Kriminalität:Wie Bamberger Ermittler weltweit gegen Kindesvergewaltigung vorgehen

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Kinderpornografie beschäftigt die Ermittler auch in Bayern immer mehr. Besonders besorgniserregend ist dabei ein neues Tatmuster: sexueller Kindesmissbrauch wie auf Bestellung im Internet, live übertragen über eine Webcam. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Seit Jahren nehmen die Fälle von sexuellen Missbrauchsdarstellungen an Kindern zu. Die Täter sitzen überall auf der Welt, doch alle Anzeigen aus Bayern dazu landen bei einem Team in Bamberg. Mit welchen Techniken die Ermittler dort die Spuren verfolgen – und woher die meisten Hinweise kommen.

Von Max Weinhold, Bamberg

Jahr für Jahr nimmt die Zahl der Fälle von Verbreitung, Besitz und Erwerb von Kinderpornografie im Internet zu. So verstörend sie ist, neu ist diese Entwicklung nicht, auch nicht in Bayern. 8728 Verfahren zählte das zuständige Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornographie und sexuellem Missbrauch im Internet (ZKI), angesiedelt bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, im Jahr 2024. Und damit 582 mehr als im Vorjahr.

Nicht so dramatisch klinge dieser Anstieg, sagt Thomas Goger, Leitender Oberstaatsanwalt und Chef der ZKI. Jedenfalls auf den ersten Blick. Auf den zweiten offenbart sich ein Umstand, der ihn und seine Kollegen besorgt und rätseln lässt. Von 2023 auf 2024 sank die Zahl der Verfahren gegen unbekannte Täter von 3610 auf 1978, also um etwa 45 Prozent. Goger zufolge ist dies darauf zurückzuführen, dass 2023 viele Verfahren von der Aufdeckung gehackter Facebook-Konten angestoßen worden waren, von denen aus kinderpornografische Inhalte verbreitet wurden. 2024 entfiel dieser Sondereffekt fast vollständig.

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Und trotzdem wuchs die Gesamtzahl der Fälle – wegen eines „immensen Anstiegs“ der Verfahren gegen bekannte Täter: 6750 statt 4536, eine Zunahme um fast 49 Prozent. „Klar sind wir besser geworden im Ermitteln, klar haben wir investiert in bessere Methoden, klar ist das Meldeverhalten der Online-Wirtschaft in dem Bereich sehr gut“, sagt Goger. Aber ob diese Faktoren den Anstieg alleine erklärten, da sei er sehr skeptisch. „Meines Erachtens reichen sie nicht.“

Und dann ist da noch ein anderes Tatmuster, das den Ermittlern Sorgen bereitet: sexueller Kindesmissbrauch wie auf Bestellung im Internet, live übertragen über eine Webcam. „Wir nehmen wahr, dass das in den vergangenen ein, zwei Jahren ein relevanteres Phänomen geworden ist“, sagt er. Die Opfer solcher Taten befinden sich in aller Welt, die Kontaktaufnahme zu Tätern in Deutschland findet über soziale Medien, zunehmend aber auch über Plattformen im Darknet statt, dem anonymen Teil des Internets. Kinder und Jugendliche werden von Erwachsenen in ihren Heimatländern im Internet zum Missbrauch angeboten und dazu gezwungen, an sich oder anderen Minderjährigen sexuelle Handlungen vorzunehmen. Oder sie werden von den Erwachsenen selbst vor laufender Kamera misshandelt und vergewaltigt – und das nach den individuellen Vorstellungen des zahlenden Täters, der sich Hunderte, manchmal Tausende Kilometer entfernt befindet.

