Ungewollte Wahlhilfe:Die AfD als Bürgermeistermacher

Ein Plakat der AfD Alternative fuer Deutschland mit der Aufschrift Mut zu Deutschland haengt an ei

Nur eine Stimme hat die AfD im Stadtrat von Höchstadt. Offiziell will keiner mit ihr zu tun haben. Nachdem aber eine Stimme darüber entschieden hat, wer Zweiter Bürgermeister wird, sonnt sich die Partei in Selbstzufriedenheit und bekennt öffentlich, wem sie in geheimer Wahl ihre Stimme gegeben hat.

(Foto: imago)

Die entscheidende Stimme kommt in Bayreuth womöglich von der rechten Partei, in Höchstadt sehr wahrscheinlich. Die gewählte Grüne nimmt die Wahl nicht an, der gewählte SPDler will trotz Rücktrittsforderungen im Amt bleiben.

Von Olaf Przybilla

Natürlich hat Sabine Steininger, 54, mit sich gerungen. Dritte Bürgermeisterin von Bayreuth, ein Amt an der Stadtspitze, das wäre eine Krönung ihrer kommunalpolitischen Laufbahn gewesen. Und die grüne Stadträtin war ja bereits gewählt, keiner hätte ihr das Amt mehr streitig machen können. Die Mehrheit aber - 21 zu 20 Stimmen - war ihr nicht ausreichend. Bürgermeister werden von Stadträten geheim gewählt, wer wem seine Stimme gibt, ist nicht bekannt - solange keiner selbst darüber Auskunft gibt. Für Steininger, Bayreuther Bürgermeisterin für ein paar Augenblicke, war das alles zu ungewiss. Wer hätte schon ausschließen können, dass einer der zwei AfD-Vertreter im Stadtrat ihr eine Stimme gegeben hat? Und was tun, wenn sich die AfD womöglich hernach brüstet, dass Steininger nur mit ihrer Stimme gewählt worden ist - eine grüne Bürgermeisterin von AfD-Gnaden? Für Steininger war das eine Horrorvorstellung. Sie lehnte die Wahl ab.

Und hat, gerade mit dem Blick auf das mittelfränkische Höchstadt an der Aisch, rückblickend "alles richtig gemacht", sagt sie. Dort, 60 Kilometer südwestlich von Bayreuth entfernt, blamieren sich die Sozialdemokraten gerade bis auf die Knochen. Einer der ihren, der langjährige Zweite Bürgermeister Günter Schulz, dürfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit lediglich deshalb in sein Amt gewählt worden sein, weil ihm der einzige AfD-Vertreter in geheimer Wahl seine Stimme gegeben hat. In Höchstadt kommt das Lager aus der freien Wählergruppierung Junge Liste (JL) und der SPD auf zwölf Stimmen, CSU und Grüne auf der anderen Seite auf ebenfalls zwölf Stimmen. Zum Zweiten Bürgermeister gewählt wurde Günter Schulz, ein 70-Jähriger, der bereits seit 18 Jahren Zweiter Bürgermeister ist. Er bekam 13 Stimmen.

Was danach passiert ist in Höchstadt an der Aisch, entspricht exakt jenem Drehbuch, das sich Sabine Steininger zuvor in Bayreuth als Horrorszenario ausgemalt hatte. Nach der Wahl von Schulz zum Zweiten Bürgermeister hatten die Sozialdemokraten dort zunächst händeringend argumentiert, die Wahl sei bekanntlich geheim und es sei ja nicht auszuschließen, dass Schulz auch eine Stimme aus dem anderen Lager bekommen habe. Dann aber trat Christian Beßler, der AfD-Mann im Stadtrat von Höchstadt, fast genüsslich an die Öffentlichkeit und erklärte, wen er selbst zum Zweiten Bürgermeister gewählt habe: Schulz nämlich. Er, Beßler, mache "keinen Hehl daraus", dass er Schulz "für den kompetenteren Kandidaten" halte. Zudem habe sich Schulz ihm und seiner Partei gegenüber "immer fair verhalten". Und so sei das Parteibuch von Schulz für ihn "letztendlich nicht entscheidend" gewesen, schrieb Beßler auf der Internetseite seines AfD-Kreisverbands. Auch den Dritten Bürgermeister habe er im Übrigen gewählt - die AfD als gnädiger Bürgermeistermacher.

Sabine Steininger interessiert sich sonst eher weniger für die Kommunalpolitik in Höchstadt mit seinen 13 000 Einwohnern. Momentan aber umso mehr: "Genau das, was dort nun passiert ist, wollten wir vermeiden", sagt sie. Wobei für sie die Vorstellung, dass sich ein Sozialdemokrat mit der Gnade einer Partei mit rechtsradikalen Zügen ins Amt wählen lässt, fast unvorstellbar ist. Die SPD? Bei deren Geschichte?

Auf die Historie der Sozialdemokratie muss man Mechthild Weishaar-Glab nicht eigens aufmerksam machen, die kennt sie selbst. Wer sich mit der Chefin der Höchstadt-SPD unterhält, erlebt eine Frau im Ausnahmezustand. "Uns zerreißt es", sagt sie. Seit AfD-Mann Beßler seine Erklärung abgegeben hat, gebe es im Vorstand der örtlichen SPD aber keine zwei Meinungen mehr: Die "ausschlaggebende Stimme" stammte offenbar von der AfD, Schulz müsse sein Amt sofort abgeben, sagt Weishaar-Glab. SPD-Vorstandsmitglied Norbert Holler bestätigt dies. "So hart es ist", sagt er, "wir können das nicht vertreten." Schulz müsse zurücktreten. Auch SPD-Landeschefin Natascha Kohnen fordert das.

Der aber denkt gar nicht daran. "Ich habe gegen nichts verstoßen", sagt Schulz am Montag der SZ. Es habe weder vor der Wahl noch danach "Gespräche mit der AfD" gegeben, er habe sich nichts zu schulden kommen lassen. Überdies bekomme er nicht nur negative Rückmeldungen, sondern auch Zustimmung, sagt Schulz: "Tritt ja nicht zurück." Dass er auch schon mal an einer Mahnwache gegen die AfD teilgenommen hat, bestätigt der ehemalige Polizeibeamte. Er habe sich damals unter anderem informieren wollen, wie so etwas ablaufe.

Auch Sabine Steininger hat unterschiedliche Reaktionen bekommen auf ihren Verzicht. Es gab Wortmeldungen, die ihr Verhalten "unprofessionell" nannten, man habe eine Stimme an die Grünen "verschenkt". Die große Mehrheit aber, erzählt sie, habe ihr gratuliert. Steininger ist weiterhin Stadträtin, sie würde es wieder so machen. Sie habe schlicht zeigen wollen, "dass es auch anders geht in der Politik".

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