Kirchenaustritte:"Wir sind nicht angetreten, um Kirchen zu füllen"

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400 Sitzplätze hat St. Martin in Lagerlechfeld. Künftig soll der Gottesdienstraum kleiner und der Rest des Hauses als Kunstdepot genutzt werden. (Foto: Christian Rost)

Weil die Zahl der Kirchgänger dramatisch sinkt, greift das Bistum Augsburg zu drastischen Mitteln: Baufällige Gotteshäuser werden umgebaut - oder gleich abgerissen.

Von Christian Rost

Und keiner weint ihr nach. Die Kirche "Zu den Acht Seligkeiten" in Füssen ist zwar ein Gotteshaus, man darf aber doch feststellen, dass sie genausogut "Zur architektonischen Scheußlichkeit" genannt werden könnte. Der Zweckbau, 1966 im Westen der Stadt entstanden, gehört zu jenen Kirchen, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965) in Bayern errichtet wurden und aus heutiger Sicht nicht nur wegen ihres befremdlich-schlichten Erscheinungsbildes aus der Zeit fallen.

Es bleiben auch die Gläubigen aus, weshalb im Bistum Augsburg Kirchen aus der Nachkriegszeit profaniert, also entweiht, umgebaut oder gleich abgebrochen werden. Das alles ist einerseits eine Folge der massiven Kirchenaustritte der jüngsten Zeit. Rund 1,3 Millionen Katholiken leben im Bistum Augsburg, 9300 haben der Kirche im vergangen Jahr den Rücken gekehrt. Das ist der höchste Wert nach Stuttgart und Freiburg. Dazu kommen weniger Taufen und mehr Todesfälle - das stellt die Bistümer, nicht nur das in Augsburg, vor Herausforderungen.

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Der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa hat kürzlich bei einer Priesterweihe das Problem angesprochen. "Wir sind nicht angetreten, um Kirchen zu füllen", sagte er mit Blick auf die hohen Austrittszahlen und das damit verbundene Wehklagen. Sein Eifer bestehe darin, "Menschen in eine lebendige Beziehung zu Jesus Christus" zu bringen. Ob für die Glaubenspraxis eine Kirche zwingend notwendig ist? "Wenn unsere Kirchen nicht mehr dazu dienen, wenn wir sie dazu nicht mehr oder nur ganz sporadisch aufsuchen, dann sollten wir uns davon trennen und sie irgendeiner Treuhand übergeben", sagte Zdarsa. Es sei für ihn nicht zu verantworten, "mit großem finanziellen und materiellen Aufwand allein steinerne Gebäude zu erhalten, wenn sie nur noch einer regionalen, kunsthistorischen, rein menschlichen Tradition zur Verfügung stehen".

Im Bistum Augsburg sind momentan zwei Kirchen von der Profanierung betroffen: "Zu den Acht Seligkeiten" in Füssen und "St. Martin" in Lagerlechfeld im Landkreis Augsburg. Beide sind mittlerweile überdimensioniert. Die Kirche in Füssen kann rund 700 Menschen fassen, die Sonntagsgottesdienste besuchten zuletzt aber nur noch 60 bis 80 Gläubige. "Wir brauchen eine so große Kirche nicht mehr", sagt der örtliche Diakon, Christoph Schwarzer. Als sich herausgestellt habe, dass der katholische Kindergarten und das Pfarrheim aus Brandschutzgründen aufwendig saniert werden müssten, habe man sich entschieden, den Kirchengrund für einen Neubau zur Verfügung zu stellen. Im Winter 2020 soll "Zu den Acht Seligkeiten" abgebrochen werden. Denkmalgeschützt ist sie ohnehin nicht. An ihrer Stelle entsteht dann ein neuer Kindergarten mit Räumen für die Pfarrei. Ein "behaglicher Kirchenraum", wie es heißt, ist auch eingeplant. So verschwindet das Gotteshaus nicht ganz aus Füssen, es wird dann aber überwiegend für weltliche Zwecke genutzt. "Wir wollen Zukunft gestalten statt Untergang verwalten", hat Füssens Stadtpfarrer Frank Deuring die Entwicklung einmal in einem Satz zusammengefasst.

Zu groß geworden für den Kirchenalltag

Das "Zelt Gottes" wird die Kirche "St. Martin" in Lagerlechfeld wegen ihres weit gespannten Daches mit großer Glasfassade genannt. Sie trifft ein ähnliches Schicksal. 1967 eingeweiht, diente sie am Bundeswehrstandort im historischen Schlachtfeld Lechfeld für die Militärseelsorge und auch für die Bewohner des Ortes. 400 Plätze hat die Kirche. Damit ist sie ebenso wie ihre Schwester in Füssen zu groß geworden für den Kirchenalltag. Das Bistum hat deshalb entschieden, den Gottesdienstraum zu verkleinern und den abgetrennten Teil künftig als Kunstdepot der Diözese zu nutzen. Profaniert oder teilweise umgenutzt wurden bereits vor zehn Jahren zwei Kirchen im Bistum Augsburg, die sich allerdings seit der Säkularisation in Staatsbesitz befanden. Die ehemalige Kapuzinerkirche in Dillingen an der Donau dient seit dem Auszug des Ordens als Vortragssaal für die Lehrerfortbildung der dortigen Akademie. Und die Hofkirche in Günzburg wird für geistliche Konzerte und Krippenschauen genutzt.

Nicolas Schnall von der Kommunikationsabteilung des Bischöflichen Ordinariates erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass "im Zuge der Säkularisierung sicher Dutzende Kirchen auf dem Gebiet des Bistums Augsburg profaniert wurden". Besonders sei die Stadt Augsburg selbst davon betroffen gewesen. Rund zwei Drittel der Kirchen seien abgebrochen worden, die der Karmeliten, Jesuiten und Kapuziner. Andere, so Schnall weiter, würden heute noch museal genutzt.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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