Es war ein ereignisreiches, ein aufreibendes und kräftezehrendes Jahr für die Ettaler Opfer von sexuellem Missbrauch und Misshandlung. Vor gut einem Jahr wurden die Fälle von Gewalt im Kloster öffentlich, nun ziehen die Betroffenen Bilanz. "Die Opfer geben jetzt den Tätern eine Chance zur Wiedergutmachung", sagte deren Rechtsanwalt Stephan Lang am Freitag in München. Wesentliche Ziele seiner Mandanten vom Verein Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer seien erreicht. Die Aufarbeitung laufe zwar nach wie vor langsam, aber doch "professionell".
Seit drei Wochen liegt ein Sieben-Punkte-Programm vor, mit dem das Kloster aufarbeiten will, was im Internat und an der Schule geschehen ist. "Es stellt einen deutlichen Fortschritt dar", sagte auch der Vorsitzende des Vereins, Robert Köhler. Positiv bewerteten Köhler und sein Anwalt, dass das Kloster einen Opferfonds in Höhe von mindestens 500.000 Euro eingerichtet hat. Die 5000 Euro, die ein Opfer in der Regel erhalten soll, hätten allerdings, so Stephan Lang "lediglich symbolischen Charakter".
Entschädigungen erhalten auch Schüler, die nicht von Lehrern, sondern von Mitschülern geschlagen wurden. "Das betrifft insbesondere die sogenannten Klassenschläge", erklärte Köhler, "wenn ein Erzieher sagte, die Klasse könne sich bei einem bestimmten Schüler ,bedanken', und die Klasse hat dann denjenigen vermöbelt." Das sei auch eine Form von Gewalt durch den Erzieher gewesen.
Doch obwohl der Verein an diesem Freitag seinen Abschlussbericht vorstellte, sind für die Mitglieder noch nicht alle Konflikte gelöst. Besonders schmerzhaft ist für die Opfer die Kluft zwischen ihnen und ehemaligen Mitschülern, die keine Misshandlung erlebt haben. "Derzeit ist die Klosterleitung weiter in der Akzeptanz der Vergangenheit als viele Ehemalige", bedauert Köhler. Stephan Lang berichtete, dass viele Opfer nach Bekanntwerden der Fälle als "Lügner" und "Nestbeschmutzer" beschimpft wurden.
Robert Köhler ging auch mit der katholischen Kirche hart ins Gericht; sie habe ein Strukturproblem. "Niemand greift ein, wenn die Organisation der Täter sich nicht bewegen will", sagte er. Nicht einmal der größte deutsche Männerorden, die Benediktiner, hätte es für notwendig befunden, eine neue Leitung nach Ettal zu schicken, um die Krise zu bewältigen. "Unabhängig von all den Diskussionen um Entschädigungshöhen muss die Kirche ihrem moralischen Anspruch gerecht werden. Sie ist den Opfern gegenüber verpflichtet, die organisatorischen Schwachstellen abzustellen", sagte Köhler.
Anwalt Stephan Lang kritisierte die Politik. Deren Rolle sei für die Opfer "enttäuschend" gewesen. "Hier war man von der Problematik von Anfang an überfordert", urteilte Lang. Man habe lediglich an der Einrichtung von Runden Tischen gearbeitet. "Am Runden Tisch der Bundesregierung sitzt bis heute weder ein einziges Opfer noch ein rechtlicher Vertreter von Betroffenen", so Lang. Dass heute überhaupt erste akzeptable Ergebnisse vorlägen, sei mehr dem Druck der Öffentlichkeit zu verdanken als der Politik.