Wenn es wenigstens nicht ausgerechnet der Tag wäre, an dem die schwarz-gelbe Koalition in Berlin ihren leidigen Dauerbrenner Betreuungsgeld endgültig verabschiedet! Thomas Hacker, der FDP-Fraktionschef im bayerischen Landtag, blickt nach Berlin und versteht die Welt nicht mehr. Dort hat sich die FDP der CSU gebeugt und ein ungeliebtes Thema mitbeschlossen. Nicht gerade in freudiger Erregung, aber eben doch. Weil es im Koalitionsvertrag stand. Und in München?
In München wird das Spiel von denselben Akteuren ins komplette Gegenteil verkehrt, das denkt nicht nur Thomas Hacker. In München will die CSU nun etwas abschaffen, was ebenfalls im Koalitionsvertrag steht: die Studiengebühren. Die FDP, die das auf rechtlich festem Boden nicht einsieht, bekommt die Rolle des Bremsers und Blockierers zugeschoben. Hacker regt das richtig auf. "Erinnern Sie sich an das Betreuungsgeld", ruft er erregt und sagt sich fassungslos noch einmal vor, was gerade passiert: "Wir, die FDP, verteidigen ein Projekt, das die CSU während ihrer Alleinregierung eingeführt hat, gegen die CSU."
Es sind absurde Tage in München, Tage, in denen mieses Krisenmanagement, schlechte Nerven und üble Laune die seit 2008 amtierende Koalition in ihre vielleicht größte Krise geführt haben. Am Wochenende soll nun der Koalitionsausschuss, das Entscheidergremium aus Spitzenleuten von CSU und FDP, das Thema entschärfen. Der Sitzungstermin steht schon lange fest. Eigentlich sollte es ein Routinetreff werden, bei dem Schwarz-Gelb den kommenden Haushalt festzurren wollte. Nun mutiert der Koalitionsausschuss zum Krisengipfel.
Von allen Seiten wird gestänkert
Und es sind bei weitem nicht nur die Hinterbänkler und Außenseiter in der CSU, die gegen die FDP stänkern. Auch besonnene CSU-Leute wie Reinhold Bocklet und Albert Füracker wollen sich das ungeliebte Gebührenthema nun mit einem Kraftakt vom Hals schaffen.
Am Freitag verstärkt ausgerechnet Horst Seehofers Berlin-Münchner Allzweckwaffe Ilse Aigner den Druck auf die FDP noch einmal spürbar: "Ich habe die Sorge, dass es der FDP mehr um eine Machtprobe geht und weniger um die Sache", sagt sie der SZ. Die FDP verstecke sich "hinter einem Paragrafen im Koalitionsvertrag", stänkert sie, die Liberalen sollten nun "die Zeichen der Zeit erkennen". Denn, so Ilse Aigner, es gehe nicht um Partei-Grundsätze: "Eine Regierungskoalition ist in erster Linie den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verantwortlich." Da dürften Thomas Hacker die Ohren klingen, wenn er an die klare Mehrheit der Deutschen denkt, die gegen das Betreuungsgeld ist.
Sollte die CSU darauf spekulieren, dass die FDP am Ende schon einknicken werde, könnte sie sich jedenfalls verrechnen. "Wir können in die Wahl ziehen", droht Hacker. Fast alle Kandidaten seien aufgestellt, es gebe keinen Grund, die Meinung zu den Studiengebühren zu ändern. Hacker: "Wir haben eine Überzeugung, und für die Überzeugung kämpfen wir."
Vielleicht waren es die 48 Prozent in den Umfragen zuletzt, das greifbare Ziel der Alleinregierung, wodurch die CSU verleitet wurde, ihre Kräfte zu überschätzen. Die FDP fällt schon um, wenn wir ordentlich Druck machen, als einzige für Studiengebühren sein, das trauen die sich sowieso nicht - so wurde in der CSU gedacht. Aber die FDP steht, bislang wenigstens. "Bayern braucht Gelb", heißt die erste Kampagne der Liberalen für die Landtagswahl im kommenden Jahr. Aber wenn die CSU der FDP jetzt noch die Studiengebühren abnehmen würde, dann könnte man sich schon fragen: Wofür eigentlich?
Auch FDP-Landeschefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat erkannt, welche Chance für ihre Partei darin liegt, standhaft zu bleiben. Soll doch die CSU im Land erklären, warum sie die Studiengebühren nur solange für richtig gehalten hat, bis das Volk die Möglichkeit bekommen soll, selbst darüber zu entscheiden. "Die FDP hat eine klare Haltung zu Studiengebühren. Dazu stehe ich", legt sich Leutheusser-Schnarrenberger vor der Sitzung des Koalitionsausschusses fest. "Das ist auch eine Gerechtigkeitsfrage in unserer Gesellschaft." Dann warnt sie die CSU: "Drohungen sind kontraproduktiv."
Je länger der Streit mittlerweile andauert, desto bestimmter wird die FDP. Sie will keinen Deal mehr, sie will offenbar auch keinen Kompromiss. Sie pocht auf den Koalitionsvertrag und Parteitagsbeschlüsse. Landesvize Martin Zeil weist darauf hin, dass die Liberalen erst einen Sonderparteitag einberufen müsste, wenn sie die Gebühren abschaffen wollten. Vergangenes Jahr hatten sich die Delegierten zuletzt wieder zum Bezahlstudium bekannt und einen Beschluss sogar noch verschärft.
"So einbetoniert, dass sie nicht mehr atmen kann"
Ein CSU-Abgeordneter sagt: "Die FDP hat sich so einbetoniert, dass sie fast nicht mehr atmen kann." Ein anderer beschreibt die Situation so: "Die Beute der FDP kann gar nicht so groß sein, dass sie aufrecht aus den Verhandlungen hinausgehen kann." Im Grunde könnte sich die FDP ihre Zustimmung zur Abschaffung nicht einmal mit zusätzlichen Milliarden für sonstige FDP-Wunschprojekte abkaufen lassen, denn auch in einem anderen Punkt haben sich die Liberalen festgelegt: Jeder Euro, der im Haushalt übrig ist, soll in die Schuldentilgung fließen.
So schwinden unmittelbar vor dem Treffen der Koalitionäre die Chance auf eine Einigung. CSU-Fraktionschef Georg Schmid, der ebenfalls am Samstag mit am Verhandlungstisch sitzt, warnt vor einer Eskalation: "Wir stehen in der hohen Verantwortung, wohl besonnen und wohl überlegt alle Varianten durchzusprechen und zu diskutieren und dann eine gute Entscheidung zu treffen."
Auf jeden Fall will er verhindern, dass die Koalition auseinanderbricht: "Wir haben einen Regierungsauftrag für fünf Jahre", sagt er. Die Zeit sei noch nicht rum. Und die Perspektive für die CSU wäre fatal, sollte sie das Bündnis wirklich platzen lassen. Wie will sie dem Wähler erklären, dass sie sich um eine Neuauflage für eine Regierung bemüht, die gerade am Regieren gescheitert ist?
Seehofer hat eigentlich kein Interesse daran, dass es so weit kommt. Es sind seine Fraktionskollegen, die jedoch mit einer irritierenden Leichtigkeit das Wort Neuwahlen in den Mund nehmen. Ein CSU-Mann, der es im Landtag offenbar kaum noch erwarten kann, spricht es deutlich aus: "Dann haben wir es hinter uns."