König Ludwig III. von Bayern:"Majestät, gengans hoam"

Service

Eine frühe Aufnahme der Familie des Prinzen Ludwig und seiner Frau Marie Therese. 1913 wurde das Familienoberhaupt König von Bayern. Das Paar hatte 13 Kinder, zum Zeitpunkt der Revolution waren vier schon tot.

(Foto: Veranstalter/oh)

Ein Drama von shakespeare'scher Wucht: Die neu entdeckten Tagebücher der Prinzessin Wiltrud von Bayern schildern die Revolution von 1918/19 aus der Sicht der hinweggefegten Monarchie.

Von Hans Kratzer

In wenigen Tagen ist in Bayern Landtagswahl, und im Medienbetrieb herrscht eine Aufgeregtheit, als stünde eine Revolution bevor. Doch reichen die Scharmützel des Wahlkampfs nicht ansatzweise an jene Verwerfungen heran, die das Land vor einhundert Jahren heimgesucht haben. In jenem Schicksalsjahr 1918, in dem die bayerische Monarchie nach 738 Jahren über Nacht hinweggefegt wurde. Dieser Umsturz markiert eine der tiefsten Zäsuren der Landesgeschichte, er sollte ungeahnte Folgen haben.

In herkömmlichen Darstellungen tragen die Ereignisse der Revolution von 1918/19 hie und da eine folkloristisch gefärbte Patina. Es ist deshalb kein Schaden, die Brutalität des Geschehens aus der Sicht von Betroffenen nachzuvollziehen. Die Autorin Christiane Böhm ist im Geheimen Hausarchiv der Wittelsbacher auf Tagebücher und schriftliche Erinnerungen der Königstochter Wiltrud gestoßen. Nun hat sie deren packende Schilderungen aus den Revolutionstagen publiziert, ergänzt durch eine Reihe bislang unbekannter Fotografien.

Des letzte bayerische König stand politisch schwer unter Druck

Der Verleger Thomas Endl sagt, die Texte ließen den Leser in ein Drama von shakespeare'scher Wucht eintauchen. Man kann ihm da kaum widersprechen. Es wird ja gerne erzählt, ein Arbeiter habe am Nachmittag des 7. November 1918 dem ahnungslos im Hofgarten spazierenden König zugerufen: "Majestät gengans hoam, Revolution is, sonst passiert eahna was!" So simpel war die Lage freilich nicht, erst recht nicht für die Familie Ludwigs III., des letzten bayerischen Königs. Der stand politisch schwer unter Druck, seine Frau lag sterbenskrank darnieder, und die neun noch lebenden Kinder hatten Angst, ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie die russische Zarenfamilie, die einige Monate zuvor von Bolschewiken ermordet worden war.

Die damals 34-jährige Königstochter Wiltrud war eine sensible Beobachterin, sie deutete viele Entwicklungen richtig. Ihre Aufzeichnungen bestätigen, dass die Revolution keineswegs über Nacht aufgeflammt ist. Schon im Oktober 1918 schilderte Wiltrud, wie sehr es in München brodelte. "Man muss jetzt mit allem rechnen", schrieb sie. Drohbriefe erreichten die Königsfamilie. Am 1. November notierte sie: "Ich bin auf die Revolution gefasst."

Christiane Böhm ergänzte die Erinnerungen Wiltruds durch Berichte ihrer Schwestern Helmtrud und Hildegard sowie durch Aufzeichnungen der Hofdame Fanny Scheidl. Dadurch gewinnt die Darstellung an Dichte und Fülle. Alle vier Frauen schildern den Zug der Volksmassen mit ihren roten Fahnen durch die Residenzstraße. "Alles wogt", notierte Hildegard, "die Lakaien und Jungfern gaffen am offenen Fenster und kriegen Fäuste herauf." "Meist waren es Fabrikmädln und halberwachsene Burschen", schrieb Wiltrud. "Nieder das Haus Wittelsbach", skandierten sie. "Die Republik soll leben."

