Süddeutsche Zeitung

Eberhofer-Krimis:Zu Besuch im echten Niederkaltenkirchen

Die Eberhofer-Krimis haben die Gemeinde Frontenhausen berühmt gemacht. Auch wenn der Ort extra "greislig gemacht" wurde: Die Einheimischen sind stolz drauf.

Von Andreas Glas

Der Bürgermeister fährt in den Kreisverkehr. Sein Benz kreiselt einmal und zweimal und seine Gedanken kreisen um diese eine Frage: Wie vermarktet man einen Ort, der überdurchschnittlich durchschnittlich ist? Mei, sagt Franz Gassner, "es ist schwierig".

Gassner, 58, ist Bürgermeister in Frontenhausen, 4650 Einwohner, Kreis Dingolfing-Landau. Frontenhausen kennt nicht jeder, aber fast jeder kennt das zweite Ich der Ortschaft: Niederkaltenkirchen. Das Dorf, in dem die Krimis um den Polizisten Franz Eberhofer spielen, und dessen Wahrzeichen ein Kreisverkehr ist. Niederkaltenkirchen "ist erfunden und trotzdem tausendfach vorhanden", sagt Rita Falk. Kreisverkehr, Kirche, Marktplatz, Neubau- und Gewerbegebiet - mehr niederbayerischer Durchschnitt geht nicht, findet die Autorin der Eberhofer-Krimis. Vier ihrer Bücher sind schon verfilmt worden, alle wurden in Frontenhausen gedreht. "Frontenhausen kommt meinem Niederkaltenkirchen am nächsten", sagt Rita Falk.

Ein Ort wie jeder andere. Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung? "Ist doch toll, wenn wir die niederbayerische Identität so gut widerspiegeln", sagt Bürgermeister Gassner (CSU) und parkt seinen Benz am Marktplatz. Den Platz haben sie vor ein paar Jahren aufgehübscht. Neuer Brunnen, neue Bäume, neue Farbe fürs Rathaus. Interessiert hat das kaum jemanden von außerhalb. Aber dann kamen die Filmleute, haben die Geranien am Rathaus abgehängt, die neuen Rattanstühle auf dem Marktplatz gegen alte Plastikstühle getauscht, haben ganz Frontenhausen "greislig gemacht", sagt Gassner - und auf einmal interessieren sich alle für den Ort. Verrückt irgendwie. Eine halbe Million Menschen haben jeden einzelnen Eberhofer-Film gesehen.

Es ist wie immer: Kommt das Kino nach Oberbayern, hängt es die Geranien nach draußen. Kommt es nach Niederbayern, müssen die Geranien weg. Passt eben nicht ins Klischee, sagt Bürgermeister Gassner. Die Macher der Eberhofer-Filme "zeigen bewusst nicht die schönsten Straßen und Winkel" in Frontenhausen. "Aber da haben wir kein Problem, dass wir in dieses Klischee reingeschoben werden."

Ein Problem hat der Bürgermeister eher damit, dass kaum einer weiß, dass hinter dem fiktiven Niederkaltenkirchen das echte Frontenhausen steckt. "Die touristische Vermarktung ist schwierig", sagt Gassner. Die Frage ist halt: Wäre die Vermarktung wirklich leichter, stünde auf dem Ortsschild "Niederkaltenkirchen"? Angeblich ist Frontenhausen ja wie Niederkaltenkirchen. Und Niederkaltenkirchen, sagt Rita Falk, ist wie "jedes x-beliebige Dorf" in Bayern. Bei allem Respekt: Wer bitteschön will da Urlaub machen?

Andererseits: Vielleicht sollte man erst mal prüfen, ob Frontenhausen wirklich so ist wie die Bücher und die Filme uns einreden. Bei der Gelegenheit kann man die Leute gleich fragen, ob es nicht wehtut, in ein Klischee gepresst zu werden.

