Die meisten nennen es Kopftuchverbot - aber der Originaltext im bayerischen Erziehungsgesetz ist wesentlich raffinierter: "Äußere Symbole und Kleidungsstücke, die eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung ausdrücken, dürfen von Lehrkräften im Unterricht nicht getragen werden", heißt es darin - mit einer entscheidenden Ergänzung: Sofern es Symbole sind, die als Verstoß gegen die Verfassung verstanden werden können.
"Christlich-abendländische Bildungs- und Kulturwerte" werden dabei ausdrücklich den Verfassungszielen zugerechnet. Deswegen fällt ein Kreuz nicht unter das Trageverbot, ein "Kopftuch" aber sehr wohl, weil es als Symbol weiblicher Unterdrückung aufgefasst werden kann. Und genau dabei soll es trotz der bundesweiten Debatte über das Karlsruher Urteil von vergangener Woche auch bleiben, beschloss das bayerische Kabinett am Dienstag.
Zwar hatten die Bundesverfassungsrichter bei ihrem Spruch am Freitag ausdrücklich das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen im Blick, als sie befanden: Ein pauschales Kopftuchverbot verstößt gegen die Religionsfreiheit des Grundgesetzes. Doch auch in Bayern gilt ein ähnliches Verbot - das löste im Freistaat sofort Debatten um mögliche Konsequenzen aus. Ohne Not, befand das Kabinett nun.
Das Kabinett sieht keinen Änderungsbedarf
Denn das bayerische Gesetz sei ganz anders gelagert als das aus NRW, sagte Bundesratsministerin Beate Merk (in Vertretung des erkrankten Staatskanzleichefs Marcel Huber) nach der Sitzung: NRW habe ausdrücklich christliche Symbolik zugelassen und damit privilegiert. In Bayern mache dagegen die mögliche Verfassungsfeindlichkeit solcher Gegenstände den Unterschied aus. Kultusminister Ludwig Spaenle resümierte: "Für unsere bayerische Regelung sieht das Kabinett nach eingehender Diskussion keinen Änderungsbedarf."
Merk bezog sich auch ausdrücklich darauf, dass Bayerns Verfassungsrichter im Jahr 2007 diese Form des Kopftuchverbots für rechtens erklärt hatten. Es sei "verfassungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt des staatlichen Neutralitätsgebots nicht zu beanstanden", erklärte der Verfassungsgerichtshof damals. "Eine unzulässige Bevorzugung der christlichen Konfessionen ist nicht gegeben." Merks Fazit: "Es gab seitdem keine Probleme mit der bayerischen Regelung, das heißt, sie hat sich bewährt."
Doch ob damit eine mögliche bayerische Debatte schon im Keim erstickt ist, das ist zumindest fraglich. Die Münchner Gerichtsentscheidung ist schon sieben Jahre alt, und auch Karlsruhe hat seine Meinung nun revidiert. Merk sagte, eine Neuauflage des Streits auch in Bayern vor Gericht sei durchaus denkbar. "Das kann so sein." Bislang habe es in Bayern überhaupt keinen Streitfall dieser Art gegeben, dass eine Lehrerin versuchte hätte, ein Recht aufs Kopftuch in der Schule einzufordern. Falls es dazu komme, werde im Einzelfall entschieden, kündigte die Staatsregierung an. "Wir werden uns dabei von der besonderen Schutzbedürftigkeit des Kindes und dem Schulfrieden leiten lassen", sagte Spaenle. Merk sagte: "Das bedeutet, dass jeder Einzelfall konkret geprüft wird." Ein entscheidendes Kriterium werde dann auch das Alter der betroffenen Kinder sein. Ob das Sache des Ministeriums oder der jeweiligen Schule ist, blieb zunächst offen.
"Die Borniertheit der bayerischen CSU-Minister ist nur noch schwer zu ertragen"
Der bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) reagierte enttäuscht auf den Kabinettsbeschluss. Er hatte schon das Karlsruher Urteil begrüßt, weil Schulen längst Orte des Zusammentreffens verschiedener Kulturen seien. "Ich hätte mir mehr Sensibilität und Offenheit für veränderte gesellschaftliche Realitäten erwartet", sagte BLLV-Chef Klaus Wenzel am Dienstag. Die Lehrer hätten jedenfalls "die Erfahrung gemacht, dass Antworten, die integrieren und zusammenführen, hilfreicher sind als Antworten, die spalten".
Die Grünen reagierten mit scharfer Kritik an der Regierung. "Die Borniertheit der bayerischen CSU-Minister ist nur noch schwer zu ertragen", erklärte die religionspolitische Sprecherin der Fraktion, Ulrike Gote. Wichtig sei nicht, "was Lehrerinnen oder Lehrer möglicherweise auf dem Kopf tragen, sondern was sie darunter in ihren Köpfen haben".
CSU-Vertreter hatten dagegen nach der Karlsruher Entscheidung mit Unverständnis über die Richter reagiert. Sie sei "überrascht", dass das Gericht seine ursprüngliche Haltung "nun ins Gegenteil verkehrt hat", schrieb Fraktionsvize Gudrun Brendel-Fischer. Der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Martin Neumeyer, nannte das Urteil "fragwürdig" und zeigte sich unsicher, "ob die Menschen im Land das noch verstehen".