Eine Stunde lang hat Justizminister Georg Eisenreich erläutert, wo die Ermittlungen in der Affäre um die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen stehen, er hat über Funktion und Bedeutung von besonders gesicherten Hafträumen in bayerischen Gefängnissen referiert und darüber, welche Konsequenzen sein Ministerium gezogen hat. Da will Toni Schuberl von den Grünen es ganz genau wissen: Wer im Ministerium, fragt er, hat Kenntnis gehabt von der Mail der Anstaltsärztin, die in einer Mail ans Justizministerium im Oktober 2023 erstmals von Missständen in der JVA berichtet hat? Warum wurde der Justizminister nicht informiert? Und ist er überhaupt schon mal bei Beschwerden gegen Führungspersonen von bayerischen Justizvollzugsanstalten direkt informiert worden?
Es ist der Moment im Rechtsausschuss des bayerischen Landtags, in dem Minister Eisenreich im ersten Moment wortkarg wird, als er am Donnerstag Rede und Antwort steht über die Ermittlungen in der JVA Gablingen. Bereits vergangene Woche betonte der Minister, dass sein Haus früher auf die Vorwürfe hätte reagieren müssen, wonach es tätliche Übergriffe auf Häftlinge gegeben haben soll, wonach Inhaftierte ohne die dafür nötigen Voraussetzungen in besonders gesicherten Hafträumen untergebracht worden seien.
Nun kündigt er im Ausschuss an, die statistische Erfassung zu verbessern, die Meldewege, immer wieder geht er auch auf die Rolle der vorläufig suspendierten stellvertretenden Leiterin ein, die im Fokus der Ermittlungen steht. Sein Fazit, dass nichts vertuscht worden sein, will etwa der Abgeordnete Schuberl aber so nicht stehen lassen: „Zu sagen, es ist nichts vertuscht worden, ist Hohn, weil es nicht stimmt. Es ist vertuscht worden, mindestens von der JVA.“
Die Zahl der Beschuldigten ist auf 16 Bedienstete der JVA Gablingen angewachsen, inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg auch gegen drei Mitarbeiter wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung – sie sollen in den vergangenen Tagen Unterlagen geschreddert haben, die möglicherweise Beweise enthalten. Die Affäre um die JVA Gablingen hat sich, zumindest nach Ansicht der Opposition, auch zur Affäre des Justizministeriums ausgeweitet. Wobei zumindest das Krisenmanagement des Justizministers seit der ersten Durchsuchung und den ersten Medienberichten über die mutmaßlichen Misshandlungen von Häftlingen vor zwei Wochen mehrheitlich begrüßt wird.
Die Beschuldigten sind vorläufig suspendiert, gegen sie ist ein Betretungsverbot für die JVA ausgesprochen worden. Die JVA-Chefin, gegen die nicht ermittelt wird, ist ebenfalls freigestellt worden, um die Ermittlungen zu erleichtern und weil der Verdacht besteht, dass sie zu oft im Home-Office gearbeitet hat. Der Justizminister hat eine Taskforce in seinem Haus eingerichtet, die sich täglich trifft, um die internen Untersuchungen voranzutreiben. „Ich bin fest entschlossen, den Justizvollzug in besonders grundrechtssensiblen Bereichen besser aufzustellen“, sagt Eisenreich.
Dass der Justizvollzug hier offenbar bislang nicht gut aufgestellt ist, nicht nur in Gablingen, wird schon allein an der mangelnden statistischen Erfassung von Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen sichtbar. 104 solcher Räume gibt es in bayerischen Gefängnissen, fünf davon in Gablingen, bei insgesamt 11 500 Haftplätzen im Freistaat. Wer aber wann und wie lange sowie unter welchen Umständen dort untergebracht wird, wird nicht automatisch erfasst.
Das soll sich ändern, auch mit einem eigens für Fragen über grundrechtssensible Bereiche eingerichteten Referat im Ministerium. Eine interdisziplinäre Kommission bestehend aus Juristen, Ärzten und Praktikern aus dem Strafvollzug soll Regeln für Unterbringungen in speziellen Hafträumen erstellen. „Wir brauchen einheitliche Leitlinien“, sagt Eisenreich, auch weil der Anteil von psychisch kranken Gefangenen steige.
Der Minister hat in den vergangenen Tagen selbst die JVA Gablingen besucht, er hat auch mit Personalern gesprochen und eine Sitzung mit allen bayerischen JVA-Anstaltsleitern anberaumt. Die Berichtspflichten wurden verschärft, der Minister hegt nach den Gesprächen auch „große Sympathie“ dafür, Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen ab einer gewissen Dauer unter richterlichen Vorbehalt zu stellen. Es ist eine Maßnahme, die zahlreiche Strafverteidiger schon lange fordern.
Zu Auswüchsen, wie sie für Gablingen im Raum stehen, wäre es so wohl nie gekommen. Vielleicht aber auch nicht, wenn die stellvertretende Anstaltsleiterin dort Anfang 2023 nicht ihren Dienst angetreten hätte. Eisenreich zitiert gleich mehrere Statistiken, womit sich die Lage für Häftlinge in dem Gefängnis mit ihrem Amtsantritt offenbar rapide verschlechterte. So sei die Anzahl der Unterbringungen in besonders gesicherten Hafträumen von 2022 auf 2023 von 59 auf 126 angestiegen. Auch die Anzahl der berichtspflichtigen Unterbringungen von einer Dauer länger als drei Tage habe sich mit dem Amtsantritt der Vize-Chefin verdoppelt. Die Zahl der Beschwerden von Häftlingen sei seit ihrem Amtsantritt ebenfalls spürbar angestiegen, von 17 im Jahr 2022 auf 47 im Jahr 2023. Wobei Eisenreich betont, dass etwa die Gesamtzahl der Unterbringungen in der JVA Gablingen im bayernweiten Vergleich dennoch „im Rahmen“ geblieben seien.
Nachfragen aus dem Ministerium zu Unterbringungen in speziellen Hafträumen, etwa nach der Beschwerdemail der Anstaltsärztin im Oktober 2023, habe die Leitung der JVA Gablingen stets zurückgewiesen. „Ob diese Stellungnahmen wahrheitsgemäß waren, ist Gegenstand der Ermittlungen“, sagt Eisenreich. Auffällig sei, dass sich die Zahl der Meldungen über Unterbringungen aus der JVA von Zahlen, die dem Justizministerium anderweitig vorliegen, unterscheiden. Es könne der Eindruck entstehen, dass Mitarbeiter der JVA Experten des Justizministeriums, aber auch Kontrolleure der nationalen Stelle zur Verhütung von Folter getäuscht haben könnten.
Dass Minister Eisenreich seine Rolle in der Affäre schönredet, dieser Eindruck drängt sich offenbar vor allem Toni Schuberl von den Grünen auf, der Eisenreich mehrmals ins Kreuzverhör nimmt. Es will ihm nicht in den Kopf, dass das Justizministerium den Chef nicht unterrichtet, wenn Ermittlungen gegen eine Führungskraft einer JVA eingeleitet werden. Indem das Justizministerium die Vorwürfe der früheren Amtsärztin im Jahr 2023 an die Staatsanwaltschaft Augsburg übergab, sei eben nicht wie vom Minister behauptet „das schärfste Schwert“ gezogen worden, schimpft Schuberl. Es höre sich vielmehr nach wegmoderieren an, wenn Eisenreich selbst nicht informiert worden sei. Auch der SPD-Rechtsexperte Horst Arnold kritisiert: „Hier wurden sämtliche Alarmsignale missachtet.“