Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:"Freude und Wahnsinn"

Im März schafft Marcus König die für viele überraschendste Personalie: Der CSU-Mann holt das Oberbürgermeisteramt in der SPD-Leib-und-Magen-Stadt Nürnberg

Von Johann Osel und Olaf Przybilla, Nürnberg/Ingolstadt

Was wäre einem widerfahren, der vorausgesagt hätte, dass Nürnberg 2020 einen CSU-Oberbürgermeister bekommt, der am Wahlabend um 19 Uhr zu Hause auf dem Sofa hockt und sich angesichts des Triumphs eine Flasche alkoholfreies Bier aus Friesland gönnt?

Das Jahr hat seltsame Geschichten geschrieben und am Kommunalwahltag im März bekamen diese mitunter einen Stich ins Unwirkliche. Marcus König heißt der Mann, der den sozialdemokratischen Leib-und-Magen-Rathauschef in Nürnberg, Ulrich Maly, beerbt hat. Königs Geschichte wäre an sich schon denkwürdig genug gewesen, ist es in deutschen Halbmillionenstädten - leider, mag man hinzufügen - ja alles andere als alltäglich, dass Menschen dort das Ruder übernehmen, die ihre Bildungslaufbahn einst in der Hauptschule begonnen haben. Königs Karriere wäre also die perfekte Story gewesen für einen sozialdemokratischen Kandidaten, der die Bildungschancen in einer bis in die Wolle sozialdemokratisch gefärbten Stadt zu nutzen weiß - mit dem für Sozialdemokraten nicht komplett unmaßgeblichen Makel allerdings, dass der Mann eben für diese andere Partei angetreten ist, der in Nürnbergs Kommunalpolitik gewöhnlich die Rolle als lächelnde Verliererin zukommt.

Wie Königs Jahr 2020 ausgesehen hat? "Freude und Wahnsinn", sagt der 40-jährige CSU-Mann. Hätte man an jenem Wahlabend einen Blick werfen können auf das Sofa der Königs, so hätte das sich darbietende Bild diese Doppelgesichtigkeit allegorisch wohl ganz gut abgebildet: Freude, weil ein CSU-Sieg in Nürnberg in die Kategorie "denkbar, aber unwahrscheinlich" gehört; Wahnsinn, weil König sich im Wahlkampf in Quarantäne hatte begeben müssen und seinen Sieg weder auf einer Party noch in der Parteizentrale feiern konnte.

Königs Restjahr ging dann noch aufwühlend weiter: Die Grünen wollten nicht dem Rathausbündnis angehören, König konnte das nicht verhindern; beide Karstadt-Filialen sollten schließen, das konnte König verhindern; eine Jury wollte Nürnberg nicht als Europas Kulturhauptstadt, das konnte König ebenso wenig verhindern wie die pandemiebedingte Absage des Christkindlesmarktes; und das Projekt Konzertsaal drohte "vom Traum zum Albtraum" (O-Ton König) zu werden, erwartbar explodierender Kosten wegen, das wusste König zu verhindern - vorläufiges Ende eines Wunschgedankens. In der Stadtchronik dürfte der Eintrag 2020 einer der spektakuläreren der Nachkriegsgeschichte werden.

Ähnlich Aufregendes hatten Nürnbergs Nachbarstädte nicht zu bieten, Auffälligkeiten bot die Wahl in Franken aber schon. In Fürth zeigte Amtsinhaber Thomas Jung, dass man als Sozialdemokrat in Bayern dreimal hintereinander mehr als 70 Prozent bekommen kann. Und in Hof folgte Eva Döhla (SPD) ihrem Vater im OB-Amt - wobei dazwischen ein CSU-Mann den Job innehatte. Auch in anderen Regionen Bayerns brachte die Wahl teils Überraschendes. So in Ingolstadt: Da hat die SPD der CSU nach gut vier Jahrzehnten den OB-Sessel abgenommen, Christian Scharpf gewann in der Stichwahl gegen Amtsinhaber Christian Lösel. Als Scharpf 2019 begann, sich als kommender SPD-Rathauschef ins Rennen zu wagen, sich unter roten Sonnenschirmen vor Supermärkte stellte oder satirische Abende abhielt, dachten viele Ingolstädter erst genau das: Satire. Ein Roter im schwarzen Ingolstadt? Nahezu undenkbar. Doch der Kandidat, der einen "politischen Klimawandel" in der zerstrittenen Lokalpolitik versprach, gewann peu à peu an Zustimmung - Skandale der Vorjahre, vor allem Vetternwirtschaft von Lösels CSU-Vorgänger, spielten durchaus eine Rolle dabei.

Affären hatte es ja zuvor auch in Regensburg gegeben - dort kam Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD), die bereits den wegen Korruptionsvorwürfen suspendierten OB Joachim Wolbergs vertreten hatte, offiziell ins Amt. Augsburg hat nun erstmals eine Oberbürgermeisterin: Eva Weber (CSU).

Die Wahlbeteiligung lag trotz Pandemie etwa höher als 2014

Parteianalysen gestalten sich nach Kommunalwahlen stets schwierig, auch 2020 fühlte sich jeder irgendwie als Sieger. Seine CSU habe "sehr vernünftig abgeschnitten", meinte Parteichef Markus Söder. In der Tat wurden zum Beispiel viele Landräte gehalten, in Kreistagen und Stadträten hat man aber oft mehrere Sitze verloren. Die Grünen haben in Gremien fast überall zugelegt; bei Wahlen in exekutive Ämtern aber - anders als erwartet - nicht viel gerissen. Auch SPD und Freie Wähler konnten sich, pickte man das Passende heraus, als Wahlgewinner fühlen. Die AfD war auf Gemeindeebene nur selten angetreten, in nahezu allen Kreisen hat sie aber jeweils ein paar neue Sitze erreicht. Kein Triumph, jedoch hatte die Parteispitze wohl recht mit der Mitteilung, man sei jetzt "in der Fläche angekommen". Die FDP freute sich über ihren wiedergewählten OB Alexander Putz in Landshut; der aber trat später aus der FDP aus, im Streit über deren Ansichten zur Corona-Krise. Sonst war das Ergebnis, abgesehen von wenigen Hochburgen, mau.

Gesamtergebnis der im Landtag vertretenen Parteien in den kreisfreien Städten und Kreistagen (ohne gemeinsame Wahlvorschläge): CSU 34,3 Prozent, Grüne 16,8, SPD 13,7, AfD 4,7, FW (als Landesvereinigung Freie Wähler) 4,1 und FDP 2,7. Die Wahlbeteiligung lag mit gut 59 Prozent etwas höher als 2014 - trotz der Pandemie.

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SZ vom 31.12.2020
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