Man verlässt den Marktplatz, geht ums Eck, vorbei an Friseur und Fahrschule und betritt die Metzgerei Stadler. Auch hier drin wurde gedreht. Im Film gehört der Laden "dem Simmerl", einem einfach gestrickten, derbschnauzigen Metzgermeister, der jeden Abend beim Wirt rumhängt und eine Halbe nach der anderen trinkt. Einfach, derb, bierselig: ein Niederbayern-Klischee. So sind fast alle Figuren in den Eberhofer-Filmen. G'schert, oder? Na ja, die Filme seien halt "auf lustig gemacht", sagt Sylvia Kappel, die im echten Leben hinter der Auslage mit dem Leberkäs und dem Presssack steht. Aber klar, sagt Kappel, es wird geredet in der Metzgerei und manche "sagen schon, dass die Niederbayern dumm hingestellt werden".

Natürlich wissen die Frontenhausener, dass die Eberhofer-Krimis eine Karikatur sind. Aber eine Karikatur ist immer auch ein Spiegel, den man jemandem vorhält. Und würde man den Spiegel nach dem schönsten Ort im Land fragen, die Antwort wäre nicht Frontenhausen. Sicher, am Marktplatz stehen hübsche Häuser, jedes in einer anderen Farbe gestrichen, mit Schweif- und Zinnengiebeln. Aber es gibt auch diese niedrigen Häuser längs an der Durchfahrtsstraße; der Putz blättert, an den Fassaden klebt der Dreck der Straße. Wer die Tristesse sucht, findet sie überall. Nicht nur in Niederbayern, in Oberbayern genauso. Nur: In Oberbayern sucht der Film die Tristesse gar nicht erst.

Zum Beispiel die "Rosenheim-Cops", auch so eine Heimatkrimi-Produktion. Natürlich hat Rosenheim hässliche Ecken, aber im Film "sieht man nur Berge und Sonnenschein und irgendwann denkt der Zuschauer: Das ist Bayern. Aber es ist nicht Bayern", sagt Bernhard Pill, 53, der in Frontenhausen beim Bauhof arbeitet, bei der Freiwilligen Feuerwehr ist er auch. Pill findet die Eberhofer-Filme ehrlicher als den Postkartenbayern-Kitsch, der sonst so im Fernsehen läuft. Auch der Menschenschlag in den Eberhofer-Filmen sei "ziemlich real", sagt Pill. Eine Karikatur, klar, "aber der Niederbayer ist schon ein bockboaniger Hund".

"Bockboanig"? Halt griesgrämig, stur, wortkarg, sagt Pill, ein freundlicher, fülliger Mann mit Fünftagebart, orangefarbener Leuchtweste und lustiger Bommelmütze. Ein Original, wie man so sagt. Er könnte in den Eberhofer-Filmen mitspielen, ohne sich umzuziehen. In Frontenhausen nennen sie Pill den "Filmbeauftragten". Wenn eine Maibaum-Szene im Drehbuch steht oder eine Kehrmaschine durchs Bild fahren soll, treibt Pill einen Maibaum oder eine Kehrmaschine auf. Wenn Straßen gesperrt werden müssen oder der Kameramann eine Drehleiter braucht, dann trommelt Pill die Feuerwehrler und Bauhof-Kollegen zusammen. Schon kurios: Das Kino macht sich lustig über diesen Ort - und die Frontenhausener helfen auch noch mit.

Der Maibaum, die Drehleiter, die Leberkässemmeln für das Filmteam, "das stellen wir schon in Rechnung", sagt Bürgermeister Gassner. Alles in allem, findet er, ist die Filmsache "positiv für Frontenhausen". Ähnlich sieht das Bernhard Pill. Natürlich kenne auch er ein paar Leute im Ort, die sich beschweren, "dass wir Niederbayern verarscht werden". Nicht viele, nur "ein paar Kaschperl", sagt Pill. Die Mehrheit sei stolz, dass Frontenhausen jetzt Kinokarriere macht.

