Süddeutsche Zeitung

Ausstellung in Kaufbeuren:Das Schürzl war die Blue Jeans der Bäuerinnen

Über Jahrhunderte hinweg war das Schürzl, wie die Schürze im Dialekt heißt, eines der wichtigsten Kleidungsstücke von Hausfrauen und Landwirtinnen. Und doch scheiden sich an ihm die Geister. Denn nach wie vor ist damit ein Rollenklischee verknüpft.

Von Hans Kratzer, Kaufbeuren

Die 85-jährige Einödbäuerin Anni Sigl aus Hilgenreith im Bayerischen Wald hat ein bescheidenes Leben geführt. Und doch ist sie vor gut zehn Jahren plötzlich in den Fokus der Medien geraten. Zunächst wurden einige Zeitungen auf Anni und ihren Ehemann Alois aufmerksam. Im Jahr 2012 erschien dann Julia Seidls Buch "Anni und Alois - Arm sind wir nicht: Ein Bauernleben", das viele Leserinnen und Leser fand.

Auch deshalb, weil es einen faszinierenden Blick auf eine Existenz öffnete, die frei war von jeglichem Luxus. Ohne Zentralheizung, ohne Bad und ohne Auto, heute wirkt das, als wären Anni und Alois aus der Zeit gefallen. Bald setzte ein bundesweiter Rummel um das alte Ehepaar ein, das bis zu Alois' Tod vor gut eineinhalb Jahren trotz aller Härten ein zufriedenes Leben führte, wie die beiden stets betonten.

Annis Zufriedenheit beruht nicht zuletzt auf einem Kleidungsstück, das für frühere Generationen unverzichtbar war, nämlich das Schürzl. In einem Filmstreifen, der auf dem Internet-Kanal Youtube zu sehen ist, erzählt Anni freiweg: "Dahoam trag ich immer Kleiderschürzn, ob des Weihnachten ist oder Ostern oder Pfingsten, des is mir gleich." Wenn sie alle ihre Schürzen zusammenzähle, so komme sie auf 110 Stück, erzählt sie in dem Filmbeitrag. "Zu 90 Prozent hab ich die soiba gmacht", sagt sie.

Freilich, Schürzl ist nicht gleich Schürzl. Quellen des Landesvereins für Heimatpflege und eine Ausstellung im Stadtmuseum Kaufbeuren belegen die Vielfalt dieses Kleidungsstücks, die von der Kittelschürze bis hin zur Röntgenschürze reicht. In Kliniken gehören flüssigkeitsdichte Wegwerfschürzen zur Berufskleidung. Schürzen für Schreiner sind aus festem Baumwollstoff gefertigt, der vor scharfen Messern Schutz bietet. Lederschürzen für Schmiede schützen vor Funkenflug und Metallspänen. Meistens aber verbindet man mit der Schürze die Kittelschürze, wie sie vor allem Bäuerinnen und Hausfrauen trugen.

Für die Volkskundlerin Esther Gajek ist die Schürze ein Objekt, das Emotionen auslöst. "Ähnlich wie beim Gartenzwerg scheiden sich auch hier die Geister", sagt Gajek. Denn gerade die Kittelschürze reduziere eine Frau oft auf die Rolle der Hausfrau, von der sich viele Frauen heute emanzipiert haben. Das gilt auch für die 80-jährige Schürzen-Sammlerin Ute Dwinger, die früher von ihrer Mutter an Weihnachten stets eine selbst genähte Schürze bekam.

Ende der Sechziger änderte sich der Stellenwert

Später sammelte sie Schürzen, deren Geschichten verraten viel über den schweren Alltag der Frauen. Dwinger sagt, ihre Großmutter habe ihre dunkle Schürze für alles benutzt: zum Trocknen von Tränen, zum Abwischen des Tisches, zum Abtrocknen der nassen Hände, zum Verjagen der Fliegen sowie zum Transport von Eiern, Äpfeln und Saatgut. "Und ich als kleine Enkelin durfte mich, wenn es nötig war, sogar unter der Schürze der Großmutter verstecken."

