König Ludwig II. im Roman:Ludwig al Raschid

Wie der bayerische König in Karl Mays Kolportageroman "Der Weg zum Glück" gerät und sich die beiden auf einer psychologisch-kreativen Ebene treffen - obwohl sie sich in der Realität nie begegnet sind.

Harald Eggebrecht

Karl May bekam den Auftrag vom Verleger Münchmeyer, dem die dramatischen, zugleich mysteriösen Ereignisse um den gewaltsamen Tod Ludwigs II. im Starnberger See am 13. Juni 1886 als gefundenes Fressen für einen "großen Enthüllungsroman" à la Das Waldröschen zu sein schienen.

May arbeitete damals noch an Deutsche Herzen, Deutsche Helden, auch einem Lieferungsroman für Münchmeyers Kolportageschmiede, dessen Vollendung ihm längst auf die Nerven ging, wie später auch "Der Weg zum Glück - Höchst interessante Begebenheiten aus dem Leben und Wirken des Königs Ludwigs II. Von Baiern". Nach rund 2500 Seiten endet dieser Fortsetzungsschmöker 1888 mit den tragischen Umständen von Ludwigs rätselhaftem Tod, hier gesehen als Vision des sterbenden Wurzelsepp, eines knorrigen Helden in Mays Opus Bavaricum.

May schrieb keinen Ludwig-Roman, sondern mixte in erprobter Manier die scharfen Gewürze von Kindesentführungen und -vertauschungen, Mord, Betrug und Erbschleicherei, Schmugglerbanden und Camouflagen zu typischer Kolportage May'scher Qualität. Insgesamt kann sich Der Weg zum Glück wohl nicht mit der von Einfällen und Verwicklungen, ihren Auflösungen und neuerlichen Anspannungen übersprudelnden Fülle und Welthaltigkeit des Waldröschens messen, auch nicht mit den eindringlichen Schilderungen sozialen Elends und der kriminellen Energie, welche die Verbrecher im Ver lorenen Sohn entwickeln. Aber auch Der Weg zum Glück ist ein Staunen erregendes Erzähluniversum.

Darüberhinaus gibt es Besonderheiten. May entwickelte wegen des Anspruchs auf Aktualität, der Nähe zum Geschehen und der Allwissenheit des Autors einen Kunstdialekt, den er dreist als Bayerisch ausgab. Dieses spezielle Idiom hat wohl dazu beigetragen, den Weg zum Glück weniger zu beachten. Echten Bayern wird es unmöglich sein, dieses Kauderwelsch als irgendwie bayerisch zu akzeptieren. Doch hat May, literarisch gesehen, eine Meisterleistung vollbracht, nämlich eine Sprache zu kreieren, die dem Roman eine eigentümliche, geradezu exotische Grundfärbung gibt.

Der König, dessen reales mörderisches oder selbstmörderisches Ende Anlass des ganzen Unternehmens war, taucht hier zwischen zwielichtigen oder folkloristisch burlesken Gestalten als manchmal sonderbarer Heiliger oder als eine Art Talentsucher auf, der sich unters Volk mischt und zum Entdecker musikalischer Begabungen wird, die den Betroffenen bis dahin an sich selbst noch nicht aufgefallen hatten. May hat seinen König Ludwig beim ersten Auftritt als bayerischen Harun al Raschid beschrieben:

"Er trug die Tracht des Gebirges, Bergschuhe, Halbstrümpfe, Joppe, Weste, breiten Gürtel, einen kleinen Hut mit Edelweiß und Spielhahnfeder, einen Rucksack auf dem Rücken und ein Gewehr von der Achsel herab. In der mit kostbaren Ringen geschmückten Hand hielt er den Bergstock, welcher mit einer Gemskrikel versehen war. (...) Er war von sehr hoher, kräftiger, imposanter Figur. Sein Gesicht hatte einen edlen, vornehmen, durchgeistigten Ausdruck. Die Züge waren bedeutend. Das Auge zeigte bei aller Schärfe etwas Weiches, Unbestimmbares, fast möchte man sagen, Mystisches. Der Eindruck der ganzen Persönlichkeit und des von einem wohlgepflegten Barte gezierten Gesichtes war ein Ehrerbietung erweckender."

In der Realität sind sie sich nie begegnet

Doch es gibt jenseits des Romans auf ganz andere Weise eine geistige, ästhetische, auch psychologisch-kreative Ebene, auf der sich May und Ludwig treffen, die sich in der Realität ja nie begegnet sind: May aus tiefstem Ernstthal der Armut und auf der anderen Seite Ludwig, König von Gottes Gnaden auf höchstem Hohenstein - das scheint unglaublich.

Dass zwischen diesen beiden wahrlich Ungleichen eine innere Beziehung bestehen könnte in ihrem Ich- und Künstlerverständnis, dürfte überraschen. Es gibt im Roman eine Passage, die zum Kühnsten gehört, was May je ausfabulierte. Es geht um jene ausweglose Lage, wenn einem Taucher der Atem auszugehen droht, er auftauchen will und muss, es aber nicht kann, weil der Weg zur Luft unüberwindbar oder tödlich verstellt ist.

In Karl Mays Oberbayern scheint die Lage ungefährlich, der Wasserfex ist ein Fährmann, der drei hochgestellte Herren an einem Fluss übersetzen soll: Konzertmeister Rialti, Richard Wagner und Ludwig. Der Monarch übernimmt das Steuer, Fex rudert, Wagner und Rialti sind nur Passagiere. Doch da wird das Wehr geöffnet, um einen Schwung Baumstämme hinabzuflößen. Die Fähre befindet sich mitten im Strom, als die Hölzer heranschießen. Wagner, Rialti und Flex erreichen in letzter Sekunde das Ufer, der König aber stürzt ins Wasser. Was nun folgt, ist ungeheuerlich: May phantasiert die Todesangst vorm Ertrinken in den Gedanken jenes Mannes aus, der wirklich durch Ertrinken ums Leben kam. (Siehe den nebenstehenden Text).

May bietet listigen Witz

May steigt gleichsam in die Seele Ludwigs ein und produziert genau jenen Handlungsraum, den er für diesen Einstieg braucht. Ludwig wird gerettet, aber er landet nicht sogleich am Ufer, sondern zuerst in einer Höhle, deren Eingang unter Wasser liegt: die geheime Zuflucht von Fex. Eine Höhle, die auch ein Reich des Todes ist, dort liegt nämlich die Mumie der Pflegemutter von Fex. Ludwig muss, um aus diesem Minihades ins Leben zurückzukehren, wieder tauchen, also den Akt des Sterbens und Wiederkommens noch einmal durchmachen.

Dass Ludwig sich in Schloss Linderhof eine Grotte errichten ließ, wird May gewusst haben. Ludwig ließ sich dort von unsichtbaren Instrumentalisten Musik aus Wagner-Opern spielen. May hat die Musik nicht vergessen, allerdings erklingt in der lebensrettenden Totenhöhle nichts, aber der König entdeckt dort eine Violine und Notenmaterial.

Obwohl dieser Roman fast ohne ästhetische Kontrolle hingefegt werden musste, bietet May auch noch listigen Witz. Als Ludwig wieder auftaucht, sinkt Wagner ergriffen nieder, Rialti ist ganz still: "Der König reichte beiden die Hände und meinte: ,Mir ist's wie im Traume. Ich habe Grässliches erlebt, und doch ist es mir, als sei ich der Held eines Märchens von Tausend und einer Nacht.'"

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