Süddeutsche Zeitung

Katharina Schulze:Grünen-Politikerin macht Fernreise mit Plastiklöffel

Und ihr schlägt geradezu blanker Hass entgegen. Doch darüber muss Katharina Schulze sich nicht wundern.

Glosse von Claudia Henzler

Vor 25 Jahren gab es in Bayern noch nicht sehr viele Vegetarier. Aber die waren eine echte Plage. Trotz ihrer absonderlichen Ernährungsform sind sie in bayerische Gasthäuser gegangen, nur um dort lustvoll den Küchenchef und die Bedienung zu quälen. Mit der hinterlistigen Frage "Ist das vegetarisch?" provozierten sie unbeholfene Antworten, über die sie sich dann in verschworener Runde amüsierten ("Ja, da ist nur ein bisschen Schinken drin. Aber der ist ganz klein geschnitten.")

Viel schlimmer aber war, dass die Vegetarier durch ihre Fleischverweigerung immer wie ein personifizierter Vorwurf am Tisch saßen. Auch wenn sie gar nichts sagten, zwangen sie die Normalesser, ihr eigenes Ernährungsverhalten wortreich zu rechtfertigen. Und selbst wenn ihnen angeblich ganz egal war, ob die anderen Schnitzel bestellten, gaben sie den Fleischessern doch das Gefühl, moralisch unterlegen zu sein. Die wussten sich dann oft gar nicht anders zu helfen, als die Vegetarier anzugreifen und nach Inkonsequenzen zu suchen: "Aha! Vegetarier, aber rauchen!"

War der Vegetarier schon eine Provokation, ist es der Grünen-Politiker mindestens im Quadrat. Der ist ja für gute Luft und saubere Meere und noch ein paar ähnliche Sachen, die zwar die allermeisten Menschen auch recht wünschenswert finden, aber die sagen es halt nicht dauernd. Für viele ist ausgemacht, dass der Grüne grundsätzlich auf einem sehr hohen Ross sitzt, weil er die Welt besser machen will. Deshalb ist es manchen Leuten eine innere Befriedigung, böse Kommentare über Grünen-Politiker abzusondern, wenn sie eine Fernreise machen. Und deshalb muss sich Katharina Schulze nicht wundern, dass ihr geradezu blanker Hass entgegenschlug, weil sie nach Kalifornien flog und dort auch noch mit einem Plastiklöffel Eis aß.

Wenn es darum geht, sich ökologisch zu verhalten, gilt für viele das Prinzip "ganz oder gar nicht". Rational ist das nicht. Niemand kann ernsthaft verlangen, dass ein paar Deppen in selbstgestrickten Kleidern aus regionaler Biowolle zur Radtour aufbrechen, während alle anderen ihre Würstl überm Kohlegrill braten, dicke Autos fahren und nach Thailand fliegen. Viel sinnvoller wäre, dass jeder ein paar vernünftige Abstriche macht und sich ab und zu auch mal was gönnt.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2019/ebri
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