Kampf um den Milchpreis:Die Kuh im Preiskarussell

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"Nur die Besten werden überleben": Bauern und Großmolkereien ringen um jeden Cent, die einen müssen auf die Weide schauen, die anderen auf den Weltmarkt.

Mike Szymanski

Winkl, im Mai - Kuh Nr. 494 bockt auf ihrem Weg zum Melkstand. Berta Mayer kennt das schon. Sie gibt ihr einen Stupser, und schon setzt sich das Tier und mit ihm die Herde wieder in Bewegung. Es ist kurz nach sechs am Morgen. Wer der 52-jährigen Bäuerin bei der Arbeit im Stall zuschaut, merkt schnell, dass jeder ihrer Handgriffe einem inneren Programm folgt, das sie vermutlich auch mit geschlossenen Augen abspulen könnte. Diese Routine ist auch nötig, wenn sich gleich das Melk-Karussell in Bewegung setzt. Dann muss Familie Mayer wie ein Uhrwerk funktionieren.

Der Kampf um den Milchpreis ist für die Bauern ein Kampf um die Existenz. (Foto: Foto: AP)

Dieser Stall am Rande der Ortschaft Winkl, südlich von Augsburg, ist so modern, dass die Nachbarn die Mayers darum beneiden. Das Melk-Karussell macht vieles einfacher. Die Kühe fahren darin um die Melker herum. Es bietet Platz für gleichzeitig 22 Tiere, jede Kuh bekommt ihre Box. Sohn Georg, 27, setzt die Zitzenbecher an, Vater Reinhold kontrolliert, ob jede Kuh genug Milch gibt. Und bevor die Tiere nach einer Runde fertig gemolken das Karussell verlassen, reibt Berta Mayer einigen Kühen die Euter mit Pflegefett ein. Als die Uhr im Stall 7.18 Uhr anzeigt, endet die Karussellfahrt. 120 Kühe sind um insgesamt 1250 Liter Milch leichter. Reinhold Mayer schiebt zufrieden die Hände in die Taschen seiner Latzhose. "Das hier ist alles, was ich brauche. Mein Hof und meine Viecher."

Mayer gegen Müller

Doch vor Sorgen und Problemen schützt ihn das nicht. Deshalb führt der 53-Jährige, Landwirt in zweiter Generation, den Protest gegen existenzbedrohend niedrige Milchpreise im Süden von Augsburg an. Er hat es sogar zu einer gewissen Bekanntheit gebracht, weil er sich mit der Großmolkerei Müller-Milch anlegte. Mayer gegen Müller. Es geht in diesem Streit um mehr als um ein paar Cent Milchgeld. Es geht darum, wie ein einst streng regulierter Markt dem Wettbewerb überlassen wird und um die Frage, welchen Stellenwert der Bauer in einer Wirtschaftswelt hat, für die Milch nur noch ein Rohstoff ist.

Seit einem halben Jahr fallen die Milchpreise. Manche Molkereien zahlen ihren Bauern nur noch 30 Cent für den Liter. Auch die Konzerne Aldi, Lidl und Rewe senkten kürzlich den Preis für einen Liter Vollmilch im Supermarkt von 73 auf 61 Cent. Daraufhin trieben die Bauern ihre Kühe vor Aldi-Filialen und hielten dort Schilder hoch: "Melkt ihr doch unsere Kühe."

Auch Gerd Sonnleitner, der Präsident des Bauernverbandes, tobt. Wenn die Preise nicht wieder steigen, sagte er, würden etliche Bauern ihre Höfe aufgeben müssen. Schlimme Zeiten drohten. "Das ist Raubtierkapitalismus in Reinkultur", sagt Sonnleitner.

Ein Bauer käme niemals auf die Idee, seine Milch als Rohstoff zu bezeichnen. Genauso wenig lässt er es sich gefallen, wenn sie verramscht werden soll. Neulich vor der Firmenzentrale der Molkerei Müller im schwäbischen Aretsried führten die Landwirte eine Art Bauerntheater auf, um ihrer Wut Luft zu machen. Mehr als 2500 waren dem Aufruf des Bayerischen Bauernverbandes gefolgt, um gegen die fallenden Preise zu demonstrieren und in einem symbolischen Akt die Fairness zu beerdigen. Die Bauern hatten für den Trauerzug eine Kutsche organisiert, in der ein Sarg lag, und ihre besten schwarzen Anzüge angezogen. Eine Blaskapelle marschierte voran und Kabarettist Ottfried Fischer, ein guter Bekannter von Bauernpräsident Sonnleitner, hielt die Grabrede. "Was die Kuh für den Bauern ist, das ist der Bauer für den Müller", rief Fischer. Da johlten die Bauern.

