Süddeutsche Zeitung

Karneval:Alles, was der Fasching braucht

Zwischen Einhornkostümen, Genschermasken und Furzkissen: Ein Besuch im Bamberger Kaufhaus der fünf Jahreszeiten ist ein Erlebnis der besonderen Art. Kinder nimmt man aber besser nicht mit.

Von Johann Osel

Das Ersatzteillager fürs Gesicht geht gleich neben der Kasse los - falsche Ohren, Zähne, Nasen, Wimpern, oft in ein paar Dutzend Varianten, mal täuschend echt, mal dämlich. Daneben Narben und Wunden zum Aufkleben. Ein paar Jugendliche haben die simulierten Verletzungen entdeckt, feixen und kichern, spielen Zombie, "uurrghh" und "buuuh". Man kann sich ihre Reaktion vorstellen, wenn sie zwei Gänge weiter die große Horror-Abteilung entdecken: eine Tonne mit abgetrennten blutigen Fußstümpfen, grünliche Masken von Halbtoten, Kettensägen, die man sich so auf den Kopf drapiert, als würden sie drin stecken.

Oder schräg gegenüber das Regal für Möchtegern-Nackedeis: Voluminöse Frauenbrüste zum Umbinden, Aufsteckpopos mit Slip oder ohne. Viel Gelegenheit gibt es im Bamberger Faschingskaufhaus für pubertäres Herumalbern, stundenlang, wenn man mag. Eine Frau ist nur ganz kurz hier, sie kauft ein Marienkäfermäntelchen. Für sich selbst? Nein, für die Tochter natürlich, sagt sie. "Aber die kannst du hierher echt nicht mitnehmen, die würde mir durchdrehen."

Willkommen im Kaufhaus der fünf Jahreszeiten von Peter und Kunigunde Schauer. In einer früheren Kaserne an den tristen Ausläufern Bambergs, die nicht auf Postkarten gedruckt werden, steht der Gaudi-Tempel. Zu "Süddeutschlands großem Faschingshaus" (Eigenwerbung) kommt ganz Franken, das zeigen die Nummernschilder auf dem Parkplatz; nicht selten auch von weit her. Horcht man sich in Bamberg um, dann ist "der Schauer" ein Begriff. Viele loben die Auswahl, der Laden sei "Kult". Aber man hört auch Worte wie "Ramsch". Beides stimmt wohl.

Punkt Mittag, im Vergleich zum Nachmittag ist eher wenig los. Die Pause bietet beste Gelegenheit, mit Kunigunde Schauer durch ihr Reich zu streifen. Peter Schauer sagt, seine Frau soll das machen, die könne das am besten. Man wird ihm dennoch beim Rundgang begegnen, immer wieder steht er da und erzählt ein paar Schnurren. Hunderttausend verschiedene Verkleidungsartikel haben sie hier, mindestens. So genau können sie es nicht sagen, vielleicht sind es auch ein paar Hunderttausend. Und es gibt kaum etwas, was es nicht gibt: für die Frauen Kleider über Kleider, man spaziert durch Teufel und Engel, Hexen, Zwerge, Ritter, Clowns und Gorillas. Beziehungsweise: ihre Hüllen.

Bestimmt zwanzig Regalmeter Perücken. Auspacken und anprobieren nur mit Personal, besagt ein Schild. "Sonst ist die nach drei Mal verwuzzelt und dann kann man die nicht verkaufen", sagt Frau Schauer streng. Auch ein Ort der Lustigkeit kann sich nicht der Anarchie hingeben. Die Inhaberin fängt bei ihrem Streifzug alle paar Meter an zu räumen - da hat doch einer glatt eine Federboa bei den Perücken liegen lassen. Frau Schauer weiß, wo jedes Ding zu liegen hat, ihr Personal weiß es auch. Anders ginge es gar nicht; wenn ein Kunde etwas gezielt sucht, würde er in dem Tohuwabohu wohl bis Aschermittwoch nicht fündig.

Seit bald hundert Jahren gibt es das Unternehmen. Peter Schauers Vater machte ursprünglich in Süßwaren, der Bonbonkocher und Waffelhersteller fuhr auch viel auf Märkte; und da wurde im Fasching nach Faschingsartikeln gefragt. So begann es allmählich. 1972 haben die Schauers mit Kostümen angefangen, seit 1987 verkauft das Ehepaar - beide "65 plus", genauer darf man es nicht wissen - in der einstigen Kaserne. Fast 5000 Quadratmeter auf vier Etagen, drei für den Verkauf und eine für das Lager, dazu kommt der "Bunker" im Keller, für die Silvesterraketen.

Die anderen "Jahreszeiten" - Frühjahr mit Ostern, Sommer mit Gartenfesten, Herbst mit Halloween und Erntedank sowie Weihnachten und Silvester - werden auch angeboten. Also das, was man dazu braucht oder zu brauchen meint. Etwas ist geblieben von der Zuckerbäckerei: die Tochter der Schauers fabriziert nebenan Zuckerwaren und Waffelwerk, ein Geschäft sind essbare Schnapsgläser aus Waffeln, für Likör. Auch im Fasching. Oder zu Weihnachten. "Irgendeine der fünf Jahreszeiten ist immer," sagt Kunigunde Schauer.

Ob Pappnase oder üppiges Outfit: Für die Spielwarenbranche ist die Lust am Verkleiden ein Riesenmarkt. 289 Millionen Euro Jahresumsatz bundesweit registrierte zuletzt die Fachgruppe Karneval im Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) in Nürnberg. Die neuesten Zahlen stammen aus der Saison 2016, inklusive Halloween 2015. 2,3 Millionen Erwachsenen- und 1,9 Millionen Kinderkostüme, eine Million Perücken, zwei Millionen Hüte, viele Dutzend Millionen Schmink-Sets und Accessoires sind in der Zeit über den Ladentisch gegangen. Nur ein kleiner Teil wird hierzulande produziert, so der DVSI. "Der Großteil kommt aus Fernost, Osteuropa und Nordafrika."

