Kaltenberger Ritterturnier 2024:Das ist neu im Mittelalter – die Höhepunkte beim größten Ritterturnier der Welt

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Spannender Höhepunkt des Kaltenberger Ritterturniers: der Tjost, das Lanzenstechen zu Pferde. (Foto: Kaltenberger Ritterturnier)

Lanzenkämpfe mit Pferdefüßen und Mausfingern: Das Ritterturnier gibt es jetzt auch als Computerspiel. Aber beim Spektakel selbst auf Schloss Kaltenberg ist freilich viel mehr geboten.

Von Michael Zirnstein

Jedes Jahr lockt das Mittelalterfest auf Schloss Kaltenberg insgesamt 120 000 Besucher an. Damit ist es – verbrieft – das größte Ritterturnier dieser Zeit. Ein riesiger Ansturm auf die Vergangenheit setzt da drei Wochenenden lang nördlich des Ammersees ein, für viele sogar eine Flucht aus dem modernen Alltag hin zu Burgfräulein, Hexen, Edelmännern und Minnesängern. Aber selbst wenn es viel Fantasie braucht, so ein gewaltiges Spektakel mit insgesamt acht Stunden Bühnenprogramm zu inszenieren, sitzt die Veranstaltung doch fest im Sattel der Realität. Darauf legt der Hausherr wert, der seinerseits gerne hoch zu Ross in die Arena einreitet, um jeden Tag seine 10000 Gäste zu begrüßen: Luitpold Prinz zu Bayern.

„Kaltenberg lebt“, sagt der Urenkel des letzten bayerischen Königs, „es ist kein nachgespieltes historisches Ereignis, sondern Mittelalter, wie es gewesen sein könnte.“ Was er damit meint, ist, dass auch frühere Ritterturniere eigentlich Volksfeste waren, mit einem Schaukampf, aber eben auch mit viel Feierei, Völlerei, Musik und Gaukelei für Massen an Untertanen. Die Neuauflage, die er 1980 selbst aus dem Burggraben des Londoner Towers anlässlich der 800-Jahr-Feier der Dynastie Wittelsbach in sein Schloss holte, hat für Luitpold von Bayern durchaus einen gesellschaftlichen Auftrag: Das Ritterturnier soll „vor allem junge Menschen begeistern und aus den künstlichen Welten der neuen Medien vor den Bildschirmen zurück in eine reale Welt voller Überraschungen holen“.

Was hat die neue Turniershow zu bieten?

Er darf nie fehlen: Der Schwarze Ritter, diesmal heißt er Wolfsbarth. (Foto: Nicole Messer)

Mal ehrlich, wird nicht genug gekämpft auf der Welt? Das stimmt. Aber ganz naiv gedacht böten Ritterturniere eigentlich einen Ausweg aus den Kriegen. Denn sie waren stets Show und sportlicher Wettstreit, und wenn auch gefährlich für die Recken, doch nicht wirklich darauf aus, Blut zu vergießen. Und nebenbei trafen sich die Herrschenden, handelten, bandelten an, schlichteten Streit. So mag man sich das vorstellen. Vielleicht gab es doch mehr Kabale und Hiebe, wie in „Game of Thrones“, wobei diese Fantasy-Serie auch wieder ganz gut zum Kaltenberger Ritterturnier passt. Denn jedes Jahr gibt es für die zweistündige Haupt-Show ein neues „Drehbuch in Hollywood-Qualität“. Diesmal inszeniert Regisseur Alexander Mey die Geschichte von Thomas Limpinsel „Tag der Vergeltung“.

Der Bösewicht Wolfsbarth will dem gütigen Ulrich ein diamantenes Schwert und damit die Macht über Kaltenberg entreißen – womit die Frage nach Gut und Böse gleich mal geklärt wäre. Weitere Rollen spielen Ritter aus Asien, wie Kato, der Tsunami, ein furchtloser Samurai, sowie ein Schamane in einem blitzenden Zauberwald.

