Kloster Seeon:Die CSU benimmt sich wie ein weiß-blaues Rumpelstilzchen

Germany CSU Party Convention

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer führt seit eineinhalb Jahren seinen Politkrieg gegen Angela Merkel und ihre CDU.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Mit Härte in der Flüchtlingspolitik will Seehofer seine Partei gegen die AfD immun machen - auf Kosten der CDU. Bei der Klausur in Seeon wird sich zeigen, ob von einer Einheit der Union noch die Rede sein kann.

Kommentar von Heribert Prantl

Das heimliche Motto der CSU stammt von einem Sozialdemokraten. Dieses Motto ist 70 Jahre alt und wurde geprägt von Wilhelm Hoegner. Hoegner war der erste bayerische Ministerpräsident nach dem Krieg; er blieb bis heute der einzige Sozialdemokrat in diesem Amt - unter anderem deswegen, weil die CSU sich sein Motto auf Dauer einverleibte und ihre Politik darauf aufbaute.

Das Motto stammt aus einer Zeit, als das Schicksal Deutschlands noch in den Sternen stand: Die bayerische Staatlichkeit hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, es war 1946, wieder konstituiert, aber eine deutsche Staatlichkeit war noch nicht in Sicht. Als die verfassunggebende bayerische Landesversammlung 1946 in der Großen Aula der Universität in München zusammentrat, die Hoegner mit weiß-blauen Fahnen hatte schmücken lassen, was ein aufsehenerregendes Ereignis war, erwähnte er "Deutschland" mit keinem einzigen Wort: Die Lust der Altbayern auf Souveränität war gewaltig.

Die CSU, die seit dem Rücktritt Hoegners in Bayern ununterbrochen an der Macht ist, hat sich dieser Lust mit Lust angenommen. Bayern zuerst: Die CSU hat dieses Motto auch noch dann potenziert, dekliniert, ziseliert und poliert, als die Bundesrepublik sich schon längst etabliert hatte und Bayern ein normales, nein, eben kein normales deutsches Bundesland geworden war.

Bayern versteht sich, im Verständnis der CSU, nicht einfach als Bundesland, sondern als "der Freistaat Bayern". Das war, weil die CSU meist behände mit ihrer Selbständigkeit innerhalb der Union von CDU/CSU umging und es auch mit der bayerischen Freistaatlichkeit politisch nicht übertrieb, ein Erfolgsrezept. Aber der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. Und die CSU ist womöglich auch bald so weit.

Bei der am Mittwoch beginnenden Klausur in Seeon wird sich zeigen, wie groß der Sprung in der Schüssel ist. Es wird sich zeigen, ob von einer Einheit der Union überhaupt noch geredet werden kann. Sollte Seehofer es darauf anlegen, das für Anfang Februar geplante Treffen mit der CDU (bei dem Angela Merkel zur gemeinsamen Kanzlerkandidatin ausgerufen werden soll) platzen zu lassen, ist die Union am Ende - und damit auch die Balance der CSU zwischen Bayern und Bund gescheitert. Aus dieser Balance bezog die CSU ihre bundespolitische Stärke. Ohne diese Balance regrediert sie zur simplen Bayernpartei.

Erst kommt Bayern, dann kommt noch mal Bayern, dann kommt ein Mistwagen - und dann der Rest der Republik. Mit solchem bisweilen deftig artikulierten Selbstbewusstsein hat die CSU jahrzehntelang eine für sie und Bayern erfolgreiche weiß-blaue Politik gemacht. Weil aber seit geraumer Zeit die absolute Mehrheit, die die Partei für ihr Selbstbewusstsein braucht, absolut nicht mehr sicher ist, zerreißt sich die CSU in schier rumpelstilzchenhaftem Furor.

Der Erfolg der Union, also der CDU/CSU, bei der Bundestagswahl von 2017 ist für die CSU nur noch zweitrangig, erstrangig und wichtiger ist der CSU ihre absolute Mehrheit bei der bayerischen Landtagswahl von 2018. Deshalb führt der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer seit eineinhalb Jahren seinen Politkrieg gegen Angela Merkel und ihre CDU, deshalb riskiert er den Bruch der Union.

Seehofer glaubt, die Härte in der Flüchtlingspolitik werde die CSU so hart machen, dass ihr die AfD (anders als der CDU) nichts oder nur wenig anhaben könne. Seehofer nimmt es deshalb in Kauf, dass die CSU in der Flüchtlings- und Ausländerpolitik erstens der AfD viel näher rückt als der CDU, und die CSU sich zweitens auch weit von der katholischen und der evangelischen Kirche entfernt. Das ist nicht beseelte, sondern entseelte Politik; das erinnert, angesichts des Namens der Partei, fast an einen Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

Die AfD sitzt bisher in zehn Landtagen. Das war, das ist ein großer Erfolg - der aber noch nichts darüber aussagt, ob diese Partei mehr ist als eine Dreijahres-Fliege. Sie kann auch das politische Schicksal erleiden, das einst die NPD erlitten hat und später die Republikaner erlitten haben.

Der bisher größte Erfolg der AfD wäre es daher, im Zusammenspiel mit Horst Seehofer die Einheit der Union gesprengt zu haben; das wäre eine Zäsur in der deutschen Parteiengeschichte, das wäre das Ende eines Erfolgsbündnisses; es würde dies wohl der CSU mehr schaden als der CDU - und es würde den Einfluss der CSU schmälern, weil sie, auf sich allein gestellt, in einem Vielparteienparlament an Gewicht verlöre.

Das wäre auch das Ende einer erfolgreichen "Bayern zuerst"- Politik, weil deren Durchsetzungschancen massiv minimiert wären. Darum, auch darum geht es in Seeon. Der alte Souveränitätstraum wird zum Trauma.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: