Sternekoch Christian Grünwald:Kochkünstler am Lagerfeuer

Christian Grünwald

Auf zu neuen kulinarischen Höhen: Christian Grünwald zieht mit seinem August in die Augsburger Villa Haag im Textilviertel.

(Foto: Stefan Puchner)
  • Sternekoch Christian Gründwald übernimmt die Villa Haag in Augsburg.
  • Er will mit einem ungewöhnlichen Konzept seine Gäste überzeugen: Sie sitzen an einer Art Lagerfeuer, während der Koch das Mahl zubereitet.

Von Franz Kotteder, Augsburg

So etwas ist ja eigentlich der Albtraum eines Vermieters: Erst lässt man die Bude für viel Geld renovieren, und dann zieht einer ein, der dort ein Lagerfeuer entfacht. Genau das aber hat Christian Grünwald mit der frisch sanierten Augsburger Haag-Villa vor, und die Stadt, der das repräsentative Anwesen gehört, freut sich auch noch darüber. Denn der 51-Jährige ist der einzige Augsburger, der zwei Sterne in der Gourmetbibel Michelin vorweisen kann, mit seinem Restaurant August an der Frauentorstraße. Mit der Haag-Villa hat er jetzt Spektakuläres vor.

In dieser Woche erscheinen sie wieder, die beiden großen Feinschmeckerführer Michelin und Gault&Millau. Manchmal entscheiden sich da auch gastronomische Schicksale; im Falle von Grünwald jedenfalls kann man sagen, dass ihm die Auszeichnung der Restauranttester bei seinen neuen Plänen sehr hilft. "Man merkt, dass die Augsburger stolz sind auf ihren Zwei-Sterne-Koch", sagt er, "es gab bei der Haag-Villa wirklich niemanden, der mir Steine in den Weg gelegt hätte." Ein gutes Omen, hatte er doch, als er vor zwei Jahren erstmals das Obergeschoss der Villa betrat, sofort das Gefühl: "Hier werde ich einziehen."

Das richtige Haus für den Küchenkünstler

Da haben sich offenbar zwei gefunden, der Koch und das Haus. Die Villa Haag im Augsburger Textilviertel wurde 1875 erbaut als Direktorenvilla für Johannes Haag, der auf dem angrenzenden Gelände seine Heizungs- und Röhrenfabrik betrieb. Der gelernte Zimmerer und Ingenieur Haag, 1819 in Kaufbeuren geboren, hatte in England das Prinzip der Dampfheizung kennengelernt und in seiner Heimat dann als Pionier dieser Technologie ein Vermögen mit dem Bau von Gebäudezentralheizungen gemacht. Sein Unternehmen ging 1932 im Sulzer-Konzern auf, die Villa wurde Eigentum der Stadt Augsburg.

Vom ehemaligen Landschaftspark hinter der auf einem künstlichen Hügel stehenden Villa ist nicht mehr allzu viel übrig, das Haus aber erstrahlt in neuem Glanz, und im April 2016 wird Grünwald dort im Obergeschoss sein Restaurant "August bei Christian Grünwald" eröffnen. Wobei "Restaurant" ein Begriff ist, der ein wenig in die Irre führt - jedenfalls, wenn man darunter einen Ort versteht, an dem man sich zur gemeinsamen Essensaufnahme trifft. Das wäre für Grünwald ein Gräuel, denn sein oberstes Credo lautet: "Ich bin kein Dienstleister", und die leise Verstörung, die das beim Gast auslöst, wenn der den Satz zum ersten Mal hört, bereitet ihm sichtlich Vergnügen.

Grünwald lässt den Ideen ihren Lauf

Nein, für Christian Grünwald ist Kochen in erster Linie eine kreative, ja künstlerische Tätigkeit, die verstören darf und soll. "Nichts ist, wie es zu sein scheint", lautet ein weiteres seiner Motti. Und das verband ihn gleich mit der Haag-Villa, sagt er, weil dort zum Beispiel die kunstvollen Holzdecken gar nicht aus Holz sind, sondern aus bemaltem Stuck. Und dann der ganze geschichtliche Hintergrund! Die Umwandlung von Dampf in Wärme, ähnlich wie beim Kochen aus Rohstoffen Speisen werden. "Da verkörpert sich für mich die Ästhetik von Energie", sagt Grünwald.

Frei assoziieren, den Ideen ihren Lauf lassen, "über den Tellerrand hinausdenken", wie er sagt, und den Gast immer wieder neu überraschen: Das ist letztlich das Konzept von Grünwald. Ohne Eigenwilligkeit und eine gewisse Sturheit funktioniert das nicht. Als er mit 15 Jahren seine Kochlehre bei einem renommierten Augsburger Hotel begann, war schon in der Probezeit Schluss: "Zu viel Fantasie", lautete das Urteil. Er beendete die Lehre dann anderswo, "aber das hat mich eher gequält". Es kamen fünf Wanderjahre in der Schweiz, in Luxemburg, in den USA und auch mal in der Karibik, wo er mal in Restaurants arbeitete und mal Kochperformances anbot für betuchte Genießer.

Der Funke sprang nicht sofort über

Christian Grünwald

Hier wird er künftig seine Gäste überraschen: Christian Grünwald vor der Villa Haag.

