Kirchenmusik:Wenn eine Maschine für den Organisten einspringt

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In Kicklingen spielt bei jedem Gottesdienst die Orgel - ganz ohne Organisten. (Foto: Jasmin Siebert)

In vielen Kirchengemeinden in Bayern will niemand mehr die Orgel spielen. Deshalb hat ein schwäbischer Ingenieur eine Alternative erfunden. Den Gläubigen gefällt es.

Von Jasmin Siebert

Drei Mal pro Woche ist in Kicklingen katholischer Gottesdienst. In dem Stadtteil von Dillingen, der eigentlich ein eigenes Dorf ist, saßen im Schnitt 132 Menschen im vergangenen Jahr sonntags in der Kirche, dienstags und donnerstags ein paar weniger. Dennoch füllten bei jedem Gottesdienst Orgelklänge das Kirchenschiff. Obwohl Kicklingen keinen Organisten mehr hat.

"Und es spielte unsere eigene Orgel!", sagt Paul Sinz fast ein wenig stolz. Wäre Sinz nicht katholischer Pfarrer geworden, wäre er heute wahrscheinlich Ingenieur. Er liebt Technik und deswegen hat er sich vor drei Jahren dafür eingesetzt, dass eine Organola angeschafft wird. Die Organola ist ein Aufsatz mit kleinen Magneten, der auf dem Manual der Orgel befestigt wird. Angetrieben von elektrischen Impulsen drücken Filzstößel die Tasten in der Reihenfolge, die das Steuergerät für das ausgewählte Lied vorgibt.

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An jedem Werktag wird in Kicklingen der Rosenkranz gebetet, der Frauenbund trifft sich regelmäßig. Es gibt einen Kindergarten und eine Grundschule, ein aktives Gemeindeleben. Doch als der letzte Organist nach mehr als 50 Jahren aufgehört hat, war allen klar, dass sie so schnell keinen neuen finden würden. Die Organola war die Lösung, damit die Orgel nicht stumm bleiben muss. Und sollte eines Tages doch ein echter Organist auftauchen, bleibt die Organola einfach im Schrank.

Bis dahin bereitet Pfarrer Sinz den Ablauf des Gottesdienstes zu Hause am Laptop vor. Per Mausklick wählt er Lieder aus einem umfangreichen Repertoire aus und fügt sie in ein Formular ein. Den Ablauf speichert er auf einem USB-Stick, den er mitsamt eines Regieblatts an die Frauen gibt, die Orgeldienst haben. Sie nehmen die Organola vor jedem Gottesdienst aus einem eigens dafür umgebauten, verschließbaren Computertisch und befestigen sie auf dem Orgelmanual.

Der USB-Stick wird in das Steuergerät gesteckt und auf Knopfdruck beginnt die Orgel zu spielen. Nur ab und an muss ein Register gezogen werden, zum Beispiel, um nach dem Vorspiel die Tonlage zu ändern. Notfalls käme Pfarrer Sinz ohne Helferinnen aus. Per Fernbedienung ließe sich die Organola auch vom Altar aus starten. Doch Feinabstimmungen fielen dann weg. Und es ist "zu viel Stress da unten" meint der Pfarrer.

Kein Organist soll wegrationalisiert werden

Erfunden hat die Organola Klaus Holzapfel, ein Ingenieur aus dem Landkreis Dillingen. In seiner Gemeinde Ziertheim-Reistingen war schon vor mehr als 35 Jahren kein Organist mehr aufzutreiben. Weil er selbst Orgel gelernt hat, jedoch nicht sonderlich gut spielen könne, wie er selbst sagt, fing er an zu tüfteln. Und entwickelte den mechanischen Aufsatz. Mehr als 350 Organolas, hergestellt im Familienbetrieb, hat er bereits verkauft. 80 Prozent an katholische Kirchengemeinden und Klöster, den Rest an evangelische Gemeinden. Holzapfel ist es wichtig zu betonen, dass seine Erfindung nicht dafür gedacht ist, Organisten wegzurationalisieren. "Ich wollte Gemeinden helfen, die niemanden finden, der die Orgel spielt", sagt er.

Dass dies ein zunehmendes Problem ist, bestätigt Franz Körndle, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Augsburg. Dort könnten angehende Lehrer auch Orgel lernen - das mache jedoch derzeit niemand. Dass Gemeinden keine Organisten mehr finden, liegt Körndles Ansicht nach an der geringen Bezahlung und der zunehmenden Entkirchlichung.

Ein Tastendruck und schon spielt die Orgel eines jener Stücke, das auf dem Speicherstick digital hinterlegt ist. (Foto: Klaus Holzapfel)

Allein die Erzdiözese Augsburg listet etwa 30 vakante Stellen für Kirchenmusiker auf ihrer Homepage, neben Organisten sind auch Chorleiter Mangelware. Etwa zehn Organisten würden im Erzbistum München und Freising gesucht, sagt eine Sprecherin. Ein Sprecher der evangelischen Landeskirche sagt dagegen, dass er keinen Mangel an Organisten sehen könne. Im Gegenteil, die Ausbildung sei wieder sehr gefragt. Manchmal würde aber der Posaunenchor das Orgelspiel ersetzen.

Doch auch wenn es keinen Gesamtüberblick über den Organistenmangel gibt, dürfte die Situation in vielen Gemeinden ähnlich sein wie in Kicklingen: Der Organist oder die Organistin geht nach vielen Jahren in den Ruhestand und ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Denn kaum einer will sich noch für wenig Geld verpflichten, an jedem Sonn- und Feiertag im Einsatz zu sein. Dazu kommt, dass viele Kirchen im Winter so kalt sind, dass schon mal das Weihwasser einfriert.

Weil man sich zwar warm anziehen kann, der Klang der eigenen, bald 100 Jahre alten Orgel aber durch nichts zu ersetzen ist, entschieden sich die Kicklinger, lieber in eine Organola als in eine Heizung zu investieren. "Spielt heute der Apparat oder ist der Organist da?" So hätten die Kirchenbesucher anfangs gerätselt, erzählt Pfarrer Sinz. Weil der Unterschied für Nichtmusiker nicht hörbar ist, sehen sie inzwischen vor allem die Vorteile der Organola: Der frühere Organist spielte immer recht langsam, bei der Organola dagegen lässt sich das Tempo variieren.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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