Eine Frau, seien wir ehrlich, eine ältere Dame, besucht also einen Flecken auf gebirgigem Terrain. Viele Tausend Kilometer hat sie zurückgelegt, nur um exakt in dieses nicht über die Maßen hübsche Städtchen zu gelangen. Mitgebracht hat sie Geld, viel Geld, etliche Millionen. Wer sich – verglichen damit – den schmalen Haushalt der Kleinstadt anschaut, dem wird’s schwindelig.
Und bitte was? Das viele Geld verspricht die betagte Dame nun einfach diesem Städtchen mit den knapp 1500 Einwohnern? Mit dem Ort habe sie irgendwann mal etwas zu schaffen gehabt vor vielen Jahren? Oh, mein Gott.
Manchmal hatte man schon Gänsehaut im Theater, nicht selten waren abgedrehte Inszenierungen schuld daran. Bei Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ aber können sich Theatermenschen selbst verwirklichen, wie sie wollen. Komplett ruinieren können sie dieses Stück Gänsehaut, dieses verstörendste Gedankenspiel der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, nicht.
Zur Erinnerung: Bei Dürrenmatt besucht eine ältere Dame, sie heißt Claire Zachanassian, eine nicht eben wohlhabende Kleinstadt. Mit der hat sie früher, vor 45 Jahren, zu tun gehabt, ehe sie ging und steinreich wurde. Den Einwohnern im Kaff bietet sie viel Geld. Und zwar dafür, dass sie einen Mann, der ihr damals schweres Unrecht zugefügt hat, unter die Erde bringen. Der Rest darf womöglich als bekannt vorausgesetzt werden. Nur so viel: Es endet ungut für den Mann, sehr ungut.
Gut, Puls wieder runter. Die Rede ist hier nicht vom Städtchen Güllen, sondern von Hohenberg an der Eger, Oberfranken, Rand des Fichtelgebirges. Die betagtere Dame heißt auch nicht Zachanassian, sondern Kazuko Yamakawa. Sie hat etwas mit Hohenberg zu tun gehabt vor vielen Jahren, ja doch, das aber war erfreulicher Natur: In den Sechzigerjahren hat sie ein Tuch entdeckt. Das stammte aus Hohenberg, aus der Weberei Ernst Feiler. Zurück in Japan machte sie das zur Marke. Und wurde reich damit, sehr reich.
Dieser Tage war sie erneut in Hohenberg, diesmal ist das Geld für ein Seniorenhaus. Bedingungen? Keine. Sie sei dem Ort schlicht dankbar, sagt die 82-Jährige.
Oft schon wurde groß über die Gönnerin aus Japan berichtet, auch in dieser Zeitung, Kazuko Yamakawa hat sich ja öfter bereits dankbar gezeigt. Jedes Mal aber zuckt man wieder zusammen, grundlos.