Süddeutsche Zeitung

Traunstein:Nur das Papst-Wohnhaus - oder ein Heiligtum?

Papst Benedikt XVI. verbrachte seine Jugend in Hufschlag bei Traunstein. Das Anwesen steht seit Jahrzehnten leer, die Eigentümer würden es gerne abreißen - nur einer wehrt sich vehement dagegen.

Von Theresa Parstorfer, Traunstein

Das Schild hängt schief zwischen den Zaunpfählen. Es ist orange und verkündet auf Kniehöhe: "Privatgrundstück. Betreten verboten." Auf vier Häuser könnte sich dieses Verbot beziehen. Ein neues, zwei nicht mehr ganz so neue und ein sehr, sehr altes. Beinahe 300 Jahre alt. Es steht im Ortsteil Hufschlag der Gemeinde Surberg, 25 Gehminuten vom Traunsteiner Stadtplatz entfernt. Zwei Stockwerke, kleine Fenster mit verblassten türkisfarbenen Rahmen. Feuchtigkeitsflecken lassen den Putz abblättern. Der Stein, der zum Vorschein kommt, ist fast so orange wie das Verbotsschild. Seit 40 Jahren wohnt hier niemand mehr. Hineingehen - zu gefährlich.

Seit 2005 ziert jedoch eine Marmorplatte die Mauer neben der Eingangstür. Sie verrät, wer hier einmal gewohnt hat: Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. Zwischen 1937 und 1951 verbrachte er seine Jugend in Hufschlag, in genau diesem Haus, dem Garten und dem angrenzenden Wald. Die "wahre Heimat" seiner Familie nennt er diesen Ort in seinen Memoiren. Heute wirft der Zustand des Hauses Fragen auf: Macht ein ehemaliger berühmter, um nicht zu sagen heiliger Bewohner ein baufälliges Gebäude per se erhaltenswert? Braucht es derartige Gedenkstätten, und wenn ja, wer entscheidet das und zu welchem Preis?

Seit 2005 gibt es also die Platte mit der Inschrift. Seit 2005 gibt es auch das orangene Verbotsschild. Denn mit der Papstwahl kamen die Touristen. Renate Gruber ist eine, die vom ersten Tag an erlebt hat, wie Gläubige aus aller Welt durch ihren Garten pilgerten und Reporter allerhand Fragen stellten. Denn ihren Geschwistern und ihr gehört das Ratzingerhaus, sie lebt gleich nebenan. Ob der Ratzinger ein Nazi gewesen sei, das wollte die BBC aus London wissen. "Und einmal war meine ganze Terrasse voller Leut aus Brasilien", sagt Gruber, "die waren halt müd vom Rübergehn aus Traunstein". Nett sei das gewesen. Aber auch weniger Angenehmes hat sie erlebt: Journalisten, die Zutritt verlangten, mit Skandalgeschichten drohten. 1955 hatte ihr Vater die Grundstücke gekauft. Renate Gruber selbst kam in Benedikts Jugendhaus zur Welt. Für sie war es immer nur ein Haus, kein Heiligtum.

Einer der das ganz anders sieht, ist Peter Kuhn. Er ist ehemaliger Professor für Judaistik und war jahrelang persönlicher Assistent von Joseph Ratzinger, als dieser in Regensburg und Tübingen unterrichtete. Seit mehr als zehn Jahren setzt Kuhn sich dafür ein, das Haus in Hufschlag vor dem Einsturz zu bewahren - ohne Erfolg. Immer wenn er in der Nähe ist, macht er den Schlenker nach Traunstein, fährt von der Autobahn ab bis zum schiefen Gartenzaun in Surberg und dokumentiert den Verfall. "So schlimm wie jetzt sah es noch nie aus", sagt Kuhn, spricht von kaputten Scheiben und dem Kater, der als einziger Bewohner ein- und ausgehe. Das schmerze ihn in doppelter Hinsicht, schließlich sei das Haus doch auch ein "doppeltes Denkmal". So alt und so geschichtsträchtig.

