Süddeutsche Zeitung

Justizkrimi:Gericht: "Tannöd" ist kein Plagiat

Das Ende eines Justizkrimis: Der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung gegen die Bestsellerautorin Andrea Maria Schenkel, die die Morde von Hinterkaifeck literarisch verarbeitete, ist entkräftet.

Hans Kratzer

Das Landgericht München I beurteilt die im Streit um den Bestseller "Tannöd" erhobenen Plagiatsvorwürfe gegen die Autorin Andrea Maria Schenkel, 45, als nicht gerechtfertigt. Nach Einschätzung des Vorsitzenden Richters der 21.Zivilkammer, Thomas Kaess, lässt sich die Behauptung des Journalisten Peter Leuschner, Schenkel habe seine Urheberrechte verletzt, nicht bestätigen.

Kaess regte in der mit Spannung erwarteten Verhandlung am Mittwoch an, Schenkel und Leuschner sollten sich außergerichtlich einigen. Und zwar in der Weise, dass in künftigen Neuauflagen von "Tannöd" ausführlicher als bisher auf Leuschners Bücher hingewiesen werde. Da die streitenden Parteien die Chance auf eine solche Einigung verstreichen ließen, wird das Gericht am 21. Mai seine Entscheidung verkünden.

Leuschner, der 1978 und 1997 die auch von Schenkel thematisierten Morde von Hinterkaifeck in eigenen Büchern dargestellt hatte, wirft der aus Nittendorf bei Regensburg stammenden Autorin vor, sie habe Teile ihres Buchs "Tannöd" von ihm abgeschrieben. Er fordert deshalb Schadenersatz.

"Aus der Luft gegriffen"

Wie bei der Verhandlung bestätigt wurde, beträgt der Streitwert 500.000 Euro. Leuschner, 60, besteht außerdem darauf, dass die Verbreitung des Kriminalromans gestoppt und alle noch verfügbaren Exemplare von "Tannöd" vernichtet werden. Nach Angaben des Verlages wurde das Buch bisher mehr als 550.000 Mal verkauft. Die Autorin bekam dafür den Deutschen Krimipreis und viele weitere Auszeichnungen.

Leuschners Vorwurf lautet unter anderem, Schenkel habe die Charaktere ihrer Figuren von ihm abgekupfert. Sie wiederum weist die Vorwürfe als "aus der Luft gegriffen" zurück und erklärt, sie habe die einschlägigen Passagen selbst recherchiert. Sowohl "Tannöd" als auch Leuschners Bücher "Hinterkaifeck. Deutschlands geheimnisvollster Mordfall" (1978) und "Der Mordfall Hinterkaifeck" (1997) beschäftigen sich mit einer wahren Tragödie aus dem Jahr 1922. Ein bis heute unbekannter Mörder brachte damals auf einem oberbayerischen Einödhof in bestialischer Manier sechs Menschen um.

In der Verhandlung ging es vor allem um die Frage, ob einige Passagen in Leuschners Darstellung aus dem Jahr 1997 urheberrechtlich geschützt sind. Der Fokus liegt dabei auf den ersten 40Seiten des Buches, die er in "erzählerischem, romanhaften Stil" geschrieben habe, wie Leuschners Anwälte Hans Nüsslein und Günter Poll sagten. Die Anwälte betonten in der Verhandlung mehrmals, dass Leuschner als erster Autor überhaupt die Reihenfolge des Mordgeschehens geschildert habe, was sie als einen schützenswerten Detailbereich des Urheberrechts werteten. Der Vorsitzende Richter Kaess entgegnete, diese Reihenfolge begründe auf keinen Fall eine urheberrechtliche Schutzfähigkeit.

Das Gericht prüfte vor allem die Frage, ob Schenkel Wendungen und Passagen Teile übernommen habe, die auf die freie Schöpfertätigkeit Leuschners zurückgehen. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Übernahme von konkreten Formulierungen aus Leuschners Buch "hier nicht vorliegt", wie Kaess sagte. Den größten Raum in der Verhandlung nahmen schließlich jene 18Details ein, die auffällig bei beiden Autoren auftauchen, etwa die Beobachtung des Bauers, dass Fußspuren im Schnee zu seinem Hof hin-, aber nicht wegführten, oder die Schilderung, dass die Magd einen Luftzug bemerkt habe, bevor sie vom Mörder erschlagen wurde. Das habe Schenkel von ihm abgeschrieben, sagt Leuschner.

Objektive Zeugnisse

Das Gericht sah es jedoch nicht als erwiesen an, dass diese Details eine originäre schöpferische Leistung Leuschners seien. Eine Urheberrechtsverletzung sei nicht gegeben, weil sich der Ablauf der Mordtat und eine Fülle von Details aus einer Fülle von objektiven Zeugnissen und Berichten ergebe.

Die Reihenfolge der Morde sei auch aus Polizeiakten zu ersehen, die atmosphärische Düsternis auf dem Hof sei ebenfalls objektiv verbürgt. Leuschner habe keine schutzfähigen Fakten vorgelegt, auch seien die Details "keine stark prägenden Elemente" seines Buchs. Eine besondere schöpferische Note von seiner Seite sei nicht zu erkennen.

Gleichwohl bestätigte das Gericht, dass Leuschners Buch wohl eine "wesentliche Vorlage" für die Autorin Schenkel gewesen sei. Kaess schlug deshalb vor, Leuschner eine breitere Würdigung in Schenkels Buch einzuräumen.

Leuschner und seine Anwälte blieben dabei, Schenkel habe abgekupfert. Andrea Maria Schenkel wiederum strahlte: "Ich fühle mich bestätigt. Es ist kein Plagiat." Leuschner sagte, er habe naiv geglaubt, dass Abschreiben verboten sei. Er bezeichnete es als Unverschämtheit, dass Schenkel bei den Lesern den Eindruck erwecken wollte, ihr Buch sei "ganz allein in ihrem Kopf entstanden".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.290639
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.02.2008/grc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.