Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:"Landrätin" und "Bürgermeisterin"? Gibt's ja gar nicht

Zumindest ist auf bayerischen Wahlzetteln nur die männliche Form vorgesehen. Die Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr will das ändern, weil Sprache das Denken beeinflusst.

Von Lisa Schnell

Am meisten haben Rita Röhrl die Briefe geärgert. "Sehr geehrter Bürgermeister" las sie da und zwar regelmäßig. Dass in Teisnach in Niederbayern jemand von der SPD gewählt wird, das war für manche eine kleine Sensation, dass diese Person dann auch noch eine Frau ist, schien vielen offenbar schier unmöglich zu sein. Röhrl warf alle Briefe an ihren nicht existenten männlichen Doppelgänger einfach weg - unbeantwortet. "Da reagier' I zapfig", sagt sie. Das war damals so, 1990 als sie Bürgermeisterin war. Und das ist jetzt so, seit Röhrl Landrätin von Regen ist.

Sie ist eine von fünf Frauen unter 71 Landräten und - Achtung - Landrätinnen. Rein formal betrachtet aber bräuchte es die weibliche Nennung gar nicht. Rechtlich nämlich ist es im Freistaat so, wie es die Briefeschreiber an Röhrl instinktiv vermuteten: Bei den Kommunalwahlen am 15. März wird ein "Bürgermeister" gewählt und ein "Landrat". Das war's. So steht es auf den Wahlzetteln. Nichts mit "-innen" in Bayern oder gar mit Sternchen. Dass andere Länder das anders machen, Nordrhein-Westfalen etwa? Ist vielen egal. Ilse Aigner (CSU) etwa. Emanzipation ist schon ihr Thema. Als Landtagspräsidentin hat sie ein parteiübergreifendes Frauenfrühstück initiiert. Die rein männlichen Wahlzettel aber? Regen sie weniger auf.

Simone Strohmayr umso mehr: "Hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts kann es nicht sein, dass sich Frauen für ein Amt bewerben, dass keine weibliche Amtsträgerin vorsieht", sagt die SPD-Abgeordnete. Strohmayr sieht sogar einen Nachteil für Frauen. Sprache habe einen erheblichen Einfluss auf unser Denken, sagt sie, das hätten viele Studien gezeigt. Eva Lettenbauer von den Grünen veranschaulicht das gerne mit zwei Sätzen: Sitzen zwei Chirurgen in der Bar. Einer davon ist schwanger. Schwanger? Das passe irgendwie nicht zu dem Bild, das man im Kopf hatte, oder? Frauen dürften nicht nur mitgemeint sein, sondern müssten direkt angesprochen werden, sagt Lettenbauer. Ansonsten werde die Wahlentscheidung beeinflusst. Sogar Julika Sandt von der quotenkritischen FDP will die Wahlzettel ändern. Soweit die Stimmen aus dem Landtag. Nur: Was sagen die Kandidatinnen in den Kommunen? Rita Röhrl etwa?

Schon beim ersten Wort ist klar, was sie vom Gendern hält. Sie sei "kein Freund" davon, sagt Röhrl, eine Freundin übrigens auch nicht. Dass Frauen als weniger geeignet angesehen werden, weil formal nur ein Mann gewählt wird, glaubt sie nicht: "Sonst hätte ich auch nicht gewählt werden dürfen." Ändern sollte man die Wahlzettel ihrer Meinung nach trotzdem. Sie denkt da vielleicht an die Briefe, die sie als Bürgermeisterin bekam und sagt: "Ein Signal, dass auch Frauen solche Ämter ausüben, finde ich gut."

Birgit Weber, Zweite Bürgermeisterin von Coburg (CSU), kann zuerst gar nicht glauben, dass in Bayern nur die männliche Form erwähnt ist. Bei ihr im Stadtrat würden immer Frauen und Männer angesprochen: "Vielleicht ist Franken da emanzipierter?" Für das Oberbürgermeister-Amt treten in Coburg zwei Frauen an und sieben Männer. Das auch formal zu berücksichtigen, sei nur zeitgemäß, sagt Weber: "Da muss man einfach Mehrheiten finden."

Die Stimme von Tamara Bischof (Freie Wähler), der Landrätin von Kitzingen, hätte sie nicht. Bischof zitiert ein Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs von 2018. In dem steht, dass Wahlgesetze "im Allgemeinen als auch geschlechtsspezifisch neutral gehalten sind" und Kandidatinnen durch diese "rechtlich-formale Betrachtungsweise" nicht in ihren Rechten verletzt würden. Dazu kommt noch ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus demselben Jahr, das klar machte: Frauen haben kein Recht darauf in Formularen als Frauen angesprochen zu werden. Die rechtliche Untermauerung fällt lang aus, die Meinung kurz: Wie weiblich ein Wahlzettel daherkommt, ist Bischof egal.

Dass die Wahlzettel-Frage nichts mit Parteizugehörigkeit zu tun hat, zeigt Tanja Schweiger. Auch sie ist bei den Freien Wählern, auch sie ist Landrätin und zwar von Regensburg. Näher als ihrer Parteikollegin aber fühlt sie sich in der Frauenfrage SPD-Frau Röhrl. Wie die kann sich Schweiger aufregen über die Landrätetagungen. "Sehr geehrte Landräte", so werde sie da immer begrüßt, außer vielleicht, wenn Röhrl das Wort hat. "Das hat was mit Wertschätzung zu tun. Da ist noch viel Luft nach oben", sagt Schweiger. Es sei notwendig, den Wahlzettel an die Realität anzupassen. Und mit einem Augenzwinkern fügt sie an, dass das derzeit ja wohl kein Problem sein dürfte: "Nachdem der Ministerpräsident auf so viel Frauen im Kabinett Wert legt, wird er bestimmt auch da nachbessern."

Nötig wäre eine kleine Anpassung des Wahlgesetzes. So sagt das Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und zwar genau an dem Tag, als der Landtag ein Kabinett bestätigt, in dem zum ersten Mal unter den von der CSU gestellten Ministerämtern genauso viele von Frauen besetzt sind wie von Männern. Nur ein paar Stunden, nachdem Ministerpräsident Markus Söder "ein bewusstes Signal an die Gleichberechtigung" ausrief, also die Frage an Herrmann: Was hält er davon, die weibliche Form auf die Wahlzettel zu schreiben? Man erinnert sich an ein Schreiben aus seinem Ministerium. Die rein männliche Form diene "der besseren Lesbarkeit und Übersichtlichkeit der Stimmzettel", heißt es da auf eine Anfrage von Strohmayr. Eher pro forma also noch mal die Frage an den Minister selbst, der glatt antwortet: "Ich bin da offen." Nach der Kommunalwahl würden die Wahlgesetze eh auf eine Novellierung überprüft, sagt Herrmann, und: "An mir soll es nicht scheitern."

Rita Röhrl übrigens steht in diesem Jahr nicht zur Wahl, da sie nach dem Rückzug von Michael Adam 2017 erst ins Amt kam. Regen ist 2023 wieder dran, einen Landrat zu wählen. Zum ersten Mal könnten die Menschen dann vielleicht sogar eine Landrätin wählen.

In einer früheren Fassung wurde ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert, das Frauen das Recht abspricht, in Formularen mit der weiblichen Ansprache adressiert zu werden. Es handelt sich aber um ein Urteil des Bundesgerichtshofs.

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SZ vom 10.02.2020/vewo
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