Noch bevor der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der sogenannten Labor-Affäre im Landtag überhaupt eingesetzt ist, werden immer neue fragwürdige Sachverhalte bekannt. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung hat es die Staatsanwaltschaft Augsburg im Jahr 2008 zugelassen, dass etwa 600 000 Laborkarten geschreddert werden konnten. Sie hätten den Ermittlern womöglich Rückschlüsse auf betrügerische Ärzte erlaubt.
Seit 2006 war die "Soko Labor" beim bayerischen Landeskriminalamt in einem Großverfahren Ärzten auf der Spur, die bei der Abrechnung von Laborleistungen betrogen haben sollen. Ihr Geschäftspartner war der Augsburger Labor-Unternehmer Bernd Schottdorf. Die Justiz sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Ärzte geschont zu haben.
Brisanter Zufallsfund
Mitte November 2008 führten die Ermittlungen gegen Schottdorf und sein Unternehmen die bayerischen Kriminalbeamten in ein Labor nach Bochum, das zum Wirkungskreis des Unternehmers zählte. Sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss dabei, Polizeibeamte aus Bochum unterstützten die Fahnder aus Bayern. Im Büro einer leitenden Angestellten, auf deren Schreibtisch, machten sie eine interessante Entdeckung: Anforderungskarten für Laboruntersuchungen. Darauf haben die Ärzte unter anderem angeben können, welche Untersuchungen sie wünschten. Ein Zufallsfund, denn danach hatten die Ermittler bei dieser Aktion eigentlich nicht gesucht. Deshalb wird später die Frage interessant, ob es noch eines zusätzlichen Beschlagnahmebeschlusses bedürfe.
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Die bayerische Justiz wehrt sich gegen Vorwürfe, angeblich massenhaften Betrug mit unzulässig abgerechneten Laborleistungen durch Ärzte nicht energisch genug verfolgt zu haben. Die Landesärztekammer will nun eigene Ermittlungen einleiten.
Aber einer der Ermittler aus Bayern war sich sicher, hier auf wichtige Informationen gestoßen zu sein. Sie hatten Ärzte im Visier, die Blutproben ins Labor schickten, sie aber bei ihren Patienten in Rechnung stellten, als hätten sie sie selbst untersucht - mit teils großen Gewinnen für sich. In einem Aktenvermerk, der der SZ vorliegt, notierte der Beamte, dass die Laborkarten "essenziell" seien, hierüber ließen sich die Ärzte feststellen, die möglicherweise falsch abrechneten. In dem Vermerk hielt er auch fest, dass diese Karten "lediglich drei Monate aufgehoben und anschließend vernichtet" würden. Deshalb hatte er sich auch entschieden, alle Laborkarten sicherzustellen, nicht nur die paar vom Schreibtisch, sondern: 600 000 Stück.
Nicht schon wieder ein neues Fass aufmachen
Die Soko stöhnte ohnehin schon, dass sie mit ihrem wenigen Personal kaum noch die Arbeit bewältigen könne. Etwa ein halbes Jahr zuvor hatte die Soko acht Mitarbeiter für andere Aufgaben abgeben müssen, seither waren die Ermittler nur noch zu fünft. Jetzt kam noch eine Lkw-Ladung an Laborkarten dazu. Wie aus internen Unterlagen hervorgeht, muss die Sicherstellung intern für erheblichen Ärger gesorgt haben. Ein Vorgesetzter sei jedenfalls "außer sich vor Wut" gewesen, es müsse "nicht schon wieder ein neues Fass aufgemacht" werden, notierte ein Ermittler seine Erlebnisse. Ein anderer hielt schriftlich fest, ein Vorgesetzter hätte ihm bedeutet, dass es bei anderen Durchsuchungen "zu keinen weiteren Zufallsfunden zu kommen hat". Die Laborkarten lagerten vorerst in Bochum. Es ging um die Frage, wie man mit dem Fund weiter umgeht.
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Etwa zwei Wochen nach der Durchsuchung meldete die Staatsanwaltschaft Augsburg im Gespräch mit Soko-Mitarbeitern Bedenken an. Der Durchsuchungsbeschluss reiche für die Sicherstellung der Unterlagen in Bochum nicht aus. Wenn die Staatsanwaltