Es sind nicht unbedingt spektakuläre Fälle, über die Helmut Berger verhandelt. Ein Rentner, der mit einem Betonklotz eine Ladentür blockiert hat. Ein Anwalt, der seinem Mieter in die Hand gebissen hat. Ein Diebstahl im Supermarkt, eine Traktorfahrt ohne den passenden Führerschein. Berger entscheidet am Amtsgericht Wolfratshausen über Schuld und Unschuld, aber da ist immer noch mehr - Angeklagte reden über ihre Tat, und für einen Moment blickt Berger in ihr ganzes Leben.
Im Sitzungssaal 1. Da ist zum Beispiel der Zimmermann, der für Tausende Euro Werkzeug einkaufte und dann die Rechnung nicht bezahlte. Er sitzt neben seinem Anwalt und weint, er hat ohnehin schon hohe Schulden. Berger mustert den Mann, 27 Jahre alt. "Ich weiß nicht, was Ihre Frau sagt, wenn wir Sie einsperren" - "Ich hätte dann keine Frau mehr." Stille. Die Schriftführerin tippt, auch Berger schreibt mit, in das Strafgesetzbuch neben ihm aber schaut er kein einziges Mal. Er macht den Job seit zwanzig Jahren, in Wolfratshausen.
Das Amtsgericht ist eines von mehr als 600 in Deutschland, die Verhandlungen an solchen Gerichten gehen selten in die Rechtsgeschichte ein, werden nicht in der Tagesschau gezeigt wie die Prozesse gegen frühere Chefs großer Banken oder gegen den Nationalsozialistischen Untergrund. Diese Prozesse aber haben wenig mit dem Leben der meisten Menschen in diesem Land zu tun.
Die von Helmut Berger schon. Er gibt vor, welcher Fehltritt zu verzeihen ist und welcher zu ahnden, er urteilt über den Streit mit dem Nachbarn oder den Betrug am Flohmarkt. Berger ist nicht nur eine richterliche Instanz, sondern auch eine moralische. Den Zimmermann wird er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilen, zur Bewährung ausgesetzt - und er wird ihm noch einmal ins Gewissen reden. Auch der Kleptomanin, die schon wieder gestohlen hat. Dem Anwalt, der gebissen hat.
"Schalten Sie beim nächsten Mal bitte Ihr Gehirn ein", sagt er zu dem. Trotz seiner Appelle sitzen viele dann wieder vor ihm. Manchmal schon nach Wochen, nach Monaten. Manchmal treffen sie sich auch erst nach Jahren wieder. Im Sitzungssaal 1.