Eine Karriere allerdings, die auf Lügen gebaut ist. Die Filme drehen sich um Franz Eberhofer, den Dorfpolizisten. Aber einen Dorfpolizisten gibt es in Frontenhausen schon lange nicht mehr. Die nächste Polizeidienststelle ist in Dingolfing, ab und zu schaut eine Streife in Frontenhausen vorbei. "Es ist auch nicht so, dass wir einen eigenen Polizisten brauchen", sagt Bürgermeister Gassner. Im vergangenen Jahr seien hier 28 Radl gestohlen worden, "das war ein Riesenthema", aber sonst? Mord und Totschlag wie in den Filmen? Es ist nicht so, "dass hier lauter Bazis unterwegs wären", sagt Gassner.

Auch ein bayerisches Wirtshaus gibt es nicht in Frontenhausen, nicht in der Ortsmitte. Anders als im Film, da hocken der Eberhofer und seine Spezln immer beim Wolfi, dem Niederkaltenkirchener Dorfwirt. Im echten Leben gehen die Frontenhausener ins "Anstoß", eine Fußballkneipe, oder in die Cocktailbar "Babaloo". Zwei Italiener gibt es rund um den Marktplatz, zwei Dönerläden und einen Griechen, aber der "Gasthof zur Post" hat vor vier Jahren zugesperrt. Zurzeit renovieren sie den Gasthof, ein tolles Gebäude, mit uraltem Fischgrätholzboden, mit Stuck an den Decken und einem Festsaal mit opernhafter Jugendstil-Balustrade.

Einen Dorfgendarm, der einen Audi 80 fährt, ein richtiges Wirtshaus, eine Telefonzelle - das alles gibt es in den Eberhofer-Filmen noch. Die Filme zeichnen ein Niederbayern-Bild "von vor 20 oder 30 Jahren", sagt Bürgermeister Gassner. Ein Bild, das überholt ist, ein Zerrbild. Wie diese Hohlspiegel, die es früher auf den Volksfesten gab. Die einen so verzerrt haben, dass man entweder klein und dick aussah oder dünn und lang. Vielleicht liegt auch darin die Erklärung, dass die Frontenhausener so unaufgeregt in den Spiegel schauen, den ihnen das Kino hinhält. Wer weiß, dass der Spiegel lügt, dem fällt es leicht, über sein Spiegelbild zu lachen.

Die Eberhofer-Krimis sind klamaukig und bedienen gleichzeitig eine sehr ernsthafte Sentimentalität. Sie zeigen eine fast unglobalisierte Welt, in denen sich das Leben überschaubar und geordnet zwischen Wohnung, Kirche und Wirtshaus bewegt. Der Erfolg der Eberhofer-Krimis sagt viel über den Zeitgeist aus, findet Bürgermeister Gassner. Von den Leuten höre er oft, "dass es so schlimm ist auf der Welt". Und dann, sagt er, gehen diese Leute ins Kino, sehen Frontenhausen und hängen der "gute alten Zeit" nach.

Das ist ja Gassners Problem: Das Kino ist nicht die Wirklichkeit und Frontenhausen nicht Niederkaltenkirchen, jedenfalls nicht eins zu eins. Wie also soll man so einen Ort nun vermarkten? "Wir wollen uns was einfallen lassen", sagt Gassner, "aber man kann da nicht so viel draus machen." Wenn in Oberbayern gedreht werde, ziehe das automatisch die Touristen an, aber "hier gibt es halt keine Berge". Und dann ist da immer noch das Problem, dass viele nicht wissen, dass Niederkaltenkirchen in Frontenhausen liegt.

Das will Franz Gassner jetzt endlich ändern. "Vielleicht werden wir den Kreisverkehr umtaufen", sagt der Bürgermeister. Eine Idee, wie der Kreisel heißen soll, hat Gassner auch schon: Franz-Eberhofer-Kreisverkehr.

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SZ vom 16.12.2017/axi/van
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