Die Minister rieten dem König, München zu verlassen. Die Flucht war begleitet von grotesken Pannen, ein Indiz für die morsch gewordene Monarchie. "Alles kam so überraschend, nichts war vorbereitet", notierte Wiltrud in ihrem Tagebuch. In drei defekten Automobilen ohne Luft in den Reifen und ohne Licht setzte sich die königliche Familie am Abend des 7. November in Richtung Süden ab. Bei Nebel schlitterte der Wagen, in dem der König saß, nahe Rosenheim in einen Acker, aus dem ihn ein Bauer erst nach gutem Zureden mit Pferden herauszog. Der Wagen der Töchter streikte auf einer anderen Straße. Die Frauen marschierten zu Fuß nach Maxlrain weiter, wo sie spätnachts gnädige Aufnahme fanden. "Vor einigen Stunden in Prunkräumen unter Lüstern, und jetzt allein als Bettler um Obdach vor einer Schlosspforte", bilanzierte Wiltrud ihre Not. Der Chauffeur des Königs hatte einer Bäuerin "für sündteure 20 Mark" eine Petroleumlampe abgekauft und am Kühler befestigt, damit der Wagen wenigstens ein bisserl Licht abstrahlte. Gegen Morgen erreichte er das im Familienbesitz befindliche Schloss Wildenwart, wo der König und seine Angehörigen Tage später wieder vereint waren.

König Ludwig III. von Bayern: Königstochter Wiltrud (1884-1975) schildert im Tagebuch die Revolutionswirren von 1918/19.

Königstochter Wiltrud (1884-1975) schildert im Tagebuch die Revolutionswirren von 1918/19.

(Foto: Archiv Christiane Böhm)

Der Revolutionsführer Kurt Eisner hatte inzwischen den Volksstaat Bayern ausgerufen. Ludwig III. war aber noch offizielles Staatsoberhaupt, die neue Regierung musste den König zur Abdankung zwingen. Soldatenräte waren hinter der Familie her, die Wildenwart deshalb schnell wieder verließ. Man flüchtete getrennt, litt aber unisono an Verzagtheit und Mittellosigkeit. Dass beim Verlassen der Residenz vergessen wurde, für den König Wäsche mitzunehmen, dass Wiltrud incognito im Zugabteil III. Klasse saß und von den Sitznachbarn grobe Schmähungen ihrer Familie mithören musste, war dabei eine geringere Last als die ständige Angst, von Revolutionären entdeckt zu werden.

Im österreichischen Exil im Schloss Anif entband Ludwig III. am 12. November Beamte, Offiziere und Soldaten von ihrem Treueeid. Er dankte aber nicht ab. Eisner interpretierte dieses Schreiben trotzdem als Thronverzicht und erlaubte der Königsfamilie, sich in Bayern wieder frei bewegen zu dürfen.

Nach dem Tod der Königin und der Ermordung Eisners im Februar 1919 begab sich die Familie Ludwigs III. aus Furcht vor Repressionen abermals auf die Flucht. Wiltrud blickte mit Abscheu auf die Zustände in München: "Ich verliere alle Achtung vor diesem Deutschland und Bayern." Ihre Mutter hatte sich bis zum Tod ein Gottvertrauen bewahrt. Als Fanny Scheidl über "die freche Bande in München" schimpfte, wurde sie von der Königin ermahnt: "Scheidl, seien sie ruhig. Was Gott schickt, muss man ruhig ertragen, es darf der Mensch nicht murren."

Eben noch unter Kronleuchtern . . . Die Revolution 1918/1919 aus Sicht der bayerischen Königstöchter. Herausgegeben von Christiane Böhm, Edition Luftschiffer, 180 Seiten, 18 Euro.

Zur SZ-Startseite

100 Jahre Freistaat Bayern
:Ein Staatsbürger, fast wie alle anderen

Das Haus Wittelsbach herrschte 738 Jahre lang über Bayern. Mit der Proklamation des Freistaats 1918 hat die Familie offiziell keinen politischen Einfluss mehr. Doch hohes Ansehen genießt sie noch immer.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: