Bayerische Tradition:Das üppigste Fest im Jahreslauf

Bayerische Tradition: Beim Kegeln können große und kleine Besucher auf der Glentleiten ihr Geschick unter Beweis stellen.

Beim Kegeln können große und kleine Besucher auf der Glentleiten ihr Geschick unter Beweis stellen.

(Foto: Christian Kolb /Bezirk Oberbayern, Archiv Freilichtmuseum Glentleiten)

Am dritten Sonntag im Oktober wird in Bayern traditionell Kirchweih gefeiert. Der Festtag zu Ehren des jeweiligen Kirchenpatrons liefert bis heute den Anlass, alle nur denkbaren Köstlichkeiten aufzutischen.

Von Hans Kratzer, Großweil

Der Regisseur und Drehbuchautor Franz Xaver Bogner hat einmal gesagt, er könne eigentlich nicht erklären, was Heimat sei. Aber er habe ein türkisches Sprichwort gehört, in dem eine große Wahrheit steckt: "Heimat ist da, wo ich satt werde!" Dieser Satz könnte auch in Bayern erfunden worden sein, denn richtig satt zu werden, das war früher für viele Menschen eher ein Ausnahmefall. Am Kirchweihfest aber wurde jeder satt, draußen auf dem Land war es das üppigste Fest im Jahreslauf.

"In zweimal 24 Stunden wurde verzehrt, was auf ein Vierteljahr zur guten Subsistenz einer Familie hingereicht hätte", heißt es in einer alten Chronik aus der Region Ammersee über die Verpflegung an den Kirchweihtagen. Auf den Bauernhöfen gab es ausnahmsweise nicht die meist aus Kartoffeln, Kraut und Brot bestehende Einheitskost. Stattdessen wurden Fleisch und Beilagen in rauen Mengen aufgetischt, Gansjung, Leberknödel, Tellerfleisch, Schweinsbraten und Enten, und als Nachspeise gab es Schuxen, Bavesen und fette Küchl, denen in Form der Kirtanudel heute noch ein legendärer Ruf vorauseilt.

Bayerische Tradition: Die Kirchweihgans gehört zu den beliebtesten Spezialitäten, die an Kirchweih am heimischen Tisch sowie in den Gaststätten serviert werden.

Die Kirchweihgans gehört zu den beliebtesten Spezialitäten, die an Kirchweih am heimischen Tisch sowie in den Gaststätten serviert werden.

(Foto: Tobias Hase/dpa)
Bayerische Tradition: Zum klassischen Kirchweih-Gebäck zählen unter anderem die sogenannten Auszognen (Foto) sowie Kirtanudeln und Schuxen.

Zum klassischen Kirchweih-Gebäck zählen unter anderem die sogenannten Auszognen (Foto) sowie Kirtanudeln und Schuxen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Auch auf ärmeren Höfen wurden für die Kirchweih Gänse und Schweine herangemästet, und wenn sie vorher nicht von gemeinen Dieben gestohlen wurden, dann wurden sie unter herzhaftem Schmatzen und Rülpsen verspeist. Das maßlose Essen und Trinken beförderte - siehe die Münchner Wiesn - auch den Exzess. Ein bekannter Spruch besagt: "A gscheida Kirta / dauert bis zum Irta (Dienstag) / es ko sich aa schicka / glei bis zum Micka (Mittwoch)." Die Kirchweih konnte sich also vom Sonntag bis zum Mittwoch hinziehen. Eine noch üppigere Verlängerung genehmigen sich bis dato die Fürther, deren Michaelis-Kirchweih (Kärwa) in diesem Jahr vom 1. bis zum 16. Oktober läuft. Nördlich der Donau wird die Kirchweih Kirwa oder Kärwa genannt.

Die im Süden übliche Bezeichnung Kirta ist schon im 1789 erschienenen Wörterbuch von Andreas Zaupser dokumentiert. Bis 1866 feierte jedes Dorf seinen eigenen Kirta, und zwar am Festtag des jeweiligen Kirchenpatrons. Weil dadurch die Zahl der Feiertage überhand nahm, wurden die Dorfkirchweihen per königlichem Dekret zentral auf den dritten Sonntag im Oktober verlegt. Das gilt bis heute. In Teilen der Oberpfalz und Mittelfrankens aber hat die Bevölkerung den Erlass schlicht ignoriert. Deshalb ist zwischen Regensburg und Tirschenreuth vom Frühjahr bis zum Herbst quasi an jedem Wochenende Kirwa, aber stets in einem anderen Dorf. In den Festzelten wird oft drei Tage lang gefeiert, wobei es in der Regel sehr weltlich hergeht.