Renate Gruber versteht diese Einstellung nicht. Wenn sie heute ihre Wäsche auf der Terrasse aufhängt, sieht sie die Marmorplatte auf der anderen Seite des sorgfältig gemähten Rasens. Am liebsten würde sie dort jedoch leeren Baugrund sehen. "Das rentiert sich nicht mehr", sagt sie. Das Haus herzurichten, meint sie. Sinnlos sei es, das alte, nur notdürftig zusammengemörtelte Gemäuer ohne Keller oder Fundament wieder bewohnbar zu machen. "Dafür ist kein Geld da", sagt Gruber. Stattdessen gibt es bei fünf Geschwistern mittlerweile viele Enkelkinder. Schön wäre es, wenn die dort irgendwann bauen könnten.

Auch Benedikts Bruder Georg Ratzinger habe dafür schon vor Jahren Verständnis gezeigt. "Der war auch da", sagt Gruber. Er habe sich gut vorstellen können, dass es viel teurer sein würde, das Haus zu erhalten, statt einfach ein neues zu bauen. Benedikt selbst scheint ebenfalls kein Interesse mehr daran zu haben. Doch so lange die Enkel noch klein sind, tut man in der Familie lieber nichts. Mäht den Rasen, gießt die Blumen und sitzt hin und wieder auf dem Bankerl auf der Südseite in der Sonne. Zwei karierte Polster liegen da.

Das Haus abzureißen fände Kuhn beschämend. Deshalb hat er sich auch schon an Gemeinde, Politiker, die Kirche gewandt. Doch niemand will Geld für die Sanierung aufbringen. Und das, während doch "überall Benedikt-Denkmäler entstehen", sagt Kuhn. In seinen Augen ist keines davon vergleichbar mit diesem einen, ganz besonderen Ort, an dem der bayerische Papst als Bub glücklich war.

Für den Traunsteiner Stadtpfarrer Georg Lindl hat das Ratzinger-Haus keinen besonderen Wert und seine Pfarrei deshalb "absolut keine Pläne, etwas damit anzufangen". Natürlich wolle man Orte, die für den emeritierten Papst wichtig waren, erhalten und ehren. Allerdings gebe es davon doch schon genügend - auch in Traunstein. Die Stadtkirche beispielsweise, in der Joseph Ratzinger 1937 gefirmt wurde und später als Erzbischof selbst die Firmung spendete. Die wird gerade saniert. Oder die Büste vor der Kirche. Oder das Gymnasium, das er besuchte und das am heutigen Papst-Benedikt-XVI.-Platz steht.

Herrscht da etwa eine gewisse Papst-Rummel-Müdigkeit? "Seit er emeritiert ist, kommen schon weniger Besucher", sagt die Dame im Touristen-Informationszentrum kaum 200 Meter neben der Benedikt-Büste am Stadtplatz. Aber der Flyer mit dem Benedikt-Weg liegt freilich noch bereit. Wichtige Stationen in Ratzingers Leben sind dort zum Abwandern auf einem Stadtplan eingezeichnet. Auch das Haus in Hufschlag. "Er war nicht nur der bayerische Papst, er war auch unser Traunsteiner Papst, und er wird es für alle Zukunft bleiben", heißt es in dem Flyer.

Dabei geht es Kuhn nicht darum, einen Wallfahrtsort zu schaffen. Den gibt es schließlich bereits in Marktl, wo das Geburtshaus Joseph Ratzingers mit einigem Aufwand renoviert worden war, sobald es geheißen hatte: "Wir sind Papst". Das sei doch fast ein bisschen zu viel. Auch er fände es schön, wenn eines Tages die Enkel von Renate Gruber in Ruhe im Ratzingerhaus wohnen könnten. Er könnte sich beispielsweise eine Stiftung vorstellen, Spender ohne Eigeninteresse. "Die Besucher müssten halt vom Zaun aus rüberschauen", sagt Kuhn. Das Betreten-Verboten-Schild müsste man einfach wieder ein bisschen höher hängen.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2018/infu
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