Es wird nicht nur gekämpft: Die Reiter zeigen auch Voltigier-Kunst. (Foto: Nicole Messer)

Die Story wechselt von Jahr zu Jahr, bleibt aber vor allem der Spielplatz, auf dem Mario Luraschi und seine tollkühne Truppe Cavalcade, die schon an 500 Filmen mitwirkten, Reiterstunts im rasenden Galopp zeigen. Dazu gibt es Massenszenen mit Fußvolk – Kampfszenen auf höchstem Niveau. Aber es muss eben nicht immer nur Lanzenstecherei und Schwertschwingerei sein: Es gibt rasende Voltigier-Kunst ebenso wie eine Freiheitsdressur, bei der sechs weiße Pferde von der Leine gelassen werden.

Der "Kaltenberger Totentanz" soll das Leben ehren. Diesmal bekommt die Performance einen größeren Auftritt: vor dem Turnier in der Arena. (Foto: KWiucha)

Zur Einstimmung auf die Show wird in der Turnierarena der „Kaltenberger Totentanz“ aufgeführt. Die Künstlerin Lidia Buonfino bezieht sich in diesem Danse Macabre mit Lyrik, Gesang, Tanz und Theater auf eine kirchliche Bilderreihe aus Lübeck. In dieser „morbiden wie glamourösen Performance“ ist der Tod eine Frau, die die Menschen lehrt: Im Sterben sind alle gleich, warum dann nicht sofort danach leben? Oder, wie Hugo von Hofmannsthal in „Der Thor und der Tod“ schrieb: „Du schlimmer Thor, ich will dich lehren, das Leben, eh du’s endest, einmal ehren.“

Wer spielt die Musik?

Auf großen und kleinen Bühnen spielen Mittelalter-Gruppen recht unterschiedliche Musik. (Foto: KWiucha)

Selbst ein Mittelalterfest wie in Kaltenberg wird heuer von der politischen Weltlage eingeholt: Am ersten Wochenende treten hier Irdorath auf. Die Band stammt aus Weißrussland. Nach Demonstrationen gegen das Putin-treue Lukaschenko-Regime, auf denen sie etwa den Protestsong „Peremen!“ spielten, wurden die Musiker zu Haftstrafen verurteilt und teilweise eingekerkert (hier dürfte das alte Wort passen). Nach ihrer Entlassung 2023 flohen sie und spielen ihren baltisch geprägten Fantasy-Folk mit Instrumenten verschiedener Kulturkreise (wie Dudelsack, Drehleier, Didgeridoo und Kehlkopfgesang) seitdem im Exil. Hier haben sie Freunde wie Corvus Corax, die damals vor der russischen Botschaft in Berlin für ihre Freilassung demonstrierten. Die deutschen Mittelalterrock-Legenden spielen wie Irdorath am ersten Wochenende.

Wie international die Mittelaltermusikszene ist, zeigt sich auch am zweiten Wochenende: Auf der großen Rabenbühne treten da die Schweizer Koenix und Daridel auf. Die Norditaliener spielen auf zum Teil selbstgebauten Instrumenten von der Natur inspirierten, bisweilen ekstatischen Pagan-Folk.

Mit einer Art Techno des Mittelalters sind Tanzwut berühmt geworden, die ihr Gefolge mit gewaltigen Klang- und Rhythmuswolken, aber auch mal mit Ärzte- und Black Sabbath-Covers berauschen. Sie spielen am dritten Wochenende, wie auch die Italiener Rota Temporis, die gerade von einer USA-Tournee zurück sind.

Dazu kommen viele weitere Musikanten auf den anderen Bühnen, wie Die Streuner. Sie feiern, dass sie nun seit 30 Jahren „Sauf- und Rauflieder“ aus sechs Jahrhunderten zum Besten geben.

Was sollte man auf dem Gelände nicht verpassen?