In den 80er-Jahren sei das richtig losgegangen, sagt Tobias Appl, Bezirksheimatpfleger der Oberpfalz. "Plötzlich werden Kirchweihfeiern auch dort ausgerichtet, wo es früher gar kein historisches Kirchweihfest gab und sogar dort, wo oft nicht einmal eine Kirche steht." Ausrichter sind meistens Burschenvereine und Ortsgemeinschaften. Nur bei ganz großen Festen und dort, wo die Kirwa mit dem Patrozinium verknüpft ist, steht noch der Gottesdienst im Mittelpunkt.

Bayerische Tradition: Anbandeln auf der Kirtahutschn: Relikt aus Zeiten, in denen es noch keine Clubs und Diskotheken gab.

Anbandeln auf der Kirtahutschn: Relikt aus Zeiten, in denen es noch keine Clubs und Diskotheken gab.

(Foto: Christian Bäck/Bezirk Oberbayern, Archiv Freilichtmuseum Glentleiten,)

"Im Grunde genommen feiern die jungen Leute sich und die bayerische Tradition", sagt Appl, sie kleiden sich entsprechend und genießen Party, Bier und das Anbandeln. Es werden sogar wieder Tanzkurse angeboten, weil das Tanzen um den Kirwabaum zu dieser Tradition dazugehört. Ein Relikt aus Zeiten, in denen es noch keine Clubs und Diskotheken gab, ist die sogenannte Kirtahutschn. Wild kreischten dort die Mädchen, wenn ihre Verehrer die lange Schaukel bis zum Dachbalken der Tenne hinauftrieben. Historiker wie Edward Shorter haben manche historische Quellen vorgelegt, die belegen, was danach nicht zu vermeiden war - der Staudenkirta: "Man trifft in Wäldchen und im Dickichte der Stauden die Paare in nicht allzu weiter Entfernung voneinander, Aphroditen Opfer bringend."

Manchmal kratzen kleinere Raufereien an der Idylle, aber zum Glück müssen die meisten Besucher nicht mehr mit "pluottigen koepffen" heimgehen, was einst obligatorisch war. Die Tracht als Einheitsgewand wäre aber damals bei einer Kirchweih undenkbar gewesen. "Unsere Urgroßväter gingen ja noch teilweise mit Zylinder und Stresemann auf die Kirchweih", erinnert sich Appl. Später waren dann Anzug und Krawatte angesagt, auch noch in den 1960er- bis 1980er-Jahren. Alte Fotografien belegen, dass damals nur die Bedienungen in Tracht herumgelaufen sind.

Es geht bei der Tracht wohl nicht zuletzt um ein über die Kleidung ausgedrücktes Heimatgefühl, das die Wittelsbacher Könige bereits im 19. Jahrhundert forcierten. Dieses Gefühl beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Kleidung. Als die Schriftstellerin Gerda Stauner vor einiger Zeit ihren Roman "Wolfsgrund" im aufgelassenen Dorf Schmidheim in der Oberpfalz vorstellte, waren ehemalige Bewohner des Ortes zugegen. Bis heute treffen sich frühere Schmidheimer jedes Jahr im Juli auf dem Platz vor der Kapelle, um wie früher gemeinsam Kirchweih zu feiern. "Diese Leute haben es geschafft, mit einem positiven Gefühl aus dieser belastenden Geschichte heraus zu kommen", sagt Gerda Stauner. Sie haben beim Verlassen des Dorfes ein Stück Heimat mitgenommen und kommen jetzt mit einem guten Gefühl am Kirchweihtag zurück.

Am kommenden Sonntag und Montag leben unter anderem im Freilichtmuseum Glentleiten des Bezirks Oberbayern in Großweil alte Kirchweih-Traditionen wieder auf. Es gibt Musik, gutes Essen, Vorführungen und Lesungen. Das Museum ist an beiden Tagen von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

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