Wenn man den Sprüchen auf ihren Transparenten glaubt, hatten sie sich zuletzt wie Leibeigene gefühlt. Drei Tage zuvor waren die Milchgeld-Verhandlungen mit Müller gescheitert. Die Molkerei wollte den Landwirten zuletzt auch nur noch etwa 30 Cent je Liter zahlen. Nur wer bereit war, sich zwei Jahre und länger mit Lieferverträgen an die Molkerei zu binden, konnte mehr bekommen. Dann bot Müller etwa 40 Cent - eine Verlockung. Aber es gab keine Garantie, dass die Preise so hoch bleiben würden. Reinhold Mayer saß als Chef der Milcherzeugergemeinschaft Augsburg-West, der 250 Landwirte angehören, mit am Verhandlungstisch. "Wir haben hart gearbeitet", sagt er. Erpressen ließen sie sich nicht.

Der Protest hatte für die Bauern ungeahnte Folgen. Noch am Tag der Demonstration, um 20.28 Uhr, lief bei Mayers ein Fax der Molkerei Müller ein. "Sie sind für uns kein Partner mehr", schrieb ihm der Sohn des Firmeninhabers, Theo Müller Junior. 26 Jahre lang hatte Mayer seine Milch an Müller verkauft. Es war so, als ob eine Ehe in die Brüche ging.

Mayer hatte zwei Wochen Zeit, einen neuen Abnehmer für 45 Millionen Liter Milch zu finden. So viel produzieren die Bauern seiner Erzeugergemeinschaft im Jahr. Erst jetzt bekam er zu spüren, wie stark sich der Milchmarkt in all den Jahren verändert hatte. In Bayern, sagt er, wollte keine andere Molkerei seine Milch aufkaufen. Er vermutet, dass niemand Müller in den Rücken fallen wollte. Mayer blieb nichts anderes übrig, als die Milch für etwa 30 Cent je Liter über einen Händler aus Miesbach nach Italien zu verkaufen. Er hofft, dass der Preis dort noch anzieht. Mit Müller will er keine Geschäfte mehr machen.

Es geht ihm auch um ein Signal für die Branche. Darum, dass man mit Milchbauern nicht umspringen könne, wie man wolle. Er erzählt die Geschichte, wie er mit 17 Jahren den Hof übernehmen musste. Sein Vater war nach einem Unfall gestorben, und da saß der unerfahrene Reinhold Mayer zum ersten Mal in einer Versammlung der Milchbauern. "Die Milcheinkäufer der Molkereien haben uns das Gefühl gegeben, wir müssten froh sein, dass überhaupt jemand unsere Milch abholt." Damals aber sei niemand aufgestanden, um zu protestieren.

Neues vom Mozzarella-Trakt

Tatsächlich hat man die Bauern schon lange nicht mehr so selbstbewusst erlebt wie heute. Jahrelang gaben Deutschlands Landwirte eher ein trauriges Bild ab. Aus einst so stolzen Mannsbildern waren reine Subventionsempfänger geworden, die froh waren, wenn keine Tierseuchen ihre Ställe heimsuchten. Aber im vorigen Jahr veränderte sich etwas. 2007 stieg der Milchpreis so kräftig an wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zuvor nicht. Bis zu 45 Cent war plötzlich ein Liter Milch wert, weil weltweit die Nachfrage steil angestiegen war.

Auf der Grünen Woche in Berlin, der Leistungsschau der Landwirte, sagte Bauernpräsident Sonnleitner damals: "Die Bauern waren lange Zeit in der Verliererecke, aber das wird sich jetzt ändern." Es klang auch nach einer Kampfansage an die Konzerne.

Was man nun beim Müller-Konzern über die rebellischen Bauern denkt, ist leider nicht zu erfahren. Ein Sprecher teilt nur mit, dass man sich zu Unrecht an den Pranger gestellt fühle und nichts sagen möchte. Dafür reden die Manager der Molkerei Zott. Die ist auch in Bayern beheimatet, 20 Autominuten nördlich von Augsburg, in Mertingen. Wie ein riesiger Bauklotz liegt die Joghurt- und Käsefabrik in der Landschaft.

Rund um die Uhr steuern Milchlaster das Werk an und pumpen täglich 800000Liter Milch in die glänzenden Metalltanks. Wer bei Milch noch romantische Vorstellungen hegt, ist hier falsch. Wer aber wie der Bauernpräsident Raubtierkapitalisten vermutet, auch - sagt jedenfalls Peter Marx, 55 Jahre und Geschäftsführer bei Zott.

