Karlsfeld:"Wir fühlen uns verschaukelt"

Karlsfeld: Organisieren den Senioren-Protest: Eckart Moj, Claudia Micklich und Renate Röslmair (r.).

Organisieren den Senioren-Protest: Eckart Moj, Claudia Micklich und Renate Röslmair (r.).

(Foto: Toni Heigl)

Mit ihrem Rollstuhl und Rollator hieven sich Senioren zweimal in der Woche in den Einkaufsbus. Denn einen Nahversorger in ihrer Umgebung gibt es nicht - deshalb rufen sie nun zur Demo vor dem Rathaus auf.

Von Anna Schwarz

Nur um eine Semmel vom Bäcker zu holen, muss Eckart Moj schon in den Bus steigen. Seit fünf Jahren lebt er im Betreuten Wohnen im Karlsfelder Prinzenpark westlich der Bahn und genau so lange kämpft er für einen Nahversorger in seiner Umgebung: "Wir fühlen uns verschaukelt und hierhergelockt. Ohne, dass dafür gesorgt wird, dass wir eine Einkaufsmöglichkeit bekommen." Wir - das sind Eckart Moj und die rund 330 Bewohnerinnen und Bewohner des Betreuten Wohnens, die zum Teil mit dem Rollstuhl oder dem Rollator unterwegs sind. Wegen der nicht vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten spricht Eckart Moj von "sozialer Missachtung" gegenüber den Seniorinnen und Senioren und hat deshalb mit Renate Röslmair und Claudia Micklich, ebenfalls vom Betreuten Wohnen, die Initiative "Fehlender Nahversorger" gegründet, unterstützt werden sie von weiteren Seniorinnen und Senioren.

An diesem Donnerstag, 23. Juni, um 18.45 Uhr plant die Initiative eine Demonstration vor dem Karlsfelder Rathaus, um auch den Gemeinderat erneut auf das Problem hinzuweisen: "Wir rechnen mit 100 bis 150 Leuten", darunter Bewohner des Prinzenparks, deren Freunde und Verwandte.

Schließlich sei die Situation untragbar, sagt Moj: Die zum Teil in ihrer Mobilität eingeschränkten Rentnerinnen und Rentner sind dazu gezwungen in einen Einkaufsbus zu steigen, um Apotheke, Drogerie oder Supermarkt in der Karlsfelder Ortsmitte zu erreichen. Organisiert wird der Bus vom Investor des Karlsfelder Bayernwerkgeländes, Erl & Streicher, jeden Dienstag und Freitag werden die Senioren abgeholt, damit sie etwa eine Stunde in der Karlsfelder Ortsmitte einkaufen zu können, das sei einerseits recht knapp bemessen und für viele Bewohner eine Herausforderung: "Gott sei Dank haben, wir einen Busfahrer, der den Leuten mit Rollstuhl und Rollator über die Busrampe hilft. Aber ehrlich gesagt ist das eine Zumutung", kritisiert er. Daran müsse sich etwas ändern, ist Moj überzeugt.

Fronten zwischen Investor und Gemeinde sind verhärtet

Doch die Situation ist verzwickt: 2017 habe Erl & Streicher zwar einen interessierten Einzelhändler für das Gelände gefunden, doch der habe das Kaufkraftpotenzial im Einzugsgebiet "als nicht ausreichend angesehen", so der Investor. Um es zu steigern, würden mehr Wohnungen auf dem Bayernwerkgelände gebraucht, argumentierte der Einzelhändler damals. Da spielte aber die Gemeinde Karlsfeld nicht mit. Denn sie wünscht sich für die Brachfläche mehr Gewerbe, damit die Gewerbesteuereinnahmen endlich sprudeln und sich die missliche Finanzlage der Gemeinde zum Guten wendet. Inzwischen sind die Fronten zwischen Investor und Gemeinde verhärtet.

Doch Eckart Moj will weiterkämpfen. Gemeinsam mit seinen Mitstreiterinnen hat er bereits 10 000 Flyer in Karlsfelder Briefkästen verteilt: "Wir möchten den Bürgern bewusst machen, dass alle Versorgungsmöglichkeiten im Osten von Karlsfeld liegen", sagt er: "Im Westen kämpfen die Bürger schon seit 25 Jahren um Einkaufsmöglichkeiten." Auf die Briefkasten-Aktion habe Moj auch rund 50 positive Rückmeldungen von mitfühlenden Karlsfeldern bekommen. Daraus soll ein nächstes Projekt entstehen, aber dazu will er noch nichts verraten.

"Hergelockt und hängengelassen"

Eine weitere Aktion sei auch schon vom Ordnungsamt der Gemeinde Karlsfeld genehmigt: An den vier Eingängen des Betreuten Wohnens wird die Initiative Plakate aufhängen, um auf den nicht vorhandenen Supermarkt aufmerksam zu machen. Ein Design hat sich Eckart Moj bereits ausgedacht und zwar eine Hexe, wie aus dem Märchen Hänsel und Gretel, die mit dem Finger her deutet und darüber steht der Slogan "Hergelockt und hängengelassen".

Zumindest eine Übergangslösung würde sich der Karlsfelder wünschen und zwar einen Container-Supermarkt, der die Bewohnerinnen und Bewohner des Prinzenparks zwischenzeitlich versorgt, bis der festinstallierte Nahversorger auf dem Bayernwerkgelände gebaut wird. Bis dahin müssen die Rentner Rollstuhl und Rollator in den Einkaufsbus hieven - Glück haben diejenigen, die eine Familie oder Freunde haben, die den Einkauf übernehmen. Eckart Moj selbst ist noch sehr mobil: "Aber ich kämpfe für die, die es eben nicht mehr sind."

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