Süddeutsche Zeitung

Kinder inhaftierter Eltern:"Weil ich ihn vermisse"

Lesezeit: 4 min

In der Nürnberger Justizvollzugsanstalt können Gefangene mit ihren Söhnen und Töchtern spielen. Es geht nicht um Hafterleichterung, sondern um das Recht der Kinder auf ihre Väter.

Von Katja Auer

Paul will Glitzer auf seinen Christbaumanhänger, in seinem Alter, er ist jetzt sechs, hält er das noch nicht für Mädchenkram. Sein Papa gehorcht geduldig und tupft das Flitterzeug auf das Holz, das er gerade mit Wasserfarben angemalt hat. "Wie sehen Engel aus?", fragt ein Bub am Nachbartisch. Wären da nicht die Gitter vor den Fenstern, es könnte ein normaler Bastelnachmittag sein.

Weil es das aber nicht ist, heißt Paul in Wirklichkeit anders, und auch die Väter in der Runde wollen nicht erkannt werden. Alle zwei Wochen haben sie zwei Stunden mit ihren Kindern, in der Vater-Kind-Gruppe können sie miteinander reden, spielen, basteln. Wie in einer ganz normalen Familie. Als ob die Väter nicht in ihrer blauen Kluft zurück in die Zellen müssten, als ob sie nicht noch eine Zeit abzusitzen hätten in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg.

"Ein normaler Besuch ist für die Kinder eher abschreckend, weil er nicht kindgerecht ist", sagt Beate Wölfel. Die Sozialpädagogin vom Treffpunkt, der Beratungsstelle für Angehörige von Inhaftierten, organisiert die Gruppe zusammen mit einer Kollegin der JVA und versucht, die Kinder vergessen zu lassen, wo sie ihre Väter treffen. In dem Zimmer stapeln sich Spielsachen, an diesem Tag hat jeder einen Nikolaus bekommen.

Der normale Besuchsraum ist kahl, Stuhl an Stuhl sitzen sich Gefangene und Besucher in einer Reihe gegenüber und richtig kuscheln geht nur, wenn der wachhabende Beamte großzügig in die andere Richtung schaut. In der Vater-Kind-Gruppe darf gekuschelt werden. Wölfel und ihre Kolleginnen wissen um die Bedürfnisse der Kinder. Vor 20 Jahren wurde der Treffpunkt als erste derartige Beratungsstelle in Deutschland gegründet. Dass der Bedarf da ist und längst nicht ausreicht, hat gerade das europaweite Coping-Projekt belegt, das erstmals die Situation von Kindern inhaftierter Eltern in vier Ländern untersuchte. Justyna Bieganski vom Treffpunkt arbeitete daran mit.

"Es geht nicht um eine Hafterleichterung für den Vater, sondern um das Recht des Kindes auf seinen Vater", sagt sie. Zum ersten Mal sei nicht über, sondern mit den Kindern gesprochen worden. 100.000 Betroffene gibt es in Deutschland. Die Untersuchung habe ergeben, dass diese Kinder im Vergleich zu ihren Altersgenossen mehr psychische und auch körperliche Probleme hätten. "Nach außen hin haben wir alle so getan, als wäre alles normal", erzählt eine Elfjährige in der Befragung. Innerlich war es das nicht. "Es gab halt mehr Stress", sagt das Mädchen. Viele Kinder bekommen Schwierigkeiten in der Schule, oft fehlt das Geld, dazu kommt die Sorge um die überforderte Mutter. Und die ewige Heimlichtuerei. Die Frauen erzählten alles mögliche, sagt Bieganski, aber kaum eine gebe zu, dass ihr Partner im Gefängnis sitzt. Zu groß ist die Angst vor der Stigmatisierung. Die Kinder schweigen mit.

Pauls Papa spricht sehr ernst mit seinem Sohn. "Die Mama war sehr traurig", sagt er zu dem Kleinen. Der verspricht, dass es nicht mehr vorkommen wird. Er hat geklaut neulich, im Supermarkt steckte er Süßigkeiten ein. Sein Papa war nicht da, um ihn zurechtzuweisen. "Ich wäre gern ein bisschen strenger", sagt der, aber das fällt schwer in der knappen gemeinsamen Zeit. Pauls Vater ist schon lange weg, seit einem Jahr und drei Monaten ist er in Haft. Bis Mai dauert sie noch. "Man verpasst schon was", sagt er. Er hat noch einen jüngeren Sohn mit seiner Freundin, mit der er schon seit elf Jahren zusammen ist. Er sei mit den Kindern nicht so sicher wie sie, sagt er.

Wenn er mit Paul spielt, sieht das trotzdem vertraut aus, die beiden lachen viel, der Papa jagt den Sohn um den Tisch, dann malt er ihm einen grünen Punkt auf die Nase. Paul denkt, dass der Papa hier arbeitet. Irgendwann will er es ihm erzählen, sagt sein Vater, der noch jung ist, gerade 23 Jahre alt. "Aber ich will nicht, dass er das als Vorbild sieht". Er ist nicht zum ersten Mal im Gefängnis, schon die ersten zwei Lebensjahre von Paul verpasste er wegen einer Haftstrafe. Körperverletzung. "Da muss man nicht stolz drauf sein", sagt er. Wenn er rauskommt, soll Schluss sein. Im Herbst wird Paul eingeschult, das will er nicht verpassen.

"Kinder können echt gut verzeihen", sagt Sozialpädagogin Beate Wölfel, sie hat die Erfahrung gemacht, dass es viele gar nicht interessiert, warum ihre Väter eingesperrt sind. "Die interessiert, wann sie wieder rauskommen", sagt sie. Beim Treffpunkt gab es mal eine eigene Gruppe nur für Jugendliche, aber die wenigsten wollten über ihre Gefühle reden. Zu sehr hätten sie gelernt, zu verschweigen, dass der Papa im Gefängnis ist, sagt Wölfel. Die Vater-Kind-Gruppe soll ein Stückchen Alltag sein, denn da fehlt der Vater am meisten.

Wie bei der 14-Jährigen, die gerade mit ihrem Vater diskutiert. Es geht um Schuhe. 17 Paar hat sie schon, und sie brauche dringend ein weiteres. Der Papa erklärt, dass andere Kinder viel weniger Taschengeld bekämen. Und das man nicht alles haben könne. Oder auf etwas anderes verzichten müsse. "Du verstehst das nicht", argumentiert der Teenager, "du bist ein männliches Wesen." Die Sozialpädagogin wird zu Rate gezogen. Was soll sie schon sagen.

Zu Beginn jedes Treffens, bevor sich die Väter mit ihren Kindern an einen eigenen Tisch zurückziehen können, gibt es eine große Runde. Ein kleines Spiel, Kinder und Eltern sollen auf einem Fragebogen ihre drei größten Wünsche aussuchen. Paul, der noch nicht lesen kann und glaubt, dass er seinen Papa in der Arbeit besucht, wünscht sich Spielsachen. Die Älteren kreuzen an, "dass Papa nie mehr ins Gefängnis kommt". Die Begründung ist ganz einfach - "weil ich ihn vermisse".

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Quelle:
SZ vom 27.12.2012
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