Klage auf Schadenersatz:Tod an der Bahnsteigkante

Er hatte den letzten Teil seiner Meisterprüfung abgelegt - und wollte den Tag mit Kollegen genießen. Doch dann wird der 24-jährige Marc Güthlein am Bahnsteig im oberfränkischen Forchheim von einem durchrauschenden ICE erfasst und getötet. Seine Mutter erhebt nun Vorwürfe gegen die Bahn und zieht gegen den Konzern vor Gericht.

Olaf Przybilla

Ursula Güthlein kostet es inzwischen Überwindung, den Ort zu besuchen, an dem ihr Sohn gestorben ist: den Bahnhof in Forchheim. Dort wurde der 24 Jahre alte Marc Güthlein am 30. Juli 2010 von einem durchrauschenden ICE erfasst und tödlich verletzt.

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Wenn ein ICE durch einen Bahnhof hindurchfährt, muss das angesagt werden - aber erst ab Tempo 160.

(Foto: dpa)

Hätte es damals schon die Durchsagen am Bahnsteig gegeben, die im Forchheimer Bahnhof inzwischen auf alle durchfahrenden Intercitys hinweisen, "dann könnte mein Sohn noch leben", ist sich Ursula Güthlein sicher. Sie hat die Deutsche Bahn jetzt auf Schadensersatz verklagt. Das Unternehmen lehnt diesen ab.

Jener 30. Juli 2010 sollte ein besonderer Tag im Leben von Marc Güthlein werden, der Tag der Meisterprüfung. Ihr Sohn habe förmlich unter Strom gestanden in den Wochen vor dieser Prüfung, erzählt seine Mutter. Herbeigesehnt habe er den Tag, an dem er endlich frei sein würde, ein ausgebildeter Kfz-Meister. Irgendwann wollte er die Firma seines Vaters übernehmen.

In Nürnberg hatte er an jenem Tag den letzten Teil der Prüfung abgelegt und danach noch einmal kurz mit seiner Mutter telefoniert. Ursula Güthlein erinnert sich an ein fast euphorisches Gespräch. Alles sei gut gegangen, erzählte der Sohn, mit den Kollegen werde er den Tag nun genießen.

Der 24-Jährige kündigte an, sein Auto in Nürnberg stehenzulassen. Um 23.15 Uhr traf Marc Güthlein am Bahnhof in Forchheim ein. Wenige Minuten später wurde er von einem durchfahrenden ICE auf Gleis 2 erfasst. Er war sofort tot.

Es gibt keine Augenzeugen für den Unfall, eine Kamera hat die Kollision nicht eingefangen. Den Untersuchungen der Staatsanwaltschaft zufolge muss sich der 24-Jährige am Ende des Bahnsteigs aufgehalten haben, als er erfasst wurde. Was er dort wollte, darüber könne man nur spekulieren.

Einen Suizid schloss die Bamberger Staatsanwaltschaft ebenso aus wie ein Verbrechen. Neun Wochen nach dem Unfall wurde das Verfahren eingestellt - ein strafrechtlich relevantes Vergehen der Deutschen Bahn sei nicht erkennbar, urteilten die Ermittler.

Teilerfolg für die Klägerin

Ursula Güthlein hat lange überlegt, ob sie die Bahn zivilrechtlich verklagen soll. Sie sei ein anderer Mensch seit diesem Unfall, sagt sie, die Erinnerungen quälten sie nicht nur in der Nacht, auch Ärzte könnten ihr kaum helfen. Und dann noch ein Verfahren? Es gab viele Freunde, die davon abgeraten haben. "Aber ich will geklärt wissen, was genau passiert ist in dieser Nacht", sagt sie, "und ob man diesen Unfall hätte verhindern können."

Die Bahn hatte schon nach dem Unfall erklärt, alles Notwendige für die Sicherheit am Bahnsteig getan zu haben, jedenfalls laut Richtlinie: Die Verkehrssicherungspflichten seien in Forchheim "sogar übererfüllt" worden. Passieren Züge einen Bahnhof mit mehr als 160 Kilometern pro Stunde, müssen sie angesagt werden. Ist das nicht der Fall, reichen gelbe Hinweisschilder, die auf durchrauschende Züge aufmerksam machen sollen.

An den Pfeilern auf Bahnsteig 2 und 3 hängen in Forchheim in der Tat viele dieser Tafeln, sie hingen dort schon am Tag des Unfalls: Hebt man den Kopf, sieht man mindestens vier davon, egal wo man steht. Die Durchsagen aber, die inzwischen auf passierende ICEs aufmerksam machen, gab es im Juli 2010 noch nicht.

Einen Teilerfolg hat Ursula Güthlein inzwischen errungen. Selbst wenn sich der 24-Jährige aus Übermut und weil er vielleicht zu viel getrunken hatte auf die Bahnsteigkante gesetzt haben sollte, als ihn der Zug erfasste, hält der Richter Thomas Förster am Landgericht Bamberg eine "Verletzung der Verkehrssicherheitspflichten" für nicht ausgeschlossen.

Und zwar dann nicht, "wenn ein ICE mit einer Geschwindigkeit von zirka 160 km/h unmittelbar nach dem Schließen der Bierkeller des Annafestes durch einen bevölkerten Bahnhof" gerauscht sei, erklärte er in einem Vergleichsvorschlag. Das Annafest ist das große Forchheimer Volksfest. Marc Güthlein hatte es nicht besucht, für die Frage nach der Sicherheit am Bahnhof spielt das für den Richter aber offenbar keine erhebliche Rolle.

Die Bahn lehnt den Vorschlag auf 5000 Euro Schadensersatz ab. Sie geht davon aus, dass der 24-Jährige an der Bahnsteigkante saß. Ob ihn eine Durchsage hätte retten können, sei nicht zu beweisen.

Ein Gutachter soll den Hergang nun rekonstruieren. Dass ihrem Sohn die Beine abgetrennt wurden bei dem Unfall, weiß Ursula Güthlein. Die Details werde sie sich vor Gericht ersparen, sagt sie.

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