Gaukler sind Alleskönner - spaßige Akrobaten, die mit dem Feuer spielen. (Foto: Kaltenberger Ritterturnier)

Auf Schloss Kaltenberg, das eher einem mittelalterlichen Dorf gleichkommt, läuft auf den Bühnen, Wegen und in den Lagern der dort kampierenden Rittergilden so viel gleichzeitig, dass man eigentlich immer etwas verpasst. Die Schwarzen Ritter laufen Patrouille übers Gelände, Adonis lässt seine (kümmerlichen) Muskeln spielen, ein Trio schwingt die Feuerstäbe, der Umzug der Büßer schlurft vorbei, und irgendwo wird einer geteert und gefedert. Die Gaukler sind oft Tausendsassas, wie Fabio Esposito. Der Augsburger Eulenspiegel nennt sich „der lustigste Mensch der Welt“, kann aber auch Jonglieren, Handstände, Zauberei und mehr. Neu dabei ist die „artistische Heldengeschichte“ namens „Zwei Kanonen und der Nippelalter“, wobei eine Wikingerin, eine Zauberin und „ein Wesen männlichen Geschlechts“ erklären werden, was es damit auf sich hat. Zusammen auf einem Haufen bekommt man sie alle nur beim großen Umzug jeden Tag zu Gesicht.

Wer gar nicht so sehr auf Ritterkämpfe steht, für den ist die „Gauklernacht“ das Richtige. Denn hier kommen zum Kaltenberg-Auftakt am Freitag, 12. Juli, vor allem die vielen kleinen Künstler aus dem fahrenden Volk groß heraus.

Was haben die Stände zu bieten?

Vielen Handwerkern kann man an den Marktständen über die Schultern schauen. (Foto: KWiucha)

Plastikkitsch wird man nicht finden an den 150 Marktständen (das sind in etwa so viele wie bei Tollwood in München), stattdessen wird das Handwerk hochgehalten. Mittelalter-Freunde und Hobby-Hexen können hier nicht nur Rüstungen, Wams, Seegrasschuhe, Trinkhörner, Wollpüppchen, Räucherwerk, Bogen und Felle kaufen, sie können auch Drechslern, Korbflechtern, Sattlern, Kammmachern, Flachsstickern, Schäfflern und Kupferschmieden bei der Arbeit zuschauen.

Ebenso Wert aufs Handgemachte legt man bei der Verpflegung, ob in den großen Verköstigungsstationen Wallhall, Ritterschwemme und Taverne, oder an den Ständen wie im Bockstall (mittelalterliche Würste), bei Dr’Senn (Allgäuer Käse), bei Ado von der Wampen (Süßigkeiten aus dem Kupferkessel) oder mit selbstgebackenem Stockbrot am Lagerfeuer.

Ist das nicht zu heftig, für Kinder?

Manche Kinder lieben die Ritterkämpfe, für manche sind die tatsächlich zu nervenaufreibend. Aber auch die Zartbesaiteten können jede Menge erleben, speziell für sie konzipiert in der Zwergenjurte, in der Lederwerkstatt, im Bastel-Hort oder beim orientalischen Geschichtenerzähler. Und in der Knappenschule, beim Lanzenstechen und Bogenschießen, legen sie vielleicht auch die Angst vor den großen Eisenmännern ab oder machen sich selbst fit fürs Kinder-Ritterturnier.

Wie findet man die Ritter im Computer?

Natürlich ist auch Kaltenberg längst digital zu Hause. Informationen zu allen Akteuren und zu allen Terminen der Abendturniere (immer Freitag, 17 bis 1.30 Uhr, Show ab 21 Uhr), der Nachtturniere (Samstag, 16 bis 0.30 Uhr, Show ab 20 Uhr) und der Tagesturniere (Sonntag, 14 bis 20.30 Uhr, Show ab 16 Uhr) gibt es auf der Internetseite www.ritterturnier.de, hier kann man auch Tickets kaufen.

Das Mittelalter-Spektakel wird aber noch virtueller: Die Software-Schmiede Gameloft hat neuerdings in ihr beliebtes Schlachten-Onlinespiel „March of Empires“ ein Kaltenberg-Level eingebaut, als Hommage an das Festival. Hier kann man – völlig risikolos – zum Tjost antreten. Gameloft stellt sein Mausklick-Abenteuer in der ehemaligen Kaltenberger Badstube vor, Besucher dürfen hier selbst den Joystick statt der Lanze schwingen. Eine Neuerung, gewiss, wenn auch vielleicht nicht hundertprozentig im Sinne des Hausherren.

Kaltenberger Ritterturnier

  • Freitag, 12. Juli, bis Sonntag, 28. Juli
  • Schloss Kaltenberg bei Landsberg am Lech
  • Mehr Infos: www.ritterturnier.de
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