Ärzte der Rottal-Inn Kliniken im niederbayerischen Eggenfelden sehen ihre Corona-Intensivstation nicht mehr weit vom Kollaps entfernt. "Wir stehen ja erst am Anfang der vierten Welle", sagte Vorsitzender Bernd Hirtreiter. Er geht davon aus, dass sich die Zahl der Corona-Patienten binnen der nächsten zwei bis vier Wochen verdoppeln wird, und übt scharfe Kritik an der Corona-Politik. Die zehn Intensivbetten in der Klinik seien belegt. "Es ist alles voll, wir haben keine Kapazitäten mehr." Die Ressourcen in anderen Krankenhäusern seien ähnlich eng. "Das macht uns große Sorge."
Vor knapp zwei Wochen seien in einer großen Verlegeaktion zahlreiche Patienten in andere Kliniken gebracht worden, berichtete Hirtreiter. "Das hat uns sehr geholfen. Sonst wären wir jetzt schon abgesoffen." Wenn sich die Patientenzahlen verdoppelten, wäre ein Verlegen von Schwerkranken nicht mehr möglich, sagte der Ärztliche Direktor Klaus Kienle. Aktuell sei Triage noch kein Thema, es zeichne sich aber ab.
Hirtreiter findet deutliche Worte: "Das ist ein kollektives Versagen der Politik." Im Sommer hätten sich die Politiker auf die Wahlen vorbereitet, da sei in Bezug auf Corona nicht viel passiert. Dabei hätte man Geimpfte schon nach vier bis fünf Monaten "durchboostern" müssen, sagt Hirtreiter. "Stattdessen haben die die Fußballstadien voll gemacht, den Karneval begrüßt und über einen ,Freedom Day' und die Beendigung der pandemischen Notlage diskutiert."
Klaus Kienle verweist auf Prognosen der Universitätskliniken München und Freiburg, nach denen in der vierten Welle zwei Höhepunkte zu erwarten seien - und zwar Mitte Dezember und Anfang Februar. "Wenn die Kliniken schon Alarm schlagen, und sagen, sie seien am Limit, dann würde ich von der Politik ein ganz klares Konzept erwarten, was eigentlich passiert, wenn es tatsächlich zu einer Verdoppelung der Patientenzahlen kommt." Den Kliniken fehlten konkrete Ansagen, kritisiert er. "Was ist im Worst-Case-Szenario? Wer hilft aus? Wie wird die Bundeswehr eingebunden?" Den Pflegekräften, die nun schon zum vierten Mal an der Corona-Front Dienst täten, sei all das nur noch schwer zu erklären, sagt Kienle.
Die Mitarbeiter seien zunehmend erschöpft, ergänzt Hirtreiter. "Und auch wütend, weil so viele Patienten da sind, wo es nicht notwendig gewesen wäre, wenn es mehr Impfbereitschaft und Booster-Angebote gegeben hätte." Erschwert werde die Arbeit, wenn Angehörige versuchen, eine Patientenverlegung zu verhindern. "Das ist eine wahnsinnige Kraftanstrengung. Wir haben nicht für jeden Patienten 30 Minuten Zeit, mit den Angehörigen zu telefonieren, um ihn zu verlegen." Probleme mit wenig verständnisvollen Corona-Leugnern gebe es seltener, sagt Kienle. Er berichtet von einem Fall, in dem sich ein schwer an Corona erkrankter Leugner der Krankheit gegen den ausdrücklichen ärztlichen Rat selbst entlassen habe. Zuhause habe sich sein Zustand derart verschlechtert, dass er schließlich den Notarzt gerufen habe. "Dieser Mann hat es nicht mehr lebend ins Krankenhaus geschafft."
Der Landkreis Rottal-Inn gehört zu den Corona-Hotspots in Bayern. Die Zahl der Neuinfektionen binnen sieben Tagen je 100 000 Menschen lag am Mittwoch laut Robert Koch-Institut bei 1274,2 und damit weit über dem bundesweiten Durchschnitt.