Kloster Seeon:Was CSU und SPD verbindet - und was sie trennt

  • Union und SPD wollen bei den Sondierungen für eine neue gemeinsame Regierung keine Zeit verlieren.
  • Am Sonntag starten die Gespräche in Berlin offiziell. Reicht es erneut für eine GroKo? Die CSU ist davon überzeugt.
  • Bei ihrer dreitägigen Klausurtagung in Kloster Seeon hat die Landesgruppe viele Positionen festgelegt, die sich nach Ansicht der Partei gut mit der SPD vertragen. Ein Überblick.

Von Lisa Schnell, Seeon

CSU-Chef Horst Seehofer kann als optimistischer Mensch bezeichnet werden. Vor allem das Vertrauen in sich selbst, in ausweglosen Situationen noch einen Schleichweg zu finden, ist groß. Aber die Zuversicht, die er bei der Winterklausur in Kloster Seeon verbreitete, sorgte bei einigen Beobachtern für fragende Blicke. "Machen Sie sich mal keine Sorgen um Berlin", sagte Seehofer. Eine große Koalition mit der SPD, das kriege man schon hin. Und das, obwohl die Schlagzeilen von CSU-Forderungen dominiert wurden, die bei einigen in der SPD den Eindruck erweckten, die CSU wolle die am Sonntag beginnenden Verhandlungen "an die Wand fahren".

Da war der Wunsch nach weniger Geld für Asylbewerber und mehr Geld für Verteidigung und Unternehmer. Dann kam Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit seiner konservativen Revolution daher, einem Begriff, der auch bei der neuen Rechten gerne benutzt wird. Höchst befremdlich fand man das bei der SPD.

Bei der CSU aber meint man, selbst bei schwierigen Punkten zusammen kommen zu können. Der Familiennachzug werde schneller erledigt sein, als mancher denke, heißt es. Über Härtefälle könne man reden. Ein Kompromiss in der Steuerpolitik könnte darin bestehen, zwar keine Steuern zu erhöhen, aber sehr gut Verdienende nicht zu entlasten. Und dann gibt es da noch eine ganze Menge Punkte, bei denen die Sozialdemokraten ohne viel Diskussion ihren Haken machen könnten.

Es lassen sich tatsächlich Gemeinsamkeiten erkennen, wenn man auf all die Papiere blickt, die beschlossen wurden, ohne, dass es großes Getöse gab. Von sozialem Zusammenhalt ist da die Rede, es soll mehr Geld für Rentner geben, für die Pflege, einen gerechten Ausgleich zwischen Stadt und Land. Die ganze CSU möchte wieder mehr Herz zeigen, nicht nur Horst Seehofer, der vor Jahren den Spitznamen des "Herz-Jesu-Sozialisten" bekam.

Vor allem eine Geschichte hört man in allen Varianten von den Abgeordneten, sie endet immer mit den Worten von besorgten Bürgern - den oft zitierten kleinen Leuten: "Warum habt ihr für die Flüchtlinge Geld und für uns nicht?" Sie erzählen bei der CSU keine AfD-Geschichten von Asylbewerbern, die mit Handys und Flachbildschirmen überhäuft werden, aber sie wollen die Befürchtungen der Menschen ernst nehmen. Denn noch nie habe die Macht der Gefühle einen Wahlkampf so bestimmt wie 2017, sagte Seehofer vor den Abgeordneten.

Es brauchte also gewissermaßen die Verknüpfung mit der Flüchtlingsdebatte, um der CSU wieder die Augen zu öffnen für die soziale Frage im Land. Aber nun sind sie offen, selbst beim designierten bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der seine mitfühlende Seite früher eher sparsam zeigte. Jetzt präsentiert er sich anders, etwa bei seiner Bewerbungsrede auf dem CSU-Parteitag im Dezember in Nürnberg. Dort redete er viel von der Würde des Menschen, die auch kurz vor dem Tod noch bewahrt werden müsse und erzählte die Geschichte von seinem Vater, den er auf einer Palliativstation bis zum Ende begleitete. Ob man das nun als rührend oder nur als geschickte Vermarktung empfindet - die CSU hat ihr S wieder neu entdeckt.

Mit der SPD hat sie damit nicht nur einen Buchstaben gemein. Eine Bürgerversicherung, wie es sich die SPD wünscht, wird die CSU zwar nicht mittragen können, wohl auch keine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge. Die Überschrift "Mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen" aber könnte sie der SPD schon liefern. Die Ungleichbehandlung wie lange Wartezeiten müssten nur im System gelöst werden. In Seeon verabschiedete sie ein Sofortprogramm zur Pflege. Es umfasst mehr Personal in der Altenpflege und eine bessere Bezahlung von Pflegekräften. Erst ab einem Einkommen von 100 000 Euro im Jahr sollen Kinder für die Pflege ihrer Eltern belangt werden.