(Foto: Stefan Puchner)

1989 eröffnete er den August in Augsburg - und hatte schwer zu kämpfen. "Anfangs verließen die Leute reihenweise das Lokal", sagt er. Sie wollten schön essen gehen, er wollte kreativ kochen, das vertrug sich lange nicht, das verstanden nur wenige. Dann lernte er den Maler Siegmund Wagner kennen, jahrelang sprachen sie fast täglich über Kunst, Kochen und das Leben an sich: "Über diesen Disput habe ich gelernt, in meiner Küche zu kommunizieren, rauszukommen aus diesem Dienstleistungsverständnis." Der Lohn waren dann 2007 der erste Michelin-Stern und 2009 der zweite.

Wenn man so will, merkt man seiner Küche die Gedankenarbeit an. In seinem aktuellen Menü bekommt man zum Beispiel ein Burgunderglas serviert, in dem sich eine Praline befindet. Am Tisch gießt Grünwald, der viele Gerichte aus Prinzip selbst serviert, aus einer Weinflasche heiße Bouillon aus Wurzelgemüse darüber, und die Praline entpuppt sich als intensive Fleischbrühe, ummantelt von Knochenmark, in einem Pergamentpapier aus Kartoffelstärke. Brühwürfel de luxe, zelebriert wie ein Glas edlen Weines, so etwas gefällt ihm. Kochen auf höchstem Niveau, aber doch zurück zu den Ursprüngen.

Kaum mehr als ein Dutzend Gäste am Abend

Womit wir wieder beim Lagerfeuer wären, um das sich schon in grauer Vorzeit die Menschen zum Mahl versammelten. Grünwald lässt für den neuen August gerade zehn große, gläserne Leuchttische bauen, die dieses archetypische Lagerfeuer symbolisieren sollen. Jeweils vier Leute sollen daran Platz finden, es gibt eine Schublade, in der einzelne Bestandteile des Menüs bereits auf die Gäste warten. Man sitzt auf Gründerzeitstühlen mit einem Hightech-Bezug, nicht mehr als zwölf bis 16 Gäste pro Abend wird es geben. Manche von ihnen werden dabei an ihrem eigenen Lagerfeuer sitzen, denn die Tische kann man sogar käuflich erwerben - wenn auch nicht mitnehmen.

Grünwald kocht in der offenen Küche und wird zum Teil auch selbst servieren, so wie jetzt schon, denn: "Der Gast ist ja Bestandteil des einzelnen Ganges, seine Reaktion gehört zum Teller. Kochen ist interaktiv." Grünwald wird dabei einen besonderen Kittel tragen, eine Art Meisterschürze, entworfen von der Berliner Modedesignerin Antonia Goy, und wen das an Kostüme von Johannes Itten aus der Bauhaus-Zeit erinnert, liegt nicht ganz falsch: Ähnlich wie beim Bauhaus soll auch bei Grünwald die (Koch-)Kunst möglichst viele Lebensbereiche erfassen. Wer im August isst, der wird Teil einer Inszenierung.

Es ist anders, als es scheint

Klingt ganz schön abgefahren, nicht wahr? Ist so ungewöhnlich aber auch wieder nicht. Gerade eben hat der Drei-Sterne-Koch Kevin Fehling in Hamburg unter großem Medienrummel sein neues Restaurant The Table in einer ehemaligen Fabrikhalle eröffnet. Dort essen 16 Gäste an einem großen, geschwungenen Tisch, während Fehling und seine Köche am frei stehenden Küchenblock das Menü zubereiten. Grünwald geht im August noch ein paar Schritte weiter.

Weg vom klassischen Restaurant, das ist kein geringes Wagnis. Aber das Konzept ist verrückt genug, um zu funktionieren: Nichts ist eben, wie es zu sein scheint.

Bayerns Sterne

In dieser Woche erscheinen wieder die beiden wichtigsten deutschen Restaurantführer: am Dienstag der Gault&Millau, und am Freitag der Michelin. Wer dort eine hohe Wertung bekommt - im Gault& Millau in Form von Punkten und Kochmützen, im Michelin von Sternen - hat es in die Welt der Spitzengastronomie geschafft. Bayern steht im Vergleich mit anderen Bundesländern durchaus gut da, auch wenn es anderswo mehr Drei-Sterne-Köche im Michelin gibt: Der bislang einzige ist Christian Jürgens mit dem Restaurant Überfahrt in Rottach-Egern, auch im Gault&Millau erhält er höchste Wertungen. Das ist nicht unbedingt zwingend, die beiden Gourmetbibeln sind sich oft nicht ganz einig, was die Bewertung großer Kochkunst angeht: Selbst in dieser Klasse sind die Geschmäcker eben verschieden. Trotzdem gibt es in beiden ein breites Feld an ersten Adressen. Dazu gehören neben dem August auch die Residenz Heinz Winkler in Aschau, das Essigbrätlein in Nürnberg, das Il Giardino in Bad Griesbach, das Storstad in Regensburg oder auch das Johanns in Waldkirchen. Das kulinarische Zentrum liegt aber nach wie vor in München mit den bislang drei Zwei-Sterne-Häusern Tantris, Dallmayr und Esszimmer sowie neun weiteren Restaurants, die einen Stern haben. In diesem Jahr dürfte sich der Trend zur höherwertigen Gastronomie landesweit fortsetzen. Mittlerweile interessieren sich auch nationale und internationale Kochkünstler wie Tim Raue aus Berlin oder Nobuyuki Matsuhisa aus Los Angeles für Standorte in Bayern. fjk

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: