Kabinett in Bayern:Seehofers geheime Notizen

Landtag Bayern - Vereidigung Horst Seehofer

Seehofer und sein neuer Fraktionschef Kreuzer im Landtag. Der bisherige Landwirtschaftsminister Brunner und Sozialministerin Haderthauer (zweite Reihe) müssen noch zittern - erst am Mittwoch gibt der Ministerpräsident bekannt, wer dem neuen Kabinett angehört.

(Foto: dpa)

Horst Seehofer ist als Ministerpräsident wiedergewählt, doch das eigentliche Thema im Landtag ist: Wer kommt ins Kabinett? Die Namensliste steckt angeblich in Seehofers Brusttasche. Viele Minister bekunden freudig, sie wüssten nichts. Die Devise: sich nicht durch Plauderei Horsts Zorn zuziehen.

Von Frank Müller und Mike Szymanski

Das derzeit wichtigste politische Schriftstück im Freistaat ist ein zusammengefalteter Zettel, und der steckt in der Jacketttasche von Horst Seehofer. Der Ministerpräsident hat auf ihm handschriftlich notiert, wen er an diesem Mittwoch in sein neues, zweites Kabinett berufen wird.

Es ist kurz nach neun Uhr am Morgen, als Seehofer im Landtag aus dem Auto steigt. Er zupft den Anzug zurecht. Heute ist ein großer Tag. Er lässt sich wieder zum Ministerpräsidenten wählen. "Was gibt's Neues", fragt er die Journalisten. Das weiß er doch selbst am besten. Und er greift an seine Brusttasche zum, genau, zum Zettel. Dort steht ja alles. Es ist ein recht kleines Stück Papier. Manche haben eine Art Punkteliste auf ihm erkannt, andere berichten von farbigen Markierungen. Der Zettel wird heute noch den ganzen Tag lang eine große Rolle im Leben des Vorsitzenden spielen. "Er liegt immer an meinem Herzen", sagt Seehofer und lacht.

Für Seehofer ist das Papier das perfekte Symbol für sein spielerisches Machtverständnis. Seht her, bedeutet der Zettel, hier steht alles drauf, ich weiß es und ihr nicht. Sofern nicht alles wieder ein großer Seehofer-Bluff ist und sich der Wisch am Ende als Einkaufszettel seiner Frau entpuppt. Oder als Kabinettsliste von 2008.

In dem Fall würde er sich von seiner neuen Ministerriege wohl recht deutlich unterscheiden. Seehofer will verändern, das macht er noch einmal klar. "Ein guter Mix aus Kontinuität und Eroberung der Zukunft", sei gefragt. Bedeutet das umfassende Verjüngung? Seehofer wendet sich ab. "Noch einmal schlafen", sagt er, als ob Weihnachten wäre. Bis zuletzt hält das interne Schweigegelübde, das er allen Beteiligten auferlegt hat. Erst an diesem Mittwochnachmittag will der CSU-Chef seine neue Mannschaft vorstellen. Von Dienstagmittag an führt er wieder Vier-Augen-Gespräche, es ist die Abschlussrunde. Einvernehmliche Lösungen wolle er, mit jedem reden, eine halbe Stunde, eine dreiviertel Stunde. Er übernachtet in der Staatskanzlei. Am Mittwochvormittag geht es weiter.

Spekulation und Schweigen

Nur die Eckpunkte sind klar, vor allem die angekündigten Superministerien für Ilse Aigner und Markus Söder. Der Rest ist Spekulation und Schweigen. Noch nie hat man so viele Minister gesehen, die gleichzeitig freudig bekunden, sie wüssten nichts. Nicht aus der Reihe fallen, sich nicht durch Plauderei den Zorn des großen Horst zuziehen, heißt die Devise.

Im Treppenhaus des Landtags: Er sieht Noch-Sozialministerin Christine Haderthauer unten stehen und mit einem Journalisten reden. "Christine, ich habe dich beobachtet", sagt Seehofer, als sie auf ihn zugeht. Was aus ihr wird, wollen die Journalisten wissen. "Tschuldigung Leute, wissen tut nur er", sagt sie.

Bescheidenheit steht nach dem Wahlerfolg hoch im Kurs bei der CSU. "Demnächst wird Demut als Staatsziel in die Verfassung geschrieben", witzelt einer von denen, die vielleicht etwas werden oder auch nicht.

Seehofer nervös?

Noch nicht völlig demütig geworden ist erwartungsgemäß Markus Söder. Er hat ebenfalls Seehofers Interesse geweckt, als er mit einer kleinen Journalistenrunde dieselbe Treppe hochkommt. "Herr Finanzminister", frotzelt Seehofer Söder an. Der nimmt seinen gesammelten Witz zusammen: "War das eine Statusbeschreibung oder eine Perspektive?", fragt er und setzt dann nach. Ob er nervös sei, fragt Söder seinen Chef. Wie große Jungs auf dem Bolzplatz stehen sie da, mit verschränkten Armen, ironisch verkauftes Imponiergehabe. Das gefällt beiden gut. Seehofer gibt Söder einen festen Schlag auf den Arm. Kleine Schmutzeleien.

Seehofer nervös? Jedenfalls ist es für ihn kein Tag wie jeder andere. Seine Wiederwahl ist der einzige offizielle Tagesordnungspunkt der Plenumssitzung. Er bekommt 100 von 176 Stimmen, das ist gut, aber mindestens eine Stimme aus der CSU fehlt. Ein Schönheitsfehler. Seehofer bringt es fertig, sogar das als Zeichen der neuen Zeit zu erklären. "Dieses ewige Hecheln nach Maximierung, das ist Unsinn", doziert der alte und neue Regierungschef, als würde er über die Grenzen des Wirtschaftswachstums reden.

Es ist ein Tag, an dem auch die neue Rollenverteilung im Landtag deutlich wird. Die Opposition lässt in der Aussprache über Seehofers Wahl noch einmal den Wahlkampf aufflammen: am engagiertesten Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause, am nachdenklichsten Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, am stärksten rückwärtsgewandt Markus Rinderspacher (SPD). "Anmaßend und arrogant" verhalte sich die CSU schon wieder, ruft Bause, sie habe sich dem "absoluten Horst" unterworfen. Seehofer lässt sich herab, der Opposition Strategietipps zu geben. SPD und Grüne zeigten, dass sie aus ihren schlechten Wahlergebnissen keine Konsequenzen ziehen, mahnt er. Darin liege "möglicherweise schon der Keim für eine weitere Wahlniederlage". Auch für den kommenden Regierungsstil hat Seehofer schon seine Demutsformel gefunden. Er bietet der Opposition Zusammenarbeit an - aber im Zweifelsfall müsse eben die Mehrheit entscheiden. Das sei in allen Parlamenten so: "Wir sollten Mehrheitsentscheidungen nicht immer als Missbrauch von Macht abtun."

Dann geht er in die Staatskanzlei, Kabinettsgespräche führen. Noch einmal nachsehen, ob der Zettel noch in der Tasche ist.

Einmal nämlich war er plötzlich weg dieser Tage, erzählt Seehofer. Seine Sorge war: Wo liegt er? Seine Frau Karin hat ihn dann zu Hause gefunden und auf den Schreibtisch gelegt. Seehofer sagt: "Das ist der einzige Fehler, der mir passiert ist."

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