Bayerische Klimapolitik:„Wie ein Traum vom Hausbau ohne Bauplan“

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Extremwetter und Hochwasser werden durch den Klimawandel auch in Bayern häufiger und intensiver. Im vergangenen Sommer besuchte Ministerpräsident Söder das Flutgebiet in Schwaben. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Seit bekannt ist, dass Bayerns Staatsregierung ihr Klimaziel 2040 abräumen will, herrscht Verwirrung in der Klimapolitik. Nun geht ein Wissenschaftler hart mit Söder und Aiwanger ins Gericht.

Von Thomas Balbierer

2040, 2045 oder vielleicht erst irgendwann? Die bayerische Klimapolitik ist in Unordnung geraten, seit Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) vergangene Woche verraten hat, dass die Staatsregierung ihr Ziel der Klimaneutralität bis spätestens 2040 längst „kassiert“ habe. Einem internen Beschluss aus dem November zufolge will die Koalition aus CSU und Freien Wählern ihr Ziel perspektivisch um fünf Jahre nach hinten verschieben, auf 2045. Ob und wann eine Gesetzänderung kommen soll, ist offen.

Im Dezember hatte Umweltminister Thorsten Glauber, ein Parteikollege Aiwangers, noch behauptet, dass der Freistaat „natürlich“ am Klimaziel 2040 festhalte. Zu diesem Zeitpunkt war man sich hinter den Kulissen bereits einig über die Verschiebung auf 2045. Doch selbst dieser Plan wackelt inzwischen. Freie-Wähler-Chef Aiwanger will nun gar kein festes Datum mehr ins Gesetz schreiben. „Wir brauchen eine realistische Wirtschafts- und Klimapolitik und müssen wegkommen von fixen Jahreszahlen, die wir am Ende doch nicht einhalten können“, sagte er am Wochenende der Mediengruppe Bayern. Die Zukunft der bayerischen Klimapolitik ist unklar.

Das aktuell gültige Klimaschutzgesetz sieht vor, die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen in Bayern bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Bis „spätestens“ 2040 soll der Freistaat kein zusätzliches CO₂ mehr in die Atmosphäre blasen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte das Klimagesetz im Jahr 2021 vorangetrieben. „Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass wir uns nicht aus Angst vor Lobbygruppen, vor Leugnern oder vor Ewiggestrigen vor der Verantwortung drücken“, sagte er damals.

Zur aktuellen Klima-Debatte hat sich Söder bislang nicht geäußert. Am Montag verwies sein Staatskanzlei-Chef Florian Herrmann (CSU) lediglich auf Aussagen, die Söder im November 2024 am Rande von Haushaltsverhandlungen getätigt hat. Damals sagte der Ministerpräsident, dass Bayerns Klimaziel nur mit Atomkraft einzuhalten sei. „Wenn nicht, dann müssen wir sie auf 2045 für Bayern setzen, wie im Bund und wie in Europa.“ Von einem konkreten Beschluss oder einer Gesetzänderung war keine Rede.

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Kritiker werfen Söder vor, dass die Atomkraft nur ein Vorwand sei, das ehrgeizige Klimaziel abzuräumen. Der Atomausstieg wurde 2011 beschlossen, Söders Klimagesetz trat 2023 in Kraft. Staatskanzlei-Chef Herrmann entgegnete, dass sich die energiepolitische Lage mit dem russischen Angriff auf die Ukraine grundlegend verändert habe, etwa durch den Stopp russischer Gaslieferungen. Darauf müsse man reagieren. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sagte im Radiosender Bayern 1: „Man muss in diesen Zeiten alles mit in Erwägung ziehen, und dazu gehört auch die Atomkraft.“

„Dass es an dem Atom-Aus läge, ist eine Lüge“

Aus der Wissenschaft kommt dazu deutlicher Widerspruch. „Dass es an dem Atom-Aus läge, ist eine Lüge“, teilt Energie-Experte Michael Sterner auf SZ-Anfrage mit. Sterner ist Professor an der Hochschule Regensburg und hat sich intensiv mit der bayerischen Klimapolitik beschäftigt. „Wenn das AKW Isar 2 unter Volldampf weitergelaufen wäre, hätte es gerade mal fünf Prozent der bayerischen Emissionen vermieden“, so Sterner. Die bayerische Staatsregierung habe „nicht ansatzweise“ genug unternommen, um das Klimaziel zu erreichen. „Wie ein Traum vom Hausbau ohne Bauplan“, kritisiert der Forscher.

Er hat im vergangenen Jahr für eine Greenpeace-Studie ausgerechnet, mit welchen Maßnahmen Bayern tatsächlich Emissionen einsparen könnte. Zum Beispiel mit einem flächendeckenden Austausch alter Ölheizungen, einer Solarpflicht für Wohnhäuser und Parkplätze oder einem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. „Wir haben anteilig die meisten Ölheizungen und die meisten Emissionen im Verkehr“, teilt Sterner mit. Er sieht auch in der bayerischen Landwirtschaft Einsparpotenziale. Beim Ausbau der Wind- und Solarenergie sei zudem noch viel Luft nach oben. „Wenn Bayern hier weiter versagt, muss der Rest der Republik den Freistaat mitziehen“, prognostiziert der Wissenschaftler.

Das anvisierte Klimaziel 2045 ist laut Sterner für Bayern unerreichbar. „Mit dem Tempo der heutigen Maßnahmen im Freistaat erreichen wir die Klimaneutralität in 230 Jahren.“ Die bayerische Klimapolitik brauche einen Masterplan, fordert der Experte. „Naturgesetze sind nicht verhandelbar.“

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Sollte die Staatsregierung ihr Klimaschutzgesetz nicht ohnehin abräumen, müsste sie bald aktiv werden. Söders Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass die Staatsregierung in diesem Jahr „zusätzliche steuernde Maßnahmen“ einleiten muss, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Welche Maßnahmen das konkret sind, beantwortet das Umweltministerium auf SZ-Anfrage nicht. Es teilt nur mit, dass die Frage „im Laufe des Jahres 2025 auf Basis aktueller Daten und Einschätzungen“ analysiert werde.

Aus der Opposition und von Umweltverbänden kommt seit Tagen scharfe Kritik. „Die Staatsregierung hat dem bayerischen Klimaziel 2040 vor Wochen den Todesstoß versetzt, aber die Menschen in Bayern und das Parlament darüber im Dunkeln gelassen – das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, der unverzüglich aufgeklärt gehört“, teilte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze mit. Man werde das Thema kommende Woche auf die Tagesordnung des Wirtschaftsausschusses setzen. „Der Beschluss zur Abkehr vom Klimaziel muss öffentlich werden“, forderte Schulze.

Zudem haben die Grünen eine Petition gestartet, in der sie Unterschriften für ein Festhalten am Klimaziel 2040 sammeln. Der Titel „Rettet Bayerns Klimaziel“ weckt Erinnerungen an das erfolgreiche Volksbegehren „Rettet die Bienen“ von 2019. Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf hoffen die Grünen offenbar, Profit aus dem Klima-Streit zu schlagen. Bislang dreht sich der Wahlkampf vor allem um die Themen Wirtschaft, Migration und Sicherheit.

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