Goger führt die Zunahme auf den „besonderen sexuellen Reiz“ zurück

Einen seltenen Einblick in diese kriminellen Abgründe gewährte bereits im Jahr 2018 ein Prozess am Landgericht Traunstein. Das Gericht verurteilte damals einen Mann wegen der Anstiftung zum Kindesmissbrauch und wegen des Besitzes von Kinderpornografie zu fünfeinhalb Jahren Haft. Er hatte Kontakt zu einer Frau auf den Philippinen aufgenommen, die ihre Tochter, damals acht Jahre alt, ihren Sohn, sieben, und womöglich auch deren zu dem Zeitpunkt vierjährige Schwester zum Missbrauch im Internet anbot. Mehr als 10 000 Euro soll er bezahlt haben, um sehen zu können, was ihm gefiel. „Sie müssen nicht in den Flieger steigen, sie bekommen die Leistung direkt ins Haus“, sagte damals der Vorsitzende Richter in Traunstein über die Täter. „Die Tatgelegenheiten häufen sich, die Schwelle zur Tat sinkt.“

Auf die Anonymität und das im Darknet geringere „Entdeckungsrisiko“, auch weil Live-Übertragungen nicht auf dieselbe Weise wie versendete Bilder gespeichert werden, führt Oberstaatsanwalt Goger die Zunahme solcher Taten nicht zurück. Sondern eher auf den „besonderen sexuellen Reiz, der leider die Nachfrage nach solchen Angeboten steigert“. Er sagt, der „Kick auf Täterseite“ sei sicherlich größer, wenn sich das, was sich am anderen Ende der Leitung abspiele, nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen richte. Es sei ein anderes Maß an Exklusivität gegeben als auf Plattformen, auf denen mehrere Nutzer Bilder austauschen und zugleich ansehen können. Und natürlich haben sich die technischen Möglichkeiten für Live-Übertragungen vergrößert.

Wie schon der Traunsteiner Fall von 2018 zeigte, handelt es sich um ein globales Problem, das sie von Bamberg aus angehen wollen. Besonders die Identifizierung der Opfer sei „ein schwieriges Feld“, sagt Goger, schließlich sitzen diese überall auf der Welt. Aber auch die Ermittlung der Täter – auf beiden Seiten der Leitung – ist herausfordernd für die IT-Spezialisten. Einen Ansatz bieten Bezahlströme. Wenn verdächtige Zahlungen ins Ausland gehen, etwa auf die besonders betroffenen Philippinen, können die Ermittler deren Zweck nachspüren.

Alle Anzeigen aus Bayern wegen Kinderpornografie im Netz landen in Bamberg

Von enormer Wichtigkeit sind für die Bamberger Ermittler die Hinweise, die sie vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) erhalten. Anbieter elektronischer Dienste wie sozialer Netzwerke sind in den USA verpflichtet, der gemeinnützigen Kinderschutzorganisation verdächtige Inhalte zu melden. Diese analysiert und leitet sie, sofern sich ein Verdacht erhärtet, an Strafverfolgungsbehörden in aller Welt weiter.

Wie viele Hinweise im vergangenen Jahr aus den USA in Bamberg eingingen, kann Goger nicht sagen, sie würden nicht gesondert erfasst. Aber es werde die Mehrheit der Fälle sein. Ein Großteil der niedrigschwelligen Verfahren, weniger schwere Vergehen also, nähmen auf diese Weise ihren Anfang. Aber auch am Ende sehr schwerwiegende Fälle hätten oft ihren Ausgang in einer vermeintlich harmlosen NCMEC-Meldung genommen.

In Bamberg nehmen sie sich der Bekämpfung des Missbrauchs im Livestream nun gezielt an, alle einschlägigen Anzeigen aus Bayern landen hier. Die Ermittler wollen Fälle bündeln, um das Vorgehen der Täter besser nachvollziehen zu können und auf ihre Spuren zu kommen. Weniger Arbeit dürften sie dabei künftig kaum zu bewältigen haben. Die EU-Strafverfolgungsbehörde Europol bezeichnet das Phänomen als „anhaltende Bedrohung“ – und als „die wichtigste Form der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern“.

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