Klettersteige:Reiz mit Rückversicherung

Klettersteige: Über den Klettersteig im Höllental kommt man auf die Zugspitze.

Über den Klettersteig im Höllental kommt man auf die Zugspitze.

(Foto: Imago Stock&People)

Die Kraxelei ist spannend, der Ausblick meist spektakulär: Klettersteige sind populär wie nie. Doch immer wieder werden die Anforderungen unterschätzt - und das kann tödlich enden.

Von Christina Warta

Nichts leichter als das: Man geht in eines der großen Sporthäuser in der Münchner Innenstadt und kauft sich die passende Ausrüstung. Kletterhelm und -gurt, ein Klettersteigset und Handschuhe - für rund 250 Euro ist man fertig ausgerüstet, Wanderschuhe und einen Rucksack hat man ohnehin daheim. Im Internet sucht man sich auf den einschlägigen Websites einen Klettersteig, druckt die Informationen aus, und schon steht dem Naturerlebnis in hochalpiner Landschaft nichts mehr im Weg.

Wenn es so einfach wäre. Vor knapp zwei Wochen ist eine 28-jährige Bergsteigerin auf dem Pidinger Klettersteig abgestürzt und ums Leben gekommen. Sie war nicht mehr allzu weit vom Gipfel des 1771 Meter hohen Hochstaufens entfernt, als das Unglück geschah. Warum keiner der beiden Karabiner ihres Klettersteigsets in diesem Moment in das Drahtseil eingehängt waren und den Sturz verhinderte, weiß man nicht.

Wie gefährlich ist das Klettersteiggehen? Tödliche Unfälle bei dieser Spielart des Bergsports sind eigentlich selten. "Das ist die absolute Ausnahme", sagt Stefan Winter, Ressortleiter Breitenbergsport beim Deutschen Alpenverein. Der DAV, der Statistiken über seine rund eine Million Mitglieder führt, verzeichnete 2013 einen Todesfall und 31 Un- und Notfälle auf Klettersteigen - bei rund 420 000 DAV-Mitgliedern, die pro Jahr durchschnittlich je vier Klettersteige begehen.

Blockierungen sind gefährlich

Doch das sind nur die Zahlen für Alpenvereinsmitglieder - Winter schätzt, dass womöglich rund 100 000 Menschen Klettersteige gehen, die nicht beim DAV Mitglied sind. "Was auf Klettersteigen zunimmt, sind Notlagen am Berg, sogenannte Blockierungen", sagt Winter. In diesen Fällen sind die Sportler nicht verletzt, aber aus Erschöpfung oder Angst nicht mehr in der Lage, den Steig weiterzuklettern.

Klettersteige sind drahtseilgesicherte, teilweise mit Eisentritten oder -stäben ergänzte Steige in felsigem, hochalpinem Gelände. Der erste Klettersteig wurde 1843 am Dachstein gebaut. "Oft stammte diese Idee von Bergführern, die jenen, die sie auf Gipfel führten, die Aufstiege erleichtern wollten", sagt Eugen Hüsler. Der Bergsportler und Buchautor hat zahllose Klettersteigführer veröffentlicht, manche nennen ihn den "Klettersteigpapst". Schon damals also hatte der Bau einer Via Ferrata, wie Klettersteige auch genannt werden, einen touristischen Hintergrund.

Heute ist das nicht anders. Gemeinden, Seilbahnbetreiber und Bergschulen haben in den vergangenen Jahren versucht, mit dem Bau neuer Steige die Attraktivität des Ortes zu steigern. "Ein Trend ist, immer schwierigere Steige zu bauen, ein anderer, immer mehr Steige in Talnähe zu bauen", sagt DAV-Experte Winter. "Es ist ein unguter Wettbewerb um den schwierigsten Klettersteig entbrannt", sagt auch Hüsler. "Manche Klettersteige sind wirklich jenseits von Gut und Böse", findet er: also viel zu schwierig.

