Kinderbilder über den Tod:"Tot, töter, ganz platt"

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Tote sind für Kinder noch lebendig - aber nur noch ein bisschen, erklärt Professorin Martina Plieth. (Foto: privat)

Warum es in Ordnung ist, wenn die Oma auf einer Wolke sitzt: Eine Professorin erklärt anhand von Zeichnungen, wie sich Kinder den Tod vorstellen.

Interview von Katja Auer

Ob Tote noch was riechen können und wie es eigentlich im Himmel aussieht, davon haben Kinder konkrete Ideen. Die Theologieprofessorin und Pfarrerin Martina Plieth hat sich mit den kindlichen Vorstellungen vom Sterben beschäftigt und Kinderbilder ausgewertet. Einige sind nun in einer Ausstellung in Nürnberg zu sehen.

SZ: Frau Plieth, was folgern Sie aus dem Satz eines Kindes: Tote essen auch Nutella, aber weniger als ich.

Martina Plieth: Das lässt die Wissenschaftlerin darauf schließen, dass Kinder ein anderes Todesverständnis haben als Erwachsene. Tote sind in den Augen der Kinder verdünnte Persönlichkeitsreste. Sie sind noch lebendig, aber nur ein bisschen. Sie können sprechen, aber nur leise. Sie gucken Fernsehen, aber nicht lange. Für Erwachsene ist Leben Leben und Tod ist Tod. Da kann es sehr belastend sein, wenn jemand stirbt.

Ausstellung in Nürnberg
:Kinderbilder über den Tod

Die Professorin Martina Plieth hat Kinder Bilder zum Thema Tod zeichnen lassen - die Ergebnisse.

Ist für Kinder vor diesem Hintergrund der Tod des Großvaters weniger schlimm?

Nein, aber die Traurigkeit ist etwas gemildert. Die Toten sind zwar weg, aber sie leben ja noch ein bisschen. So kommt die Hoffnung mit in die Trauer hinein. Kinder denken, man kommt in den Sarg, in die Erde. Dann kommen die Würmer und die Angst vor dem Zerstört-Werden, das ist alles nicht schön. Aber wenn man sich lange genug ausgeruht hat, dann kann man raus aus dem Grab. Das ist anders als die Vorstellung, dass mit dem Verfall der irdischen Existenz alles ganz und gar beendet ist.

Eine zutiefst christliche Vorstellung.

Sicher christlich, aber auch urmenschlich. Ich habe mit christlich und nicht-christlich geprägten Kindern gesprochen und mit solchen aus anderen Religionen. Alle glaubten, dass der Tod im Dunklen haust und das Leben im Hellen zu finden ist. Ihnen war wichtig, dass nach der Phase im Grab etwas Neues und Schönes beginnt.

Im Himmel?

Manche nennen es Himmel, andere sprechen von Gottesburg oder Wolkenstadt. Auch nicht-religiöse Kinder haben eine Vorstellung vom Leben nach dem Tod. Sie gehen davon aus, dass es sehr lebendig zugeht und dass es jede Menge Gemeinschaft gibt. Dort kann man sich sein Fußballteam wählen und mit Freude miteinander kicken.

Klingt toll.

Leider verlieren die pickelgesichtigen 14-Jährigen häufig ihre kindliche Hoffnungsfreude und versinken in Anklängen von Depression. Sie müssen in der Pubertät viele Brüche und Sprünge bewältigen. Manchmal erinnern sie sich als Erwachsene, was sie als Kinder gedacht haben. Das kann trösten. Zum Beispiel die Vorstellung, aus dem Grab abgeholt zu werden.

Das ist bei den Kindern ein großes Thema.

Ja, die Kinder wollen, wenn sie tot gehen - so drücken sie das aus -, vorbereitet sein. Man braucht also ein Handy im Grab, um eine Pizza zu bestellen, wenn man Hunger hat, und um Bescheid zu sagen, wenn man raus will. Manche gehen davon aus, dass sie von Engeln abgeholt werden, manche denken, dass Gott selbst kommt, und manche kennen den Weg "nach oben" selbst.

Ein Kind hat einen Mann mit Bauchschuss im Grab gemalt. Darin scheint die Sonne.

Der soll sich schnell ausruhen können und mit den Sonnenstrahlen geht das schneller. Kinder gehen davon aus, dass Totsein steigerbar ist. Da gibt es ganz normale Tote, die müssen nicht so lange im Grab bleiben. Dann schlimme Tote, wie den Mann mit dem Bauchschuss, bei denen dauert es etwas länger. Und solche, die sind ganz tot. Die Steigerung ist: tot, töter, ganz platt.

Das klingt beinahe zynisch. Haben Kinder keine Angst vor dem Tod?

Zynisch ist es nicht gemeint, nur beschreibend. Und auch Kinder haben Angst, vor allem vor dem plötzlichen Tod. Ein Wanderer geht durch den Wald und hat einen Herzinfarkt. Das finden Kinder fürchterlich, weil man sich nicht wehren kann. Ängste kommen, wenn Kinder sich ausgeliefert fühlen.

Weil alt sein muss, wer stirbt?

