Streit um Finanzierung der Notaufnahme:Kommunen wollen Klinik stützen – und dürfen nicht

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Die Stadt Wertheim hat wieder eine Klinik: Im Januar öffnete das Bürgerspital seine Pforten. (Foto: Stadt Wertheim)

Unterfränkische Gemeinden wollen eine Klinik in Wertheim bezuschussen, damit diese ihre Notaufnahme finanzieren kann. Die liegt jenseits der Landesgrenze, in Baden-Württemberg. Geht nicht, sagt die bayerische Rechtsaufsicht.

Von Nina von Hardenberg, Max Weinhold

Klaus Thoma ist erzürnt, das ist unmöglich zu überhören am Telefon, und genau so sagt er das auch. „Irrwitzig“ sei der ganze Vorgang, findet er. „Sie merken, wie emotional ich bin.“

Thoma ist parteiloser Bürgermeister des unterfränkischen Marktes Kreuzwertheim und ursächlich für seine Empörung ist ein Streit um die Notfallversorgung in der Region. Kreuzwertheim liegt auf bayerischer Seite unmittelbar an der Landesgrenze zu Baden-Württemberg. Dort, auf der anderen Seite, in Wertheim, befand sich bis vor einem halben Jahr die Rotkreuzklinik, bis sie insolvent ging und schloss. Getrennt sind die beiden Orte nur durch den Main. Dank großer Bemühungen dies- und jenseits des Flusses hat zu Beginn dieses Jahres auf dem Gelände der früheren Rotkreuzklinik in Wertheim, das die Stadt erworben hat, ein neues Krankenhaus eröffnet. „Ein großer Segen“ sei das, sagt Wertheims Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez (SPD), man habe damit nach der Insolvenz gar nicht mehr gerechnet.

Das neue, von der privaten Dortmunder Westfalenklinik betriebene Bürgerspital bietet eine Grund- und Regelversorgung, also die unterste von drei Versorgungsstufen, ist überdies spezialisiert auf Adipositaspatienten – und verfügt über eine Notaufnahme, die in akuten Fällen elementar ist, in der Regel aber defizitär. Zunächst öffnet das Bürgerspital diese nur von 8 bis 18 Uhr auf eigenes finanzielles Risiko und in der Hoffnung auf eine baldige Klärung der Finanzierung.

Denn um die Notfallversorgung rund um die Uhr zu gewähren, muss die Stadt Wertheim jährlich 2,75 Millionen Euro aufbringen. Etwa die Hälfte könnte sie durch Steuererhöhungen und Leistungseinsparungen selbst beisteuern, beim Rest hofft sie auf Unterstützung und hat den zuständigen Main-Tauber-Kreis um Geld gebeten. Eine Antwort steht noch aus. Weil das Geld vom Kreis womöglich nicht reicht, hat sie sich zudem an etwa 20 umliegende Kommunen gewendet, vorwiegend auf bayerischer Seite, mit der Bitte um finanzielle Hilfe. Die Grenzgemeinden profitieren schließlich ebenso von einer Klinik mit Notaufnahme, die obendrein über eine sogenannte Stroke Unit verfügen soll, also eine Spezialeinheit für Schlaganfälle.

Klaus Thoma, Erster Bürgermeister von Kreuzwertheim, wäre bereit, sich an den Kosten der Notfallversorgung zu beteiligen. (Foto: Markt Kreuzwertheim)

Auf bayerischer Seite, etwa in Hasloch, Marktheidenfeld, Schollbrunn, Triefenstein und eben in Kreuzwertheim, sind sie gerne bereit, sich zu beteiligen – dürfen dies aber nicht, weil es ihnen das Landratsamt Main-Spessart mit Verweis auf die „kommunalrechtliche Kompetenzverteilung“ untersagt. Zuständig für Betrieb und Finanzierung von Krankenhäusern sind demnach Landkreise und kreisfreie Städte, nicht aber Gemeinden. Ein irgendwie geartetes Engagement des Marktes Kreuzwertheim sei somit „rechtswidrig“, heißt es in einem Schreiben des Landratsamtes an die Gemeinde, das der SZ vorliegt und sich inhaltlich mit einer dreiseitigen Stellungnahme des bayerischen Innenministeriums auf Anfrage des bayerischen Gemeindetages zu dem Fall deckt. Womit man wieder angekommen wäre bei Klaus Thoma und seiner Empörung.

Um 350 000 Euro pro Jahr habe sein Wertheimer Bürgermeisterkollege Herrera Torrez ihn und die anderen Gemeinden gebeten, sie hätten sogar schon ausgerechnet, wer wie viel zu zahlen habe: Jene Gemeinden, deren Bewohner in der Vergangenheit häufiger Patienten in der pleite gegangenen Rotkreuzklinik waren, mehr, die anderen weniger. Für Kreuzwertheim wären es 35 000 Euro im Jahr. „Mir tut jeder Euro weh“, sagt Thoma mit Blick auf die notorischen Finanzengpässe der Kommunen. „Aber jetzt mal ehrlich: 35 000 Euro im Jahr für eine Notfallversorgung rund um die Uhr für meine Bürger, das muss es mir wert sein.“ Da lasse er halt ein paar Blumenkübel weg und bepflanze nicht so viel. „Das sehen die Bürger ein, die kommen ja alle zu mir. Das ist ihnen so, so wichtig.“