Riesige Faszination

Der Bauboom neuer Klettersteige flaut, so Hüsler, in Deutschland und der Schweiz langsam wieder ab -auch, weil die Realisierung aufgrund strikter Naturschutzbestimmungen langwierig ist. Die Begeisterung vieler Bergsportler für die ausgesetzte Kraxelei aber bleibt und nimmt noch immer zu. Das zeigen auch die Verkaufszahlen der Sporthäuser. Sport Schuster etwa hat 2013 70 Prozent mehr Klettersteigsets verkauft als im Jahr zuvor, das allerdings auch von diversen Rückrufaktionen geprägt war. In diesem Jahr wurden bereits zehn Prozent mehr verkauft als im Vorjahr, auch die Zuwächse bei entsprechenden Schuhen liegen im zweistelligen Bereich.

Der Reiz des Klettersteiggehens liegt auf der Hand: "Man kommt dorthin, wo man sonst ohne Kletterkenntnis nicht hinkäme", sagt Stefan Winter. Das durchgehende, fest installierte Drahtseil, in das man sich mit zwei Karabinern einhängt, gibt Sicherheit. "Es ist eine Ausgesetztheit mit Rückversicherung", sagt Winter, "das Abenteuer des kleinen Mannes." Informationen, Karten und Fotos im Internet suggerieren, dass man über alles Bescheid weiß. "Doch bei manchen fehlt per se die Bergerfahrung", etwa das Wissen über Wetterentwicklungen im Hochgebirge und über Steinschlaggefahr. "Die virtuelle Welt und die echte Welt da draußen - das ist ein Unterschied", sagt Winter.

Mensch und Steig passen nicht zusammen

Hinzu kommt, dass nicht jeder seine eigene Leistungsfähigkeit richtig einschätze. "Die Natur wird unterschätzt, die Begeher überschätzen sich", sagt Winter. Für Klettersteige braucht man viel Kraft und Ausdauer, man muss zahllose kleine Klimmzüge machen. "Das Grundproblem ist: Der Mensch passt nicht zum Steig. Der ist zu lang, zu steil, zu schwierig." Und wer im Klettersteig nicht mehr weiterkann, der kann, anders als auf einem Wanderweg, nicht einfach zur Seite treten. Er hängt am Drahtseil und kann nicht vor und zurück.

Auch Eugen Hüsler hat festgestellt, dass sich das Publikum an den Klettersteigen stark gewandelt hat. Früher seien Bergsteiger hin und wieder auch Klettersteige gegangen. "Heute kaufen sich die Leute ein Set und laufen los", sagt der Fachmann. "Die Ausrüstung ist viel besser geworden, aber ich stelle fest, dass die sportliche Leistungsfähigkeit vieler rapide abgenommen hat. Das bestätigen sie auch bei Sport Schuster: "Wir müssen oft eingehende Aufklärungsarbeit liefern und gerade das Sturzgefahrrisiko deutlich vor Augen führen", sagt Thomas Hollauf, Sortimentsleiter Hartwaren Fels und Eis. "Viele fühlen sich einfach zu sicher."

Viele suchen den Kick

Darüber hinaus suchen nicht wenige mehr als das Naturerlebnis: die sportliche Herausforderung, den Kick. Das kritisiert auch Michael Pröttel, Vorsitzender der Naturschutzorganisation Mountain Wilderness: "Klettersteige ziehen mehr Leute in die Berge, die dort das Falsche suchen, nämlich nicht die unberührte Natur. Das Schlimme ist, dass die Spaßkultur in die Berge gebracht wird", sagt Pröttel. Auch Eugen Hüsler schüttelt über Klettersteige, die auf Spektakel und Höchstschwierigkeiten setzen statt auf logische Linien, den Kopf: Hängebrücken und gedrehte Leitern - "ich bin doch kein Zirkusaffe", sagt er.

Um das Klettersteiggehen sicherer zu machen, bietet der Alpenverein Aufklärung an. "Wer Klettersteige gehen will, sollte sich langsam herantasten: mit erfahrenen Bergsteigern mitgehen oder einen Kurs machen", rät Stefan Winter Anfängern. Das Tempo am Berg richtet sich nach dem schwächsten Glied in der Gruppe, Leistungsdruck ist hier fehl am Platz. Wichtig sei außerdem, eine Tour immer mit ausreichend Sicherheitsreserven zu planen - "und mit Respekt vor dem Berg".

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