Genau, man wird geboren, erwachsen, alt und dann geht man tot. Dass Jüngere als sie selbst sterben können, ist für Kinder schier nicht annehmbar. Das führt zu klassischen Todesängsten und dazu, dass Siebenjährige wieder ins Bett machen. Andere klammern sich an Erwachsene oder verstummen wie eine geschlossene Auster. Da kommt dann meine Forschung ins Spiel. Die Orthopraktische Thanatagogik.

Bitte?

Thanatos ist der griechische Gott des Todes und Agogik die Lehre vom Lehren und Lernen. Bei der Thanatagogik geht es also um die Lehre von den Lebens-Lern-Bemühungen im Umfeld des Todes. Menschen sollen lernen, mit nahender und hereinbrechender Todeswirklichkeit so umzugehen, dass sie hoffnungsfroh leben können.

Wieso muss man das denn lernen, der Tod hat noch jedes Leben beendet?

Aber er ist sehr ausgegrenzt worden. Heute haben wir Professionelle, die sich mit dem Tod befassen, Bestatter, Pfarrer, Grabredner. Wir delegieren an andere, worum wir uns als Angehörige früher selbst gekümmert haben. Und in unserer Hochleistungsgesellschaft ist Sterben nicht das angesehenste Thema. Wir müssen das, was früher normal war, wieder reaktivieren.

Gibt die Thanatagogik da Tipps?

Der Haupttipp ist, miteinander zu reden. Der Tod wird heute eher totgeschwiegen. Ein Junge hat bei mir eine Trauergesellschaft gemalt, auf dem Bild hat sein Papa geweint. Große, blaue Tränen. Der Junge war ganz begeistert, dass es der Vater wagte, zu weinen. So konnte auch er leichter trauern. Viele Erwachsene wollen ihre Kinder vor dem Todesthema schützen, aber das sollten sie nicht. Wir sollten den Tod und die Toten nicht ausgrenzen.

Martina Plieth, 56, ist Professorin an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg. (Foto: Christian Horn)

Muss man Kinder irgendwann aufklären, dass Tote doch richtig tot sind?

Was heißt das denn? Wir können zwar sichere Todeszeichen benennen und medizinisch erfassen, dass jemand keinen Herzschlag mehr hat. Aber was das heißt, wissen wir auch nicht. Natürlich heißt das nicht, dass wir gar nichts sagen sollten. Aber wir sollten nicht darauf bestehen: Das mit dem Tod ist so oder so. Besser ist: Den Tod stelle ich mir so oder so vor.

Viele erzählen ihren Kindern, dass die Oma jetzt auf einer Wolke sitzt.

Und dann gibt es die Viertklässler, die sagen, ja klar, so eine Wolke ist ja wahnsinnig stabil. Die wissen genau, dass es nicht stimmen kann. Ich bemühe mich, immer bei der Wahrheit zu bleiben. Aber gleichzeitig soll jedes Kind seine eigene Vorstellung haben dürfen. Wenn es das Kind tröstet, dass die Oma auf einer Wolke sitzt, ist es ein gutes Bild, auch wenn es nicht meines ist.

Haben Mädchen und Jungen unterschiedliche Vorstellungen vom Tod?

Oh ja. Alle malen gern Naturdarstellungen. Aber Mädchen zeichnen mit Pastellfarben filigrane Blüten und Jungen malen mit Filzstiften morsche Bäume. Bei Mädchen sieht man Trauer schneller. Ihre Blumen lassen Köpfe hängen. Sie malen oft zweigeteilte Bilder, in der einen Hälfte das Sterben und den Schrecken und in der anderen die Hoffnung und den Ausblick. Die Jungen zeichnen ein Ereignis, den Moment des Sterbens - auch mit Blut und gebrochenen Knochen.

Ziemlich blutrünstig.

Das liegt an der psychosomatischen Entwicklung. Jungen im Grundschulalter entdecken ihre Kraft und erschrecken gern andere. Dabei haben sie aber auch Angst und kompensieren sie mit Schreckensbildern.

Ein Bub hat einen blutverschmierten Sensenmann gemalt.

Nahezu alle Jungen zeichnen den Tod als männliches Wesen. Für sie ist er brutal, er macht die Menschen platt. Mädchen malen den Tod auch als Frau mit mütterlichen Eigenschaften oder als erotische Sexy-Hexy-Tödin, die im Feuer tänzelt.

Haben Sie sich als Kind auch so intensiv mit dem Tod beschäftigt?

Tatsächlich ist meine Arbeit biografisch bedingt. Ich habe meinen Opa verloren, als ich sechs war. Meine Familie wollte mich schützen und ich wurde rausgeführt, bevor er starb. Dann kam ein Auto mit einem Kasten, den Leute ins Haus trugen und wieder raus. Dann war Opa weg. Das war eine Beraubungssituation für mich. Als ich mich dann habilitieren wollte, merkte ich, dass ich mit dem Thema nicht fertig bin.

Die Ausstellung "Tote essen auch Nutella." ist bis zum 14. Dezember 2015 in der Nürnberger Evangelischen Hochschule in der Bärenstraße 4 zu besichtigen.

© SZ vom 16.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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