Ein Blick auf die Karte veranschaulicht, warum es den knapp 4000 Kreuzwertheimern so viel bedeutet: In das Bürgerspital auf der anderen Seite des Mains benötigen sie im Notfall maximal zehn Minuten, wie der Kliniksimulator, ein Übersichtsprogramm des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen zeigt. Nach Lohr, wo sich im Klinikum Main-Spessart die nächste Notaufnahme befindet, sind es 30 bis 40 Minuten. Und solange es in Wertheim nachts keine Notaufnahme gibt, kommt eine derart lange Fahrzeit ausweislich des Kliniksimulators für 14 Stunden am Tag auf mehr als 50 000 Menschen in der Region zu. Gerade bei Herzinfarkten und Schlaganfällen komme es aber „auf jede Minute an“, sagt Thoma.

Aus Sicht des für Kreuzwertheim und die umliegenden Gemeinden zuständigen Landratsamtes Main-Spessart ist die Notfallversorgung in der Region gewährleistet. Das zeigten regelmäßige Untersuchungen und belege eine Studie, teilt ein Sprecher mit. Der Kreis baut am Standort Lohr gerade für 175 Millionen Euro ein komplett neues Zentralklinikum mit 280 Betten. Der Freistaat bezuschusst das Projekt kräftig, 48 Millionen Euro aber muss der Landkreis Main-Spessart selbst aufbringen. Weitere Investitionen, zum Beispiel in Wertheim – der Landkreis dürfte das ja –, seien deshalb nicht möglich.

Der Landkreis Main-Spessart verfolgt andere Projekte, etwa das neue, 175 Millionen Euro teure Zentralklinikum in Lohr (Simulation des Neubaus). (Foto: Klinikum Main-Spessart)

Eine finanzielle Beteiligung kommt auch für den Landkreis Miltenberg, in dem ebenfalls einige der betroffenen Gemeinden liegen, nicht infrage. Seit vergangenem Sommer stünden mehr Rettungsfahrzeuge im Bereich Bayerischer Untermain zur Verfügung, das mit der Prüfung des Bedarfs beauftragte Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement München sehe daher „derzeit keinen Handlungsbedarf“, teilt eine Sprecherin des Landratsamtes mit. Die Notfallversorgung sei „hinreichend gegeben“.

Die Landkreise möchten also nicht einspringen, die Kommunen dürfen es nicht. Aus gutem Grund, sagt Klaus Schulenburg, Referent beim Landkreistag für Soziales, Gesundheit und Krankenhauswesen. Das Verbot schütze die Kommunen davor, sich finanziell zu übernehmen. Schulenburg erinnert an den Fall der Kommune Weil­ba­ch im Kreis Mil­ten­berg, die 2020 auf eigene Rechnung das bayernweit ers­te Me­di­zi­ni­sche Ver­sor­gungs­zen­trum (MVZ) in kommunaler Trägerschaft eröffnet hat. Nach nur zwei Jahren musste die kommunale Arztpraxis wieder schließen. Die Gemeinde konnte die hohen Verluste nicht länger tragen.

Andererseits verbietet in Baden-Württemberg offensichtlich niemand den Kommunen, sich um ihre Krankenhäuser zu bemühen. In der Landkreis-Verordnung von Baden-Württemberg gebe es eine solche Formulierung nicht, heißt es bei der Stadt Wertheim. Mehr noch: Ohne das engagierte Eintreten der Stadt gäbe es das Klinikum nicht mehr. Man hätte sich darum auch von den Nachbarn etwas mehr Pragmatismus gewünscht. OB Herrera Torrez sagt, man erlebe die „Kakofonie der innerdeutschen Länder- und Zuständigkeitsgrenzen“, „unfassbar“ sei das alles und „fernab der Lebensbedürfnisse der Menschen“. In der früheren Rotkreuzklinik sei die Hälfte der Patienten aus Bayern gekommen, „davor kann man die Augen nicht verschließen“.

Sein Kreuzwertheimer Bürgermeisterkollege Thoma pflichtet ihm bei, er wünscht sich eine „harmonisierende Gesetzesauslegung“. Für wen die Gesetze denn da seien, fragt er: „Für die Menschen – oder gegen die Menschen?“ Für ihn ergebe das alles keinen Sinn. Wenn die kommunale Familie gegen den Trend zusammenhalte, um ein Krankenhaus aufrechtzuerhalten, das aber nicht dürfe, sei das „einfach unlogisch“. Zumal es in anderen Zusammenhängen ja auch kein Problem sei: „Wenn es brennt in Wertheim, dann rückt unsere Feuerwehr mit aus – und umgekehrt. Da sind wir doch solidarisch. Aber bei der ärztlichen Versorgung nicht? Das ist doch schizophren!“

Die Hoffnung der Wertheimer, Kreuzwertheimer und all der anderen Gemeinden liegt nun auf dem baden-württembergischen Landkreis Main-Tauber. Voraussichtlich im Frühjahr soll der Kreistag über die Höhe der Hilfen für die Klinik beraten, Details will das Landratsamt auf Nachfrage nicht mitteilen, nur so viel: Man dürfe sicher sein, dass es Landrat Christoph Schauder „ein sehr wichtiges Anliegen“ sei, dass die Stadt Wertheim für ihre weiteren Planungen baldmöglichst Klarheit erhalte.

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