind leer, Hagl setzt sich, bestellt Holunderwasser und sagt: "Es hat sich nichts verändert. Wir stolpern planlos und orientierungslos in ein unglaubliches Wachstum rein."

Was soll sie auch sagen? Den OB loben? Hagl (Grüne) will ja selbst Oberbürgermeisterin werden. Was aber stimmt: 40 Monate nach dem Putz-Triumph ist die Euphorie in Landshut dahin. Im Herbst hat sich ein Haushaltsloch aufgetan, 70 Millionen Euro. Viel Geld, das Landshut dringend bräuchte, um nicht vom eigenen Wachstum abgehängt zu werden. Die Schulen sind marode, das Theater auch, die Straßen oft verstopft. Trotzdem ziehen immer mehr Menschen her. Vor zehn Jahren lebten 63 000 in Landshut, heute 73 000, für das Jahr 2038 rechnet das Landesamt für Statistik mit fast 81 000 Einwohnern. Keine kreisfreie Stadt in Bayern wächst rasanter, nicht mal München. Wenn man so will, erlebt Landshut gerade eine Art Pubertät. Nicht mehr richtig klein, noch nicht richtig groß - und geplagt von üblen Wachstumsschmerzen.

"Landshut kann es besser." Mit diesem Slogan hat Putz, 56, bei der OB-Wahl 2016 geworben und gewonnen. Der Slogan zielte natürlich in Richtung CSU, die über die Jahrzehnte einen derart hohen Schuldenberg anhäufte, dass irgendwann kein Geld mehr da war, um Gebäude, Schulen und Verkehr zu modernisieren. Und jetzt? Hat Landshut keinen CSU-Oberbürgermeister mehr, dafür aber das nächste Haushaltsloch. Kann es Putz doch nicht besser? Muss er um die Wiederwahl fürchten?

Die Zahlen sagen: nein. Einer Umfrage der Landshuter Zeitung vom vergangenen Dezember zufolge ist Putz der klare Favorit. 44,7 Prozent der Befragten stimmten für ihn. CSU-Kandidat Thomas Haslinger landete bei mickrigen 8,2 Prozent, noch hinter der SPD-Kandidatin Patricia Steinberger (8,7). Wenn dem OB überhaupt jemand Konkurrenz machen kann, dann wohl nur die Grüne Sigi Hagl. Ihr Umfrageergebnis: 19,3 Prozent.

OB Putz habe "keine Vision", sagt Hagl, 52, beim Gespräch in der Tigerlilly. Landshut werde "nur verwaltet". Es sei zu "einfach, immer das Geld als Totschlagargument zu bringen. So kann man eine wachsende Stadt nicht führen." Ihr Plan: neue Schulden machen. Damit will Hagl nicht nur das Theater und die Landshuter Schulen sanieren. Es gehe darum, "die Stadt von morgen zu bauen". Sie will eine "Fahrradstadt" und weniger Autos. Sie will mehr grüne Plätze, mehr Kunst im öffentlichen Raum, mehr Leben an der Isar. Das ist es wohl, was Hagl eine "Vision" nennt.

Die Frage ist halt: Wie viel Vision kann sich das klamme Landshut leisten? "In der Theorie hört sich das schön an", sagt Oberbürgermeister Putz über die Pläne von Sigi Hagl. Aber am Ende müsse man "schon schauen, wie hoch die Kosten sind". Schulen, Kindergärten, "das hat schon Priorität bei mir, da bin ich auch bereit, in die Verschuldung zu gehen", sagt er. Und schiebt hinterher: "Aber wir müssen dann auch an das Tilgen der Schulden denken." Ein Visionär ist Alexander Putz wohl tatsächlich nicht. Das Wort "pragmatisch" benutzt er oft. Aber ist Pragmatismus verkehrt? Der Oberbürgermeister beantwortet diese Frage so: "Wenn man versucht, es jedem recht zu machen, dann kann am Ende nichts Gescheites rauskommen." Er mache "einen großen Unterschied zwischen dem, was man sehr oft plakativ als Symbolpolitik macht und dem, was umsetzbar ist". Den Bürgern gefalle diese "sachliche, unideologische Art", sagt Putz.

Die Landshuter Stadträte haben eher ein Problem mit seiner Art. Selbstverliebt, besserwisserisch, beratungsresistent, so lauten die Beschreibungen. Für Putz zähle nur eine Meinung: seine eigene. Man hört das immer wieder, aus fast allen Fraktionen. In einem Zeitungsinterview hat Putz die Stadträte mal mit Wespen verglichen. "Je mehr man rumfuchtelt, desto wütender werden sie", sagte er. Danach war das Klima zwischen dem Oberbürgermeister und den Stadträten erst recht vergiftet.

Er sei eben "hartnäckig in der Argumentation, das war sicher für manche im Stadtrat auch anstrengend", sagt Putz. Er habe es trotzdem geschafft, Mehrheiten zu organisieren und "sehr viel angepackt". Dass das vor allem Projekte waren, die unter Vorgänger Hans Rampf (CSU) angeschoben wurden, hat auch damit zu tun, dass Putz' zunächst nur drei Jahre OB war statt der üblichen sechs. Es war seine eigene Initiative, die OB-Wahl wieder mit der Stadtratswahl zusammenzulegen. Nun hofft Putz, dass seine Popularität auch auf seine Partei abfärbt - und nach der Wahl möglichst viele FDP-Kollegen in den Stadtrat einziehen. Bisher hatte er dort nur einen natürlichen Verbündeten.

Unterstützung bekam Putz vor allem aus der CSU-Fraktion. Das offenbart sich nun als Problem für deren Kandidaten Thomas Haslinger, 33. Es ist eben schwer, sich als besserer OB zu verkaufen, wenn man die Politik des derzeitigen Rathauschefs so fleißig mitgetragen hat. Bei den jüngsten Podiumsdiskussionen der Kandidaten war das gut zu beobachten. Manchmal waren sich Putz und Haslinger so einig, dass man meinen konnte, der CSU-Kandidat sei Pressesprecher des OB. Haslinger sagte, dass er bei diesem oder jenem Thema "bei Herrn Putz" sei. Und zwischendrin nannte er Putz gar "unseren Oberbürgermeister". Fast so, als hätte er die Wahl schon abgehakt. Auch die Frage der Süddeutschen Zeitung nach einem Gespräch lässt Haslinger unbeantwortet.

Immerhin, auf seiner Homepage gibt er Antworten. Dort hat Haslinger zehn Fragen an sich selbst formuliert. Eine geht so: "Welche Schlagzeile würdest du gerne am Tag nach der Kommunalwahl 2020 lesen?" Haslingers Antwort: "Sensation möglich: Stichwahl in Landshut - CSU stärkste Kraft im Stadtrat." Ein Landshuter CSU-Kandidat, für den der eigene Wahlsieg eine Sensation wäre? Na ja, schrumpfende Ansprüche bereiten zumindest keine Wachstumsschmerzen.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2020
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