Süddeutsche Zeitung

Millionenhilfe:Fürackers milde Gaben

In einem alljährlichen Ritual werden im Heimatministerium Geldsummen an verarmte Gemeinden überreicht. Die Kommunalpolitiker spielen mit, doch das ganze Prozedere wirft Fragen auf.

Von Claudia Henzler

Alle Jahre wieder findet im Nürnberger Heimatministerium ein seltsames vorweihnachtliches Ritual statt. Der amtierende Finanzminister empfängt Bürgermeister aus verarmten Gemeinden und überreicht ihnen, als wäre er halb Glücksfee und halb Nikolaus, ein Papier, auf dem eine Geldsumme steht. Es handelt sich um die sogenannte Stabilisierungshilfe fürs zu Ende gehende Jahr. Dann gibt es noch ein Foto mit Minister und Förderbescheid für jeden einzelnen Bürgermeister oder Landrat und noch ein paar Gruppenaufnahmen. Von der feierlichen Übergabe, die Ende November in Nürnberg stattfand, kann man sich auf der Presseseite des Ministeriums 149 verschiedene Bilder von Albert Füracker (CSU) mit dankbaren Empfängern herunterladen.

Die Kommunalpolitiker spielen mit, doch man darf trotz dieser Inszenierung nicht vergessen, dass dieses Förderprogramm überwiegend von den bayerischen Gemeinden finanziert wird und nicht aus dem Staatshaushalt. Von den 144 Millionen Euro, die im Jahr 2018 an insgesamt 146 Kommunen verteilt wurden, stammen knapp 100 Millionen aus dem Kommunalanteil am allgemeinen Steuerverbund. Das ist der Topf, aus dem die sogenannten Schlüsselzuweisungen gezahlt werden, eine bedeutende Einnahmequelle für all jene bayerische Gemeinden, die nicht als superleistungsfähig gelten - und das sind die meisten. Schlüsselzuweisungen sind für Kommunen gedacht, die ihre Aufgaben nicht allein aus den eigenen Steuereinnahmen stemmen können, etwa weil sie wie Nürnberg stark wachsen und reihenweise neue Schulden und Kindergärten bauen müssen. 2018 haben 1798 bayerische Städte und Gemeinden Schlüsselzuweisungen bekommen, nur 258 nicht.

Viele Kämmerer könnten mehr Geld gut gebrauchen, trotzdem stellen die bayerischen Kommunen als Solidargemeinschaft Geld für die allerärmsten zur Verfügung, von denen die meisten an der ehemaligen Zonengrenze liegen. Empfänger der Stabilisierungshilfen sind in der Regel überschuldete Gemeinden, die ihre Tilgungsraten nicht aus den eigenen Einnahmen bestreiten können. Sie sollen ihre Schulden abbauen und wieder handlungsfähig werden.

Das Geld wird jedes Jahr von einem Verteilerausschuss vergeben, dem das Finanzministerium und das Innenministerium angehören sowie alle vier kommunalen Spitzenverbände. Die potenziellen Empfänger müssen sich bewerben und mehrere Kriterien erfüllen: eine signifikant unterdurchschnittliche Steuerkraft, drastische Einwohnerverluste, ein deutlicher Rückgang von Arbeitsplätzen und erheblicher Konsolidierungswille.

Letzteren nachzuweisen ist oft ein Knackpunkt, wie das Beispiel Wunsiedel zeigt. Die Stadt im Fichtelgebirge führt jedes Jahr harte Auseinandersetzungen mit der Rechtsaufsicht, weil sie nicht nur Schulden abbauen, sondern auch investieren will, um neue Einwohner zu gewinnen und die eigene Perspektive langfristig zu verbessern. Für das Jahr 2018 ist dieses Ringen noch nicht abgeschlossen - die Entscheidung über den Antrag auf Stabilisierungshilfe wurde für die Stadt Wunsiedel aufs neue Jahr verschoben. Zuletzt hat sie jeweils um die 3,5 Millionen Euro bekommen. Für eine Stadt mit einem 25-Millionen-Haushalt und fast doppelt so hohen Schulden kein unwesentlicher Betrag.

Den höchsten Bescheid konnte 2018 die ebenfalls vom Strukturwandel geplagte Stadt Weiden in der Oberpfalz von Minister Füracker entgegennehmen: Ihr wurden neun Millionen Euro zugesprochen, nach sieben Millionen im Vorjahr. Bei der Mehrzahl der Gemeinden geht es um deutlich geringere Beträge, in einigen Fällen sind es nur 100 000 oder 200 000 Euro. Denn auch wenn der Topf für Stabilisierungshilfen von ursprünglich 100 Millionen Euro aufgestockt wurde, muss das Geld auf bis zu 200 Empfänger verteilt werden.

In kleinen Haushalten können die Beträge eine größere Wirkung entfalten. Es wundert daher nicht, dass der damalige Finanzminister Markus Söder 2016 folgende Bilanz zum 2012 eingeführten Instrument zog: "Besonders effektiv waren die Stabilisierungshilfen bei Kommunen mit bis zu fünftausend Einwohnern." Hier hätten 80 Prozent ihre "Schulden abbauen" können, was nicht näher definiert wurde. Damals wurde die Beschränkung auf fünf Förderjahre pro Gemeinde aufgehoben. Der Schuldenabbau dauert länger als gedacht.

Eine echte Evaluierung dieses Förderinstruments gibt es nicht. Das Finanzministerium verfügt nach eigenen Angaben noch nicht einmal über eine Tabelle, in der aufgelistet ist, welche Kommune seit 2012 welche Beträge bekommen hat. Man mag das nicht glauben, schließlich ist Bayern kein Dritte-Welt-Land. Doch es passt zum nikolaushaften Übergaberitual, und es passt zu der Auskunft, die der frühere SPD-Abgeordnete Herbert Kränzlein Anfang 2018 von der Staatsregierung bekommen hat (Drucksache 17/21538). Kränzlein hatte sich eine aussagekräftige Übersicht über die Empfänger der zahlreichen Hilfsprogramme für Kommunen gewünscht. Statt verwertbaren Tabellen schickte man ihm nur einen unnützen Wust an Prosa und Zahlensalat.

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SZ vom 02.01.2019/infu
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