Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Bayern:Grüne Ernüchterung

Lesezeit: 3 min

Krisen sind keine gute Zeit für Experimente. Das hat bei der Kommunalwahl den Amtsinhabern genutzt.

Kommentar von Nina Bovensiepen

In unsicheren Zeiten wünschen sich Menschen Sicherheit. Deshalb wählt man in Krisen bewährtes politisches Führungspersonal nicht aus dem Amt - nach diesem Motto haben bei der bayerischen Kommunalwahl Wählerinnen und Wähler ihre Kreuze gemacht. Zwar wurden viele Oberbürgermeister in Stichwahlen geschickt, aber etliche Amtsinhaber holten schon im ersten Wahlgang viel mehr Stimmen, als das vor Kurzem zu erwarten war. So etwa in München, wo der Sozialdemokrat Dieter Reiter nur knapp die absolute Mehrheit verfehlte und wo die Grüne Katrin Habenschaden es überraschend nicht mal auf Platz zwei schaffte.

Woanders lief es ähnlich. Aus Wählersicht ist das eine menschliche, nachvollziehbare Entscheidung. Es war dies ja eine höchst ungewöhnliche Volksabstimmung, so kurz, nachdem Deutschland in den Krisenmodus geschaltet hat. Ein Wahlsonntag, von dem manche dachten, dass er gar nicht mehr stattfinden würde. Einer mit jeder Menge abgesagter Wahlpartys. Dieter Reiter plante noch vor wenigen Tagen, nach der Stimmabgabe am Sonntag mit einer Irish-Folk-Band beim St. Patrick's Day am Odeonsplatz inmitten der Stadt aufzutreten. Abgesagt natürlich, völlig unvorstellbar inzwischen. Am Wahltag gingen Reiter und viele andere bayerische Wahlkämpfer abstimmen - und dann alsbald nach Hause.

In München war die Wahl auch das: eine merkwürdige Hauruckaktion

Sozialkontakte meiden statt Wählerhände schütteln, wie ungewohnt! Aber es ist gut und die wichtigste Botschaft des Sonntags, dass die Wahl stattgefunden hat - auch wenn in München in einer fragwürdigen Hauruckaktion von Samstag auf Sonntag noch Lehrer als Wahlhelfer rekrutiert wurden. Demokratie muss Zeichen setzen. Ein verschobener Urnengang wäre ein schlechtes Signal gewesen, das Unsicherheit verstärkt hätte.

Neben gewohnten Ritualen hat die Pandemie auch die ursprüngliche Agenda der Wahlkämpfer in rasend schneller Zeit über den Haufen geworfen. Monatelang waren die Klimarettung, die Wohnungsnot, der Verkehrskollaps die zentralen Themen. Dann kam Corona über Land und Freistaat. Plötzlich geht es ums große Ganze - um die Gesundheit, ums Leben. Der Alltag kreist darum, wie bayerische Familien in den (zunächst) fünf folgenden Wochen ihr Leben organisieren sollen, wenn Schulen und Kitas geschlossen sind, wenn zugleich Kinder bespaßt werden wollen und Geld verdient werden muss. Die Wahlsieger werden den Bürgern zudem in dieser Woche vermitteln müssen, dass Bayern noch stärker in den Ausnahmezustand geht, dass Bäder, Bars und Lokale schließen. Währenddessen bricht vielen Menschen und Betrieben längst die wirtschaftliche Existenz weg, weil bei Künstlern und Selbständigen Aufträge storniert werden, weil Firmen entlassen, weil Gäste in Hotels ausbleiben.

In dieser Zeit geht der Blick aufs Wesentliche, Krisen sind keine Zeit für Experimente. Ernüchternd ist dies für die Grünen. Die monatelang gehegte Hoffnung, in viel mehr Rathäusern die Macht zu übernehmen, ist perdu. Die Corona-Krise hat die Waagschale vielerorts zugunsten von Amtsinhabern oder Herausforderern aus CSU und SPD gesenkt. Auch in Nürnberg, Ingolstadt und Regensburg kommt es zu Stichwahlen ohne die Grünen.

Vertrauensbeweis für das etablierte Personal

Das etablierte Personal hat bei dieser ersten deutschen Wahl in Corona-Zeiten einen Vertrauensbeweis erhalten. Das dürfte auch daran liegen, dass die Handelnden in Kommunen wie im Freistaat, unabhängig von Parteizugehörigkeit, in den Krisenwochen besonnen und beherzt zugleich agiert haben. Das war vorbildlich. Nun müssen die Wahlsieger das fortsetzen. Die Arbeit auf dem Land und in den Städten wird sich zunächst in erster Linie auf die unmittelbare Bekämpfung des Virus und seiner Folgen konzentrieren.

Zügig werden aber auch alte und neue Probleme nach vorne dringen. Der Mietwahnsinn in den Metropolen beispielsweise. Schon heute können viele Menschen sich das Wohnen in einer Stadt wie München kaum leisten. Wenn Bürger nun, und sei es nur zeitweise, ihre Arbeit verlieren, bringt das die Betroffenen in Not. Die Arbeitslosigkeit wird auch im diesbezüglich verwöhnten Bayern steigen, Steuereinnahmen werden sinken. Das Geld für wichtige Infrastrukturprojekte wird knapper.

Ausgerechnet eines der populärsten Themen, die Klimarettung, der sich sehr öffentlichkeitswirksam auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verschrieben hatte, dürfte übrigens vorerst in den Hintergrund treten. Vom Bäumepflanzen und Bienenretten wird in nächster Zeit weniger die Rede sein.

Wer hätte solch einen Wandel der politischen Agenda vor ein paar Wochen für denkbar gehalten? Der Auftrag an die bayerischen Wahlsieger ist gewaltig.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2020
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