Der Autor Albert Sigl beschreibt in seinem Roman "Sonnham" (2005) Ähnliches bei einer Großmutter: "Mit einer Hand hielt sie das Geld fest, das sie in ihrem Schürzl verwahrte." An einer anderen Stelle heißt es: "Zehn Eier tat sie in ihr Schürzl." Das Schürzl war eine Allzweckkleidung, quasi die Blue Jeans der alten Bäuerinnen. Die Bäuerin Anni Sigl erzählt in dem oben erwähnten Film, in ihrer Verwandtschaft hätten die meisten Frauen Kleiderschürzen getragen. Und wenn sie wirklich einmal ein richtiges Kleid anhatten, dann trugen sie eine Trägerschürze darüber, auf der sie sich die Hände abwischen konnten. "Mir ist eine Kleiderschürzn am liaban", sagt Anni, "da bin ich luftig drinna, kann mich bewegen und es zwickt nix", da lacht sie. Auch wenn sie mit dem Traktor zum Einkaufen fahre, habe sie nur die Kleiderschürze an.

Ende der 1960er-Jahre änderte sich der Stellenwert der Schürze. Dank moderner Waschmaschinen verlor das Schonen der Kleidung an Bedeutung und damit auch das Schürzl. Als König der Schürzenstoffe gilt bis heute das Textil-Versandhaus Witt in Weiden. Schon in den 1930er-Jahren verzeichnete es mit den praktisch und modisch gestalteten Wickelschürzen einen Verkaufsschlager, der bis heute im Programm ist.

Bis in die 1960er-Jahre war es üblich, dass Mädchen in der Schule Schürzen trugen, damit die Kleidung vor Tintenflecken geschützt war. Die Schülerinnen sollten alle möglichst ähnliche Schürzen tragen. Dahinter stand eine feste Absicht, sagen die Expertinnen Gajek und Dwinger: "Die Mädchen sollten weder Eitelkeit noch Stolz entwickeln." Noch 1962 standen an bayerischen Volksschulen zwei Schürzen auf dem Lehrplan: eine Dirndlschürze (5. Klasse) und eine Schürze nach der modischen Form (7. Klasse). Sie standen für ein wichtiges Ziel des Handarbeitsunterrichts: die Vorbereitung der Mädchen auf ihre spätere Rolle als Hausfrau und Mutter. "Nähen, Sticken, Häkeln, Stopfen, Flicken, Stricken - all das gehörte zu den Fertigkeiten, die eine gute Hausfrau, Mutter und Gattin früher beherrschen musste", ist in der Ausstellung zu lesen.

Schon im 16. Jahrhundert war die Schürze fester Bestandteil der Frauenkleidung. Edle Stoffe, Schnitte und Muster waren ein Statussymbol, die Kittelschürze zum Arbeiten setzte sich erst nach dem Ersten Weltkrieg durch. Eine Besonderheit ist das Dirndlkleid, das sich im späten 19. Jahrhundert als Festtagskleid etablierte und in den vergangenen Jahrzehnten auch als Volksfestkleid neuen Aufschwung erlebte. Die Dirndlschürze soll Weiblichkeit zum Ausdruck bringen. "Und die Schleife wird zum Botschafter der Absichten der Trägerin", erklären Gajek und Dwinger. Ist die Schleife vorne links gebunden, so heißt das in der Flirtsprache: Anbandeln erwünscht!

"Auch bei weißen Schürzen kam ein Hauch von Erotik ins Spiel", sagt Gajek, denn mit zartem Stoff und mit Spitzen verziert ähnelten sie der zeitgenössischen Unterwäsche. Überdies verwies die weiße Farbe auf Hygiene und Reinheit, auch im Sinne von moralischer Unbeflecktheit und jungfräulicher Unschuld. Diesbezüglich wohnte dem Wort Schürze lange Zeit eine Geschlechterproblematik inne. Indem nämlich Schürzen und Frauen bisweilen als Synonym galten, besonders in dem Wort Schürzenjäger, das schon längst nicht mehr in die Zeit passt.

Angebandelt - Ein Date mit der Schürze. Stadtmuseum Kaufbeuren, bis 6. März 2022.

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