Justizvollzug:Integration hinter Gittern

Lesezeit: 4 Min.

In den vergangenen zwei Jahren ist der Anteil der Flüchtlinge unter Bayerns Häftlingen stark gestiegen. Das verändert die Arbeit in den Gefängnissen, wie ein Blick in die Jugendstrafanstalt in Ebrach zeigt

Von Christoph Söller, Ebrach

Es ist nur ein kleiner Raum, spärlich möbliert, wenig Licht. An dem kleinen Tisch sitzt ein junger Syrer. Das lockige schwarze Haar hat er lässig nach hinten gekämmt, er trägt einen schwarzen Bart und manchmal blitzt ein Grinsen auf. Der junge Mann, der sich Gano nennt, aber eigentlich anders heißt, floh im Jahr 2011 mit seinen Eltern nach Deutschland, ins Allgäu. Seit zwei Jahren sitzt er im Gefängnis. Gano, 21, habe nach seiner Flucht nach Deutschland "zu spät begriffen, wie es läuft", gesteht er. "Ich kannte die Regeln nicht." Jetzt ist er inhaftiert, zwei Jahre muss er noch absitzen, aber eine vorzeitige Entlassung sei möglich. In fünf Monaten könnte er die Strafanstalt verlassen. Auch wenn seit seiner Ankunft einiges schief ging, ist er dankbar, in Deutschland zu sein. "Wenn ich in Syrien geblieben wäre, müsste ich jetzt gegen den IS kämpfen", sagt er. Das sei auch nicht besser.

270 junge Männer verbüßen derzeit ihre Strafe im oberfränkischen Ebrach. Im Zentrum des beschaulichen Ortes zwischen Bamberg und Würzburg steht das Gefängnis, ein schlossartiges, ehemaliges Zisterzienserkloster aus der Barockzeit. Hinter den dicken Mauern sind Straftäter zwischen 17 und 24 Jahren inhaftiert. Räuber, Gewalttäter, Mörder. Seit 2016 sind vermehrt Straftäter aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Afrika darunter, die als Flüchtlinge nach Deutschland kamen.

Draußen wartet Ganos Verlobte auf seine Rückkehr. Er hat ihr gesagt, sie solle ihn nicht mehr besuchen. Die Treffen waren aufwühlend, sagt er. Er wolle sie nicht leiden sehen, sich nicht mehr zu sehen, sei besser. Aus Selbstschutz. Die Gefängnisleitung hat dieses Gespräch organisiert, ein Psychologe sitzt dabei, es gibt klare Regeln. Gano darf nicht darüber reden, warum er in Haft ist, um die Opfer zu schützen, aber seine Strafe ist vergleichsweise hoch.

Mehr als zwei Drittel der Insassen sind wegen Gewaltdelikten verurteilt. Der Anteil ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Etwa 40 Prozent der Gefangenen entstammen Einwandererfamilien, 27 Flüchtlinge sind unter ihnen. Und weil der Anteil der Religionslosen stetig steigt, sind die Muslime mit 31 Prozent inzwischen die größte Glaubensgemeinschaft im Gefängnis von Ebrach.

Gerhard Weigand, 57, leitet die Justizvollzugsanstalt seit acht Jahren. Die Gefangenen aus dem arabischen Raum hätten die Arbeit im Gefängnis verändert. "Bis 2015 hatten wir hauptsächlich Gefangene aus Europa. Die kulturellen Kenntnisse und Gewohnheiten der Gefangenen haben sich seitdem gewandelt. Die Angestellten sind mit neuen Problemen konfrontiert. Darauf müssen wir unsere Mitarbeiter vorbereiten", sagt Weigand.

Hinter den dicken Mauern des ehemaligen Zisterzienserklosters Ebrach sind zurzeit 270 junge Männer inhaftiert. (Foto: Christoph Söller)

Die größte Schwierigkeit sei die Kommunikation. Die jungen Geflüchteten sprechen kaum Deutsch, viele Gewohnheiten sind ihnen fremd. Die interkulturelle Kompetenz ist inzwischen Teil der Ausbildung für die Mitarbeiter. Sie lernen, wie man mit Gefangenen aus dem arabischen Raum und Afrika umgehen muss, wie man Sprachbarrieren überwindet. Die Mitarbeiter in Ebrach behelfen sich mit Bildwörterbüchern und Englisch; Dolmetscher gibt es höchstens im Aufnahmeverfahren. "Wir versuchen, die Gefangenen so schnell wie möglich sprachlich so fit zu machen, dass die grundlegende Verständigung im Vollzugsalltag funktioniert", erklärt Weigand.

Maßgebend für den Umgang mit geflüchteten Gefangenen ist das bayerische Integrationsgesetz. Der Auftrag: Mit Migranten besonders intensive Deutsch- und Integrationskurse durchführen. Aber weil weder im Justizministerium noch im Sozialministerium jemand erklären konnte, wie ein Integrationskurs genau auszusehen hat, mussten die Mitarbeiter in der JVA Ebrach ein eigenes Konzept entwerfen. Jetzt gibt es Alphabetisierungs- und Sprachkurse auf verschiedenen Niveaus und Kurse mit integrativen Inhalten. Also was typisch deutsches Essen ist, wie Mülltrennung funktioniert, die Rolle der Frau und deutsche Rechtsstaatlichkeit.

Anton Götz ist Ausbildungsberater im Gefängnis, zuständig für die berufliche Bildung der Gefangenen. Der Jugendstrafvollzug setzt vor allem auf Weiterbildung und Resozialisierung. 17 verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten gibt es in Ebrach. Die Gefangenen können eine Lehre machen zum Bäcker, zum Kfz-Mechaniker, zum Schreiner. Das Ziel: Bereit sein für ein Leben nach der Haft. Die Arbeit mit den Geflüchteten sei "mühsam", gibt Götz zu, die meisten sind mit Handwerksberufen vorher nie in Kontakt gekommen. Viele tun sich schwer mit Mathematik und mit Fachbegriffen, die sie in einer Ausbildung brauchen. Aber bei vielen gebe es eine hohe Motivation, deutsch zu lernen und einen Beruf zu erlernen. "Wir müssen die Leute da abholen, wo sie sind, wir dürfen sie nicht überfordern, das frustriert sie nur."

Die Flüchtlinge sind keine homogene Gruppe, Pauschalisierungen wären falsch und ungerecht. Manche sind traumatisiert von ihren Erlebnissen aus der Heimat oder von ihrer Flucht, andere hoch motiviert, sich zu integrieren, auch Verhaltensauffällige sind unter ihnen. Für die meisten gilt: Sobald sie einige Monate in der Ausbildung sind, erkennen sie den Wert von Arbeit, sie haben ein Ziel, dann "erkennt man richtig einen Reifeprozess", sagt Götz. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass häufig die Zeit im Gefängnis nicht ausreicht, um die Ausbildung oder einen Schulabschluss zu Ende führen zu können.

Gano kam als Flüchtling aus Syrien. Er habe "zu spät begriffen, wie es läuft", sagt er. (Foto: Christoph Söller)

Gano sitzt seit mehr als zwei Jahren in Ebrach ein. Wirklich nutzen konnte er die Zeit nicht. Eine Ausbildung oder einen Schulabschluss hat er nicht, weil Papiere und Genehmigungen fehlten. Das häufigste Problem bei geflüchteten Gefangenen ist die ungeklärte Identität. Erst wenn klar ist, mit wem es die Behörden wirklich zu tun haben, können Geflüchtete auch Schul- und Ausbildungsabschlüsse erlangen. Die Sprache hat Gano in Deutschland auf der Straße gelernt, von und mit anderen Migranten, erzählt er. Weil er keine Ausbildung beginnen durfte, übernahm er Putzdienste im Gefängnis, war Hilfsarbeiter in der Küche und schnitt auf dem Gang den anderen Jungs die Haare. "Am liebsten würde ich noch einen Hauptschulabschluss machen", sagt er. Die Genehmigung hat er inzwischen und um den Abschluss zu schaffen, würde er sogar freiwillig zwei Monate länger bleiben, falls er vorzeitig entlassen werden sollte.

Wie viele freigelassene Geflüchtete rückfällig werden, wissen sie in Ebrach nicht, noch gibt es keine Langzeitstudien. Für die gesamte JVA liegt die Rückfallquote für die Jahre 2012 bis 2016 bei etwa 25 Prozent, für Direktor Weigand ein "grandioser Wert". Er hänge auch mit dem Fachkräftemangel in Deutschland zusammen. Die Ausbildungsberufe, die die Gefangenen in der Haft erlernen, sind gefragt, die meisten Handwerksbetriebe tun sich schwer, junge, gut ausgebildete Leute zu finden. Wenn ehemalige Häftlinge in einem Beruf und so auch in der Gesellschaft ankämen, sinke die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder eine Straftat begingen.

Gano würde am liebsten eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker machen. Er weiß, dass er es schwer haben wird. "Wenn ich darum kämpfe, vielleicht, kann ich es dann schaffen", sagt er. Sobald er draußen ist, will er seine Mutter und seine Verlobte besuchen. Und er will sich mit Freunden verabreden, den neuen Lebensabschnitt feiern. Wie gut er sich zurecht finden wird, wenn er das Gefängnis verlassen darf, ist ungewiss. Eine Nachbetreuung ist gesetzlich nur vorgesehen bei Gefangenen, die eine Sozialtherapie abschließen. Auf Gano trifft das nicht zu. Aber die Vorfreude, die spürt er jetzt schon. "Im Gefängnis kommt man zu sich", sagt er und lächelt kurz.

Dieser Text stammt von jetzt, der jungen Webseite der SZ. Unter www.jetzt.de finden sie täglich junge Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Leben, Uni, Pop- und Netzkultur.

© SZ vom 23.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: