König Ludwig II.:Strenge Zucht und gnädig kalte Worte

Verglichen mit den harten Erziehungsmethoden, unter denen der bayerische König Ludwig II. zu leiden hatte, wirkt sogar die moderne Drillpädagogik noch harmlos.

Hans Kratzer

Bildung, Erziehung, Manieren - stakkatomäßig prasseln diese Schlagwörter in diesen Tagen auf die Talkshowgucker hernieder, in Deutschland ist wieder einmal eine Wertediskussion im Gange.

Stellen wir uns bloß einmal vor, der frühere bayerische König Maximilian II. (1811-1864) und seine Frau, Königin Marie (1825-1889), würden aus dem Jenseits zurückkehren und sich staunend vor einem Fernsehgerät niederlassen. Vermutlich würden sie zu der Überzeugung gelangen, dass sich erziehungstechnisch seit dem 19.Jahrhundert nichts geändert hat.

Sie würden die amerikanische Hochschullehrerin Amy Chua erleben, die mit ihrem Buch ("Die Mutter des Erfolgs. Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte") eine Diskussion über mehr Drill in der Kindererziehung losgetreten hat. Das bayerische Königspaar würde sich bestätigt sehen. "Kinder müssen streng und mit harter Hand erzogen werden", würden Maximilian und Marie sagen, warum redet ihr darüber?

Bayerische Königskinder des 19. Jahrhunderts erlitten eine knüppelharte Erziehung, davon konnte auch der spätere "Märchenkönig" Ludwig II., der Sohn von Maximilian II. und Marie, ein Lied singen. Ludwigs Eltern hätten die Erziehung der Söhne vernachlässigt und versäumt, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen, sagten Zeitzeugen wie der damalige Kabinettssekretär Franz von Pfistermeister.

Der Historiker Karl von Heigel schrieb 1893 über die Erziehung der Brüder Ludwig und Otto: "Man ließ die Prinzen niemals ohne Aufsicht; sie mussten früh aufstehen, fleißig lernen, bekamen schmale Kost und wurden unnachsichtig bestraft, wenn sie Strafe verdienten." Auch körperliche Züchtigung gehörte zum Familienalltag. Theoretisch könnte Ludwig II. also ein gutes Anschauungsbeispiel liefern, was dabei herauskommt, wenn eine sensible Seele eine nach modernen Maßstäben unsensible Erziehung durchleidet.

Der an eiserne Disziplin, äußerste Strenge und Pflichterfüllung gewöhnte König Maximilian fand zu seinem ältesten Sohn überdies keinen Kontakt: "Was soll ich mit dem jungen Herrn sprechen? Es interessiert ihn nichts, was ich anrege", soll er einmal gesagt haben. Die Erinnerung an das kühle Verhältnis zum Vater, an einen verfehlten Erziehungsgang und an die unzureichende Vorbereitung auf das Herrscheramt habe den König zeitlebens belastet, behauptet der Historiker Rupert Hacker.

Ludwig II. gab mit mancher Äußerung Anlass für diese Einschätzung: "Meine Kindheit war eine Kette demütigender Peinigungen. Ich war gezwungen, mich dem Willen von plumpen, gefühllosen Lehrern zu unterwerfen. Was ich lernen sollte, erschien mir albern, dumpf und wertlos." Als 30-Jähriger schrieb er dem Kronprinzen Rudolf von Österreich (der sich 1889 im Schloss von Mayerling zusammen mit dem Mädchen Mary Vetsera umgebracht hat): "Stets hat mich mein Vater de haut en bas (von oben herab) behandelt, höchstens en passant einiger gnädiger kalter Worte gewürdigt."

Die wilden Gerüchte aus der Gilde der Ludwigsforscher

Gleichwohl tritt der Münchner Landeshistoriker Hans-Michael Körner hier auf die Interpretationsbremse. In einem Aufsatz über Ludwig II. warnt er vor eiligen Schlüssen bezüglich der These, dass der junge Ludwig in eine überaus strenge Zucht genommen wurde, dass eine innige Vater-Sohn-Beziehung nicht grundgelegt wurde und dass Ludwig unter der Strenge und Lieblosigkeit gelitten habe.

Körner warnt davor, einen Zusammenhang zwischen rigorosen väterlichen Erziehungsmaximen und dem behaupteten Wahnsinn des Königs "zumindest zu suggerieren". Der an der LMU München lehrende Historiker weist darauf hin, dass die Kindheitserziehung Ludwigs dem traditionellen Bildungsschema an königlichen Häusern Mitte des 19. Jahrhunderts nicht widerspricht. "Man muss vorsichtig sein", postuliert Körner, "der Topos von der angeblich freudlosen Kindheit gibt wenig her für die Erhellung des Phänomens Ludwig II".

Und doch wurde die Gilde der Ludwigsforscher von der Kindheit dieses rätselhaften Menschen in ihrer Phantasie beflügelt. Selbst heute lebt so manche Neuerscheinung zu Ludwig II. immer noch von der Wiederholung von zum Teil längst widerlegten Gerüchten, die aber wohl noch ewig weitertransportiert werden - wenn nicht doch noch Beweismittel auftauchen, wie etwa eine Haarlocke Ludwigs, die zum Beispiel in der ominösen Vaterschaftsfrage für eine DNS-Probe herangezogen werden könnte.

Leider gibt nicht nur der Tod Ludwigs II. Rätsel auf. Eigentlich begann das Mysterium dieses wundersamen Menschen schon im Geburtssaal in der Wittelsbacher Sommerresidenz Nymphenburg. Der Bub sei keineswegs am 25.August 1845 auf die Welt gekommen, raunten sich die Münchner damals zu, sondern einen, vielleicht sogar zwei Tage früher.

Am 25.August feierte König Ludwig I., der Großvater Ludwigs II., seinen Geburtstag, weshalb so mancher Zweifler mutmaßte, die Geburt sei ganz bewusst verheimlicht und auf den offiziell verkündeten Ludwigstag, 25. August (nach offiziellen Hofangaben "28 Minuten nach Mitternacht") datiert worden. Ludwig I. zumindest soll hocherfreut gewesen sein über den Kleinen, der Fortgang der Dynastie der Wittelsbacher war gesichert. Der König war jetzt 59 Jahre alt, drei Jahre später sollte er wegen der Lola-Montez-Affäre abdanken - zugunsten seines Sohnes, der als Maximilian II. den bayerischen Thron bestieg. Der kleine Ludwig war jetzt drei Jahre alt und verbrachte viel Zeit auf dem Familienschloss Hohenschwangau, dessen Wandbehänge mit Motiven aus der Sagenwelt die Phantasie des jungen Kronprinzen grundlegend prägten.

In der Vaterfrage aber schossen die Spekulationen noch viel wilder ins Kraut. Maximilian II. sei gar nicht der leibliche Vater Ludwigs, wurde kolportiert. Obgleich der Knabe Ludwig mit seiner Mutter viele Bergwanderungen machte, ist laut dem Psychiater Heinz Häfner eine Abneigung Ludwigs gegen sie unübersehbar. Am 1. Februar 1869 schreibt er an Kabinettssekretär Lorenz von Düfflipp: ". . . die Königin tötet mich durch ihre Geistlosigkeit und Langeweile." Amüsanter klingt da schon der Vergleich des Biographen Gottfried von Böhm, der sie 1921 mit einer "aufgeregt flatternden Henne" vergleicht, "die einen Schwan ausgebrütet hat".

Maximilian II. starb mit 54 Jahren. Ludwig schrieb am Tag seines Todes ein einziges Wort in sein Tagebuch: "König". Seinem Großvater Ludwig I. schwante nichts Gutes: "Armer Ludwig! Mit 18 Jahren auf den Thron kommt, in welchem Alter er keine Erfahrung haben kann ..."

In der nächste Folge: Was Ludwig II., die ARD und Johnny Depp miteinander verbindet.

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