Er führt in den Mozzarella-Trakt. Man sieht keine Milch mehr fließen in der Großmolkerei. Sie lagert in Tanks, wird durch ein Labyrinth aus Metallrohren gepresst und im Bauch großer Maschinen verarbeitet. Am Ende spuckt die Fabrik palettenweise die Joghurtbecher und Käsepackungen in ein derart riesiges und dunkles Lager, dass sich darin nur noch ein Computer auskennt. Es ist also gar nicht so sehr verwunderlich, wenn Manager Peter Marx Milch als Rohstoff bezeichnet. Durch die Leitungen könnte wohl auch Öl fließen, ohne dass die Mitarbeiter in ihren weißen Hemden und Hosen davon etwas mitbekämen. Aus Marx' Sicht gibt es auch gute Gründe, Milch einmal so zu betrachten, als ob es um Öl ginge.

Im Besprechungszimmer lässt er eine Statistik an die Wand projizieren, die den Titel "Weltmilchbilanz" trägt. Darin sind die Zahlen der Milchbestände denen des weltweiten Verbrauchs gegenübergestellt. Dazwischen haben die Statistiker die Differenz errechnet, Jahr für Jahr, beginnend bei 2001. Vom Jahr 2004 an tragen diese Zahlen ein Minus als Vorzeichen und sind in Rot dargestellt. "Seither sind die weltweiten Milchvorräte abgebaut worden", sagt Marx. Man könnte auch sagen, sie wurden ausgetrunken.

Im vergangenen Jahr kam es sogar zu Engpässen, die die Milchpreise nach oben getrieben haben. Wer jetzt immer noch glaubt, dies könnte daran liegen, dass vielleicht die Herden bayerischer Bauern nicht gut genug genährt waren, dem erklärt Marx noch die weltweiten Milchströme. Dürren in Australien und Neuseeland hätten das Angebot an Milch verknappt, die Produktion in den USA hatte die Erwartungen der Marktbeobachter auch nicht erfüllt. Außerdem bekamen die Menschen in den Schwellenländern gewaltigen Milchdurst.

Romantik war gestern

So schnell wie die Milchpreise zur Freude der Bauern anstiegen, konnte Zott seinen Joghurt und seinen Käse gar nicht verteuern. Anfang 2007 zahlte Zott seinen Milchbauern knapp 30 Cent, zum Jahresende waren es mehr als 40. "Für uns war 2007 ein schwieriges Jahr", sagt Marx. Zott zahlte drauf.

Das Milchgeschäft, lange von der Europäischen Union per Lieferquoten und Beihilfen reguliert, wird allmählich ein Markt wie jeder andere. Mit allen Konsequenzen: "Diese Preisschwankungen, die wir jetzt verzeichnen, sind nichts anderes als gelebte Marktwirtschaft", sagt Marx. "Nur die Besten werden überleben." Derzeit gebe es wieder viel Milch auf dem Markt, weil die Nachfrage nachgelassen hat. Auch dafür hat Marx Statistiken. "Romantisch ist das Milchgeschäft allenfalls noch draußen beim Bauern", sagt einer seiner Mitarbeiter beim Rundgang übers Werksgelände.

Berta Mayer in Winkl deckt den Tisch und brüht Kaffee auf. Es ist jetzt kurz vor neun Uhr und höchste Zeit für die Frühstückspause. Die Kühe sind gemolken, die Boxen ausgemistet, das Futter ist verteilt. Die Bäuerin hat den Kittel und das Kopftuch, aus denen der Stallgeruch nicht mehr weicht, abgelegt und setzt sich an den Tisch.

Natürlich kennen auch die Mayers die Gesetze des Marktes. Sie sind ja Unternehmer. Als Berta Mayer im Supermarkt gesehen hat, dass der Liter Milch über Nacht im Preis um zwölf Cent gesunken war, hat sie sich trotzdem erschrocken. "Es ist doch das gleiche hochwertige Produkt geblieben", sagt sie. Und erst die Arbeit. Vor 19Uhr endet ihr Arbeitstag nie. Ob der Liter Milch 73 oder 61 Cent kostet, spielt keine Rolle.

Am Nachmittag schalten die Mayers noch einmal das Melk-Karussell an. Heute kommt der Milchlaster. Reinhold Mayer glaubt, dass die Landwirtschaft Zukunft hat. Deshalb hat er etwa 650000Euro in den Stall investiert. Eigentlich müsste er 45 Cent für den Liter Milch verlangen, damit sich der Betrieb rechnet. Diesel und Kraftfutter seien schließlich auch teurer geworden. "Wir brauchen einen fairen Preis", sagt Mayer. Er hat gute Argumente dafür, genauso wie die Zott-Manager. Nur eines vergisst er. Um Fairness geht es nicht auf den Märkten.

© SZ vom 06.05.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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