Süddeutsche Zeitung

Kloster Wessobrunn:Heiligtum wird Kosmetikfabrik

Martina Gebhardt vertreibt seit mehr als 30 Jahren Naturkosmetik. Vor allem aber hat sie ein Faible für alte Gemäuer. Jetzt hat sie das Kloster Wessobrunn gekauft - und wartet, dass das Gebäude mit ihr spricht.

Von Sarah Kanning, Wessobrunn

Rostrot sprudelte das Wasser aus der Leitung, als Martina Gebhardt vor einigen Wochen zum ersten Mal einen Wasserhahn in ihrem gerade erstandenen Anwesen aufdrehte. Ein Schreck für jeden Haus-Neubesitzer, doch Martina Gebhardt, grauer Pagenkopf, herzliches Lachen, nimmt es gelassen: "Die Wasserleitungen wurden eineinhalb Jahre lang nicht benutzt und man darf nicht vergessen: Es ist ein altes Haus", sagt sie.

Die 55 Jahre alte Naturkosmetik-Unternehmerin und Architektin aus Pessenhausen bei Rott hat Erfahrung mit alten Gemäuern, zuletzte baute sie ein 230 Jahre altes indianisches Lehmhaus in Taos in New Mexico zu einem Restaurant um. Vor vier Wochen hat sie nun wieder einen Vertrag unterschrieben: Sie kaufte das Kloster Wessobrunn in Oberbayern. Hier soll so bald wie möglich ihre Firma Martina Gebhardt Naturkosmetik mit Produktion, Vertrieb, Versand und Lager einziehen.

Herausforderung Hygiene

Eine Herausforderung. Denn auch wenn in Klöstern immer schon medizinisch gearbeitet wurde und Salbenherstellung dazugehörte, braucht Gebhardt hohe Hygienestandards für ihre Produktion. Und sie hat den Missions-Benediktinerinnen von Tutzing, von denen sie das Kloster kaufte, zugesichert, das Kulturdenkmal zu erhalten.

Kloster Wessobrunn wurde 753 einer Legende nach vom Agilolfinger-Herzog Tassilo III. gestiftet. Der U-förmige Klosterbau entstand von 1680 an. Hier entwickelte sich im 17. Jahrhundert das bedeutendste Stuckatorenzentrum des damaligen Europa. Behutsam will Gebhardt in den nächsten Jahren das Gebäude innen sanieren lassen, erzählt sie. Experten vom Landesamt für Denkmalpflege werden sie unterstützen, beispielsweise Bilder sanieren und Fenster reparieren.

"Beim Brandschutz muss man sicher um die Ecke denken, aber wir sind optimistisch", sagt der stellvertretende Generalkonservator Bernd Vollmar. In Keller und Erdgeschoss will Martina Gebhardt die teils verbauten Kreuzgewölbe freilegen und eine Schau-Manufaktur einrichten. Die Räume für die Salbenherstellung müssen nach der sogenannten Good Manufacturing Practice, einer Richtlinie für Kosmetikaherstellung, hergerichtet werden, die Wände müssen beispielsweise abwaschbar sein.

"Ich will das organisch angehen"

Was genau an welchen Ort kommt in der riesigen Anlage mit 10 000 Quadratmetern Nutzfläche und 48 000 Quadratmetern Grund, soll sich mit der Zeit entscheiden. "Ich will das organisch angehen", sagt Gebhardt. "Es gibt einen inneren Plan bei solchen alten Bauten und irgendwann ist es, als wenn das Gebäude anfinge zu sprechen." Auch den 850 Jahre alten Bauernhof in Rott, der als Firmensitz inzwischen zu klein ist für die 35 Mitarbeiter, sanierte Gebhardt einst selbst.

Mit dem Verkauf an Martina Gebhardt endet für die Missions-Benediktinerinnen von Tutzing, die das Kloster im Dezember 2012 verließen, eine schwierige Suche nach einem neuen Eigentümer. In den vergangenen 40 Jahren besuchten etwa 16 000 Besucher im Jahr die wertvollen Flure und Räume. "Daher stand der Verkauf unter einer großen öffentlichen Aufmerksamkeit", sagt die Priorin Schwester Hildegard Jansing. Die Bürger von Wessobrunn, Pilger und Touristen sollten auch weiterhin Zugang zum Kloster haben - "keine einfachen Faktoren, wenn es um den Verkauf geht". Weder die Staatsregierung noch die Diözese Augsburg, in der das Kloster liegt, wollten die Immobilie kaufen.

Der neue Besitzer sollte die Anlage als Gesamtes erhalten, die Historie wertschätzen und die Spiritualität des Ortes nicht aufgeben, wünschten sich die Benediktinerinnen. "Es gab mehrere Interessenten, aber wie sollen diese Anforderungen in einem Investor gebündelt werden?", sagt die Priorin.

Verhandlung zog monatelangen Streit nach sich

Das Konzept einer Akademie für Stuckateure und Kirchenmaler lehnte die Regierung ab. Die Verhandlungen mit dem Betreiber einer Klinik für psychosomatische Erkrankungen zog monatelangen Streit nach sich. Der Investor wollte das gesamte Terrain kaufen, ein Teil der Klosteranlage gehört allerdings der Pfarrgemeinde, die sich sträubte. Am Schluss drängte sogar Bischof Konrad Zdarsa zum Verkauf.

Doch dann meldete sich eine Frau, die im Nachbarort seit mehr als 30 Jahren Kosmetik ohne Chemie und Tierversuche produziert und über Bioläden und an Kosmetiker vertreibt. Die das Altern mit Weisheit und Schönheit gleichsetzt und deshalb eine Kosmetiklinie namens "Happy Aging" entwickelt hat. Die sich ein bisschen esoterisch anhört und gleichzeitig gerne Motorflugzeug fliegt. Und die sich gerne schwieriger Gebäude annimmt, um etwas Neues daraus zu machen.

Plötzlich öffnen sich Türen wie von Geisterhand

Für die Missions-Benediktinerinnen passte diese Frau zu ihrem Kloster. "Dann kam Frau Gebhardt, mit Sachverstand, Liebe zum Bau, als jemand aus der Nähe, der keine Ängste schürt, sondern einen Vertrauensvorschuss bekommt - und plötzlich öffnen sich die Türen fast lautlos wie von Geisterhand", sagt die Priorin.

Martina Gebhardt hatte nur durch Zufall von dem Verkauf erfahren. Sie hat zwar ihr Unternehmen im Nachbarort, wohnte aber in den vergangenen zehn Jahren auf einer Farm in New Mexico, weit weg von der deutschen Geschäftigkeit, aber ganz in der Nähe der Schauspielerin Julia Roberts, wie sie erzählt. "In Amerika ist Kreativität ganz wichtig", sagt sie.

Fünf Millionen Euro Umsatz macht ihr Unternehmen im Jahr. Als sie im August 2013 wieder einmal in Pessenhausen war, erfuhr sie, dass das Kloster nebenan zum Verkauf stand. "Ich konnte es nicht glauben, ich dachte, so etwas sei eine Gemeinschaftsaufgabe", sagt sie. Am Computer las sie von den Streitigkeiten in der Gemeinde - und schickte sofort ein Exposé nach Wessobrunn.

Ihre Vision ist, das Kloster als Raum für verschiedene Handwerksbetriebe und Manufakturen zu nutzen. Weil die Anlage für ihre Firma allein zu groß ist, könnten sich eine Schreinerei, ein Steinmetz, eine Klosterbrauerei oder eine Bio-Käserei ansiedeln. Den alten Kräutergarten will Gebhardt als ökologisch bewirtschafteten Klostergarten aufbauen und sich als Landwirtin zertifizieren lassen.

"Wir kaufen nur von Demeter-Anbietern, aber es gibt viele Sachen, die wir frisch brauchen", sagt sie. Im Obergeschoss sollen Kunst- und Kulturräume eingerichtet werden, in denen Seminare stattfinden, aber auch Ausstellungen und Konzerte. Ein Spa-Bereich wäre denkbar, vielleicht mit Yoga und Kosmetikanwendungen. Die Wege wären kurz.

Gebhardt ließ das Kloster schätzen, "doch wonach bewertet man so ein Gebäude?" Ihr Angebot wurde angenommen, über den Preis Stillschweigen vereinbart. Die Priorin sagt: "Die Unternehmerin steigt mit Risiko ein, aber sie hat ein gutes Konzept." Allein Heizung und Reparaturen kosteten 60 000 bis 80 000 Euro im Jahr, selbst im leeren Kloster seien es noch 50 000 Euro gewesen. Das hätten viele Interessenten nicht stemmen können. In Gebhardts Konzept sind die Pfarrkirche und der Glockenturm der romanischen Klosterkirche, der Graue Herzog, allerdings nicht enthalten.

Die Großküche versorgte im Krieg mehr als 200 Kinder

Wenn Gebhard durch die Gänge geht, von der Großküche, die im Krieg mehr als 200 Kinder aus gefährdeten Städten versorgte, über die Gymnastikhalle mit dem Parkettboden und dem Wasserschaden an der Decke, über die Pilger- und Jungenzimmer mit Panzerknackeraufklebern an den Wänden und Holzpaneelen gegen Kratzer, dann kann sie selbst nicht glauben, dass das nun ihres ist. "Wir sind überwältigt, absolut, auch wenn man nie weiß, auf was man sich mit so einem Bau einlässt."

Zu ihren 140 Produkten soll nun bald eine neue Serie dazukommen, inspiriert von den Räumen. Die Zutaten: Wasser aus den drei artesischen Quellen, die einst zur Gründung des Klosters führten, und Kräuter, frisch aus dem Garten vor dem alten Gemäuer.

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Quelle:
SZ vom 03.07.2014
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