Süddeutsche Zeitung

Kampf um Pfarrer:Vom Ungehorsam besorgter Christen

Der Ruhstorfer Seelsorger muss gehen, weil er ein Verhältnis mit der Mitarbeiterin des Jugendbüros hatte und wegen ihr einen Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue erhielt. Seine Gemeinde ist damit nicht einverstanden. Sie glaubt, dass der Pfarrer dem Bischof zu modern und aufmüpfig ist - und kämpft um ihn.

Wolfgang Wittl

Es dauerte nicht lange, bis die Nachricht die Runde machte. Im Sonntagsgottesdienst, so war vorab zu hören, würde sich Pfarrer Andreas Artinger zu seiner persönlichen Zukunft äußern.

Eine bessere Werbung für eine Eucharistiefeier hatte Ruhstorf noch nie erlebt. Fast 800 Menschen finden in der Pfarrkirche Platz, doch für diesen Anlass war sie viel zu klein. Genau genommen handelte es sich ja auch um keinen Gottesdienst, sondern um eine Demonstration für einen Mann, der weder selbst gehen will, noch möchte seine Gemeinde ihn ziehen lassen.

Trotzdem wird es so kommen. Zum 1. September, verkündete Artinger, werde er den Pfarrverband verlassen; Bischof Wilhelm Schraml habe den Rücktritt bereits angenommen. Ob der Passauer Oberhirte weiß, welchen Unmut er damit auslöst, kann nur vermutet werden. Von Schockstarre ist die Rede, von Zorn, Kirchenaustritten und Protesten.

Gut 7000 Menschen leben in Ruhstorf an der Rott, einer scheinbar gemütlichen Marktgemeinde kurz vor der österreichischen Grenze. Wer etwas über die Entfremdung zwischen dem bayerischen Kirchenvolk und seiner Obrigkeit erfahren will, ist hier jedoch genau richtig.

Ein Teil der Geschichte geht so: Vor zwei Wochen hat das Amtsgericht Passau gegen Artinger einen Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue in 15 Fällen erlassen, weil er einer ehemaligen Mitarbeiterin des Jugendbüros ermöglicht haben soll, kirchliches Geld zu unterschlagen. Im April war die Frau wegen Veruntreuung in 211 Fällen und Diebstahls von 93.000 Euro zu drei Jahren Haft verurteilt worden.

Artinger hatte Rechnungen abgezeichnet, ohne sie zu kontrollieren. Dass er sich persönlich nicht bereicherte, bescheinigte ihm auch die Staatsanwaltschaft. Offenbar hatte der 53-Jährige der Frau zu sehr vertraut, wie sich im Prozess auf für ihn recht unerfreuliche Weise herausstellte: Die Angeklagte gab an, sie habe sieben Jahre ein Verhältnis mit dem Priester gehabt, fünf Jahre lebten sie unter einem Dach.

Den Tränen nahe

Als Artinger erklärte, dass er für seinen Fehler bezahlen werde, ahnte er vermutlich nicht, dass ihm der höchste Preis von seinem Dienstherrn abverlangt wird. Der Bischof besitze kein Vertrauen mehr in ihn, erklärte Artinger am Sonntag den Tränen nahe, daher habe er um die Entbindung von seinen Aufgaben gebeten.

In Ruhstorf erzählen sie die Geschichte ein wenig anders. Artinger müsse die Gemeinde verlassen, weil er dem Bischof schon lange ein Dorn im Auge gewesen sei. Zu aufmüpfig, zu modern und zu beliebt sei der Pfarrer, den viele im Ort nur als "den Andreas" bezeichnen. Der sich bei Vereinen und Festen sehen lässt und der es schafft, den Glauben verständlich zu vermitteln. Oder der seinen Urlaub opfert, um Auslandsfahrten mit Jugendlichen zu unternehmen.

Im August wird Artinger noch einmal mit 50 Teenagern nach Schweden aufbrechen. Der Pfarrer habe für die Kirche geackert wie kein anderer, heißt es in Ruhstorf - einer von insgesamt fünf Pfarrgemeinden, für die Artinger zuständig ist. In der Bistumsleitung wurde dagegen vor allem registriert, dass Artinger mit Hierarchien wenig im Sinn hat. Vor wenigen Monaten etwa bekundete er Sympathie mit der weltoffenen Priesterbewegung "Aufruf zum Ungehorsam" aus Österreich.

Vielleicht gehe es auch darum, die renitente Gemeinde zu disziplinieren, die bereits vor zwei Jahren aufbegehrte, mutmaßt Wolfram Hatz. Damals hatte Artinger bei der Wahl zum Dekan von Pocking zwar die meisten Stimmen erhalten, das Ordinariat jedoch einen anderen Priester vorgezogen. Hatz, ein örtlicher Unternehmer und seit 18 Jahren Mitglied in der Kirchenverwaltung, gründete die Protestbewegung "Besorgte Christen" und ging auf Konfrontationskurs zum Bistum.

Auch jetzt, sagt Hatz, werde sich Ruhstorf nicht mit der Abberufung abfinden, denn als nichts anderes sehen sie den Abschied des Pfarrers. Nach SZ-Informationen hatte Artinger die Wahl zwischen einem Rücktrittsgesuch und einem Amtsenthebungsverfahren. Der Priester möchte sich dazu nicht äußern, sagt nur: "Der Rückhalt der Pfarrgemeinde tut mir gut und trägt mich ein Stück weit."

Die Solidaritätsbekundungen begannen am vorvergangenen Dienstag, als sich sechs Mitglieder aus Pfarrgemeinderat und Kirchenverwaltung beim Bischof für einen Verbleib ihres Pfarrers einsetzten. Schraml nahm sich zwar eineinhalb Stunden Zeit, in der Sache blieb er jedoch hart. Er habe den Eindruck, sagte Kirchenpfleger Michael Hisch hinterher, der Bischof habe "lieber fünf Leute in der Kirche, die seinen Weg gehen, als 200, die Artingers Weg folgen".

"Die Leute werden ihm nachfahren"

Dass sich das Ordinariat noch anders entscheiden wird, halten sie in Ruhstorf für ausgeschlossen, was nicht bedeutet, dass die Pfarrgemeinde klein beigeben wird. Einen offenen Brief an den Bischof, der für Artingers Bleiben wirbt, haben auch Bürgermeister und Schulleiter unterschrieben.

Im Ort prangt ein vier mal vier Meter großes Transparent, auf dem es heißt: "Wir beten für alle Schramls dieser Welt: Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." Die Mitglieder der Kirchenverwaltung werden bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten. Selbst wenn Artinger künftig an der tschechischen Grenze eingesetzt werde: "Die Leute werden ihm nachfahren", sagt Hatz.

Im Gottesdienst am Sonntag erhoben sich die Menschen immer wieder zum Applaudieren, manche vergossen Tränen. Für den Schaden, den er angerichtet habe, wolle er sich ganz herzlich entschuldigen, sagte Artinger in seiner Resignation. Doch eines könne er für die fast 19 Jahre in Ruhstorf versichern: "Ich war mit Leid und Seele euer Pfarrer."

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Quelle:
SZ vom 27.06.2012/afis/rus
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