Theater im Knast:"Für mich persönlich heißt das, es gibt im Leben nicht nur den einen Weg"

Theater im Knast: Auf der Bühne vergessen die Straubinger Strafgefangenen vorübergehend, dass ihnen zumeist noch viele Jahre hinter Gittern bevorstehen.

Auf der Bühne vergessen die Straubinger Strafgefangenen vorübergehend, dass ihnen zumeist noch viele Jahre hinter Gittern bevorstehen.

(Foto: JVA Straubing/oh)

Manfred Beyer ist Strafgefangener. Er hat lebenslang, mit besonderer Schwere der Schuld. Theaterspielen, wie es in der JVA Straubing möglich ist, ist für ihn eine Art Überlebensstrategie.

Von Benedikt Dietsch, Straubing

Lebenslang lautet sein Urteil. Ob Alexander Meierhofer aber nach 15 Jahren Haft auf Bewährung frei kommt, ist ungewiss. "Ich kann nicht viel machen", sagt er. Also macht er, was er kann. Theater spielen. Meierhofer (die Namen der Inhaftierten wurde geändert) gehört seit sechs Jahren zur Theatergruppe der Justizvollzugsanstalt Straubing. Die ist bayernweit die einzige ihrer Art. In Straubing sind überwiegend Langzeithäftlinge untergebracht, meist ab sechs Jahren aufwärts. Das kommt dem Theater zugute: Mit Schauspielern, die nur wenige Monate da sind, lässt sich schwer ein Stück einstudieren.

Alexander Meierhofer wirkt nicht wie jemand, der ein schweres Verbrechen begangen hat. Gewinnend frech grinst er über das ganze Gesicht. Er trägt Bart und Tracht - passend zum Stück, das gerade einstudiert wird. Die erste Aufführung steht kurz bevor, zunächst einmal für die Mitgefangenen, später auch für die Öffentlichkeit. Die Gefangenen proben in einer schmucklosen Turnhalle. Die einzigen Gitter hängen an der Decke, zum Schutz der Lampen beim Ballspiel.

In den Geruch von Schweiß mischt sich der süßliche Duft einer E-Zigarette. Die gehört Sebastian Goller. Der ist kein Gefangener, er führt seit 20 Jahren Regie an verschiedenen Bühnen in Niederbayern. Zweimal pro Woche kommt er zur Probe in die JVA. Der Weg zu seinen Schauspielern ist gewöhnungsbedürftig: Um zur Bühne zu gelangen, muss er eine Sicherheitskontrolle und drei schwere Stahltüren am Eingang passieren und dann ein paar hundert Meter an der sechs Meter hohen Betonmauer entlanggehen. In der Turnhalle stehen dann etwa 15 Männer im Halbkreis um ihn herum. Anfangs erklärt ihnen Goller, was er von ihnen erwartet. "Ich will, dass hier jeder etwas mitnimmt. Ich bin nicht dazu da, um den Leuten beim Rumhampeln zuzusehen", sagt er.

Den Häftlingen kommt das entgegen. Auch Alexander Meierhofer ist es wichtig, sich weiterzuentwickeln. Für sich selbst, nicht wegen des Schauspiels. "Wenn du hier bist, hört sich für dich die Welt zu drehen auf", sagt er. Der Alltag im Knast ist eintönig. Aufstehen, Arbeiten, Sport - mehr ist nicht. Das Theater hilft Meierhofer, dem Trott zu entkommen. Es bringt ihn auf andere Gedanken. Und manchmal führt es auch zur Selbsterkenntnis. Das aktuelle Stück habe ihm gezeigt, dass auch sein Leben eine Berechtigung hat. Die Komödie "Der böse Geist von Lumpazivagabundus" handelt von drei Landstreichern, die eine große Summe Geld gewinnen. Zwei verprassen es, einer heiratet und lebt ein geordnetes Leben. Er versucht, die beiden anderen auch zu einem solchen Alltag zu zwingen. Und scheitert.

"Für mich persönlich heißt das, es gibt im Leben nicht nur den einen Weg", sagt Meierhofer. Auch im Gefängnis könne er ein glückliches Leben führen, meint er. Doch dann stockt er kurz. Glücklich sein, das könne er eigentlich nicht von sich sagen. Schließlich sei er eingesperrt. Seit fast zehn Jahren sitzt Meierhofer bereits in jenem Gefängnis, das als das ausbruchssicherste in ganz Bayern gilt, umgeben von eineinhalb Kilometern an Stahlbeton und etwa 200 Überwachungskameras. Eine Biografie, die man ihm nicht unbedingt ansieht. "Er könnte auch ein Kollege vom Schützenverein sein", sagt Regisseur Goller.

Theater im Knast: Im Spiel schlüpfen sie in neue Rollen - bisweilen sogar in die einer Frau.

Im Spiel schlüpfen sie in neue Rollen - bisweilen sogar in die einer Frau.

(Foto: JVA Straubing/oh)

Überhaupt sieht Goller sein Ensemble nicht als Gefangene an. Für ihn sind sie einfach Schauspieler. Als die Männer sich in ihren Kostümen im Raum verteilen, scheinen sie tatsächlich vergessen zu haben, wo sie sich befinden. Nur die Wache, die neben den Stuhlreihen im Dunklen steht, erinnert daran, dass jeder der Darsteller Straftaten zu verantworten hat - Betrug, Sexualdelikte, Raub oder gar Mord. JVA-Direktor Hans Jürgen Amannsberger aber sagt, gerade langjährige Häftlinge seien oft sehr umgänglich. Durch die gemeinsame Zeit hinter Gittern hätten sie gelernt, Konflikten aus dem Weg zu gehen.

"Ich habe hier viele gute Menschen kennengelernt"

Nichtsdestotrotz ist der Gefängnisalltag hart, das Theater eine Pause davon. Es ist wie viele andere Freizeitangebote, denen die Insassen in Straubing nachgehen können, Teil der Resozialisierung. "Die Gefangenen lernen vor allem, in der Gruppe zu agieren", sagt Amannsberger. Wer in der JVA Theater spiele, sei eher bereit, an seinen Problemen zu arbeiten. Und wer die bewältigt, kommt eher wieder frei.

Aber auch das ist Realität: Für viele Gefangene hier liegt die Freiheit noch in weiter Ferne. Also gibt es für sie offensichtlich noch einen weiteren Grund, um hier Theater zu spielen. "Ich habe hier viele gute Menschen kennengelernt", sagt zum Beispiel Manfred Beyer, groß, breit, kahlköpfig, mit tiefer, angenehmer Stimme. Er ist schon seit zwölf Jahren in der Gruppe. "Gute Menschen", beschreibt er seine Ensemble-Kollegen - obwohl jeder in diesem Raum etwas Furchtbares getan hat. Zwei, drei solcher guten Leute brauche hier in der Straubinger JVA jeder, um das Leben hinter Gittern zu meistern.

Das Schlimmste für Beyer ist, nicht zu wissen, wann er wieder rauskommt. Er hat lebenslang, mit besonderer Schwere der Schuld. Das heißt, dass er länger als 15 Jahren Haft verbüßen muss. Das Theaterspielen ist daher wohl auch eine Art Überlebensstrategie.

Für Alexander Meierhofer hat die Schauspielerei noch etwas ganz anderes gebracht. Letztes Jahr erhielt er nach der letzten Aufführung einen Brief. Eine Frau hatte ihn im Stück gesehen und wollte den 35-Jährigen kennenlernen. Ihn, den Gefangenen. Er konnte es kaum glauben. Sie besuchte ihn, die beiden schrieben sich jeden Tag. Heute, ein paar hundert Briefe später, ist sie seine Freundin.

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