Oder das Thema Rente. Hier hat sich bei der CSU eine Szene aus dem Wahlkampf eingebrannt: Frau Vogel, eine Reinigungskraft, berichtet der Kanzlerin in einer Talkshow von ihrer Mini-Rente von 654 Euro und die fragt sie, ob sie nicht vorgesorgt habe. Noch jetzt steht manchem bei der CSU vor Entgeisterung der Mund offen. Aber auch die CSU habe soziale Probleme wie zu niedrige Renten nicht ernst genug genommen, sagt Seehofer.

Die Mütterrente werden sie nicht von ihrem Verhandlungszettel streichen. Sie steht schon in den 61 Seiten von den Jamaika-Gesprächen, die Seehofer nach eigenen Angaben immer bei sich trägt. Dagegen könne man bei der SPD doch nichts haben. Schließlich schließe sie eine Gerechtigkeitslücke für Mütter, die vor 1992 ihr Kind zur Welt gebracht haben.

Ähnliches gilt für die "Rentenleistung aus einer Hand", die sie in Seeon beschlossen. "Wer sein Leben lang hart gearbeitet hat, soll für die Rente nicht zum Sozialamt", heißt es da. Wird die Rente auf die Höhe der Grundsicherung aufgestockt, überweist die Deutsche Rentenversicherung direkt auf das Konto. Außerdem dürfe, wer sein Leben lang gearbeitet und vorgesorgt hat, nicht schlechter dastehen als jemand, der das nicht getan hat. Ein Satz, der auch von SPD-Chef Martin Schulz stammen könnte. Ob die CSU allerdings eine Erhöhung des Mindestlohns mitträgt, ist nicht klar. Sie könnte fürchten, damit die Wirtschaft zu sehr zu drosseln.

Das Land braucht Wohnungen - aber woher?

Ein gemeinsames Ziel haben SPD und CSU auch beim Thema Mieten. 1,5 Millionen Wohnungen will die CSU in den kommenden vier Jahren bauen. Die geforderten steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten beim Mietwohnungsbau wird die SPD wohl als Subventionierung von Unternehmen ablehnen. Die CSU aber hat in ihrem Papier auch so etwas wie eine abgeschwächte Bodenpreisbremse, wie sie manche in der SPD fordern. Sie will Eigentümer, die attraktives Bauland haben, durch steuerliche Anreize motivieren zu bauen anstatt auf Bodenspekulationen zu setzen.

Als großen Wurf sieht man bei der CSU außerdem das Papier zur Strukturpolitik, die sie zum ersten Mal auch auf Bundesebene einführen will. Es geht der Partei um gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland. Ein Ziel, das die SPD durchaus teilen kann, auch wenn sie ihr Klientel anders als die CSU eher in den Städten hat. Alle Kompetenzen zur Stärkung der Regionen will die CSU in einem Bundesministerium bündeln.

So soll es mehr Geld für die Förderung von strukturschwachen Regionen geben und ein Förderprogramm, das Unternehmen ermutigt, sich dort anzusiedeln. Der Staat soll mit gutem Beispiel voran gehen und Behörden verstärkt dort ansiedeln, wo sonst eigentlich niemand hingeht. Außerdem will die CSU digitale Kommunikation in der Verwaltung zum Standard erheben. Eine Forderung, die auch die Gewerkschaften kürzlich erhoben haben. Von den Weiterbildungen von Mitarbeitern, wie sie die Gewerkschaften gerne hätten, steht bei der CSU allerdings nichts.

Trotzdem könnte die SPD ein Problem bekommen: Wenn jetzt auch die CSU ursozialdemokratische Themen wie Mieten, Rente und Pflege für sich entdeckt, was kann sie dann als ihren Erfolg verkaufen? Hätte sie ihre Wünsche früher platziert, könnte sie die sozialen Forderungen der CSU als Zugeständnis darstellen. Jetzt aber fragt man sich auch bei der CSU, welche Errungenschaften die SPD ihrer kritischen Basis präsentieren kann. Es sei schwierig, jemandem entgegen zu kommen, der gar nicht wisse, was er selbst will, heißt es. Sobald aber jemand mit konkreten Vorschlägen käme, höre man sich die sehr gerne an.

Die Zuversicht von Horst Seehofer dürfte sich auch daraus speisen, dass sein persönlicher Erfolg unmittelbar mit dem Erfolg der Sondierungsgespräche verbunden ist. Für ihn gibt es zwei Optionen: Gelingt es ihm, für sich ein angemessenes Ministerium in einer großen Koalition auszuhandeln etwa Arbeit und Soziales oder auch Innen, könnte er gut als Parteichef in Berlin bleiben. Schafft er das nicht, wird es schwieriger. Sein Amt als Parteichef könne er dann an Söder abgeben, heißt es von dessen Unterstützern. Ob die neu ausgerufene Harmonie zwischen den früheren Rivalen soweit reicht, bezweifeln allerdings einige. Sie sehen eher Alexander Dobrindt als Kandidaten, um die Interessen der CSU in Berlin zu vertreten. Er wird auch als Spitzenkandidat gehandelt, wenn es doch zu Neuwahlen kommen sollte. Soweit aber will man in der CSU angesichts der anstehenden Landtagswahlen eigentlich gar nicht denken. Und schon gar nicht an erneute Personaldebatten.

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