Die Schauers führen auch eine Stoffabteilung - wer sich sein Kostüm schneidern will, findet sicher etwas auf den bunten Rollen. Standard ist freilich das Standardkostüm. Nur welches? Manche Kunden kommen mit Wünschen, weil ihr Ball ein Motto vorgibt; die nächsten haben was geplant, disponieren dann aber fünfmal um angesichts der Auswahl; wiederum andere stürzen sich hinein ins Kaufhaus, stöbern, verirren sich gewollt. "Auch mal vier Stunden sind die Leute hier", sagt Schauer.

Weiter geht's, die medizinische Sparte: Krankenschwestern- und OP-Kittel in allerlei Farben, Stethoskope, Strümpfe mit rotem Kreuz drauf; dann Pfarrerkrägen und Stubenmädchenlatze, Gürtel und Gamaschen, Biene Maja, Turbane, Neandertalerkeulen, Feuerwehrkappen, Bauarbeiterhelme. Schauer zeigt stolz jeden Winkel, "da gibts die dollsten Sachen", sagt sie immer wieder - und räumt auf nebenbei. Ah, ein Zylinder bei den Mäuseohren. "Oje, heut haben sie wieder alles kreuz und quer liegen lassen." Ums Eck sind die Waffen. Hunderte Pistolenmodelle, einige Haken sind leer - ausverkauft.

Die Politikerabteilung ist kurios: Sofort fallen die Genscher-Masken auf, in dreierlei Ausführung, die Ohren stehen immer gleich ab. "Die Ladenhüter", sagt Kunigunde Schauer. Auch den Leonid Breschnew, der wohl seit der Eröffnung hier steht, dürfte nie jemand kaufen. Dass sich vieles mitunter wild ansammelt, scheint ein bisschen Prinzip zu sein. Ein Panoptikum ist das Haus zuweilen. Merkel und Trump gibt es als Papierscheibe, nicht aus Gummi. "Da werden oft keine neuen Politiker hergestellt", sagt Schauer. Vielleicht ist mal ein ernstes Wort an den Lieferanten angebracht - Trump-Gummimasken sah man vergangene Saison oft.

Das kann die Inhaberin bald tun. Gleich nach dem Fasching gehen Bestellung und Planung für die nächste Saison ab September los - dann kommt Halloween, das seit Jahren boomt und sich mit der Faschingssaison vermischt. Dabei ist in Bamberg selbst das Halloween-Geschäft zurückgegangen. Früher war die US-Army in der Stadt stationiert; Soldaten haben sich bei Schauer mit Gruselkram eingedeckt. "So verrückt sind die Deutschen noch nicht", sagt die Chefin. "Aber manche haben ihre Vorgärten hergerichtet, als wär's ein Friedhof."

Nun will sie noch "Weihnachten aufsperren". Genauer: Etage zwei. Krippen, Millionen Kugeln, Lichter, mannshohe Nussknacker, Nikolausmäntel von billig bis Samtstoff für 437 Euro. Ein Reich so üppig wie oben beim Fasching. Erst vergangene Woche hat sie einen Kunden hineingelassen. Der wollte sich beim Kostümkauf gleich einen Adventskranz mitnehmen.

Im Erdgeschoss wartet Partybedarf allgemein, für Geburtstage und andere Feste. In altbekannter Fülle. Zur Weltmeisterschaft im Sommer werden noch Wimpel, Deutschlandfahnen und Tröten dazu kommen. Jetzt findet sich dort auch das, was eigentlich noch nie lustig war, obwohl es der Name verheißt: Scherzartikel wie Fliegen fürs Bierglas, Furzkissen, Kackhaufen aus Plastik. Hinter einem Sichtschutz aus gestapelten Waren: Scherzartikel ab 18. Eine Penis-Puddingform, Kartenspiele mit Busen. Dinge, die die Welt nicht braucht, die aber doch manche kaufen.

Und was sind aktuell die Verkleidungstrends? Vergangenes Jahr waren es die Tiere, Ganzkörperoveralls - als Affe, Löwe, Bär oder Hase. Das zieht immer noch, vielleicht auch, weil es so praktisch ist beim Straßenfasching. Großer Renner heuer: Einhorn. Das wechselt häufig. Kunigunde Schauer erinnert sich an die Hawaii- und Hula-Hula-Phase, als man meinte, es wolle keiner mehr was anderes als Baströcke und Blumenketten tragen: "Jetzt total am Ende"; Pirat ist wieder im Kommen. "Eigentlich hat man sich jedes Jahr gedacht: Heuer geht das nimmer." Manchmal fragen Kunden nach neuen Comic-Figuren, wegen der Lizenzen gibt es die meist noch nicht. Derzeit stark von Kindern nachgefragt, aber nicht lieferbar von den Schauers: Lego-Ninjago, ein Spielzeugtrend. Müssen die Kinder eben als Piraten gehen.

Nicht verwunderlich, dass die Schauers selbst den Fasching mögen. Wenn es kein Motto beim Ball gibt, bleiben sie klassisch. Er als feiner Herr mit Schleife und Pailletten, die Gattin oft mit "schönen Kleidern". Sie könne "da ja einfach ein, zwei Stunden durchprobieren". Doch auch als Pipi Langstrumpf war Kunigunde Schauer schon mal unterwegs: "Das geht wirklich immer, da braucht's gar nicht so dolle Sachen. So was wie die Pipi, das bringt man nie tot."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3861089
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 10.02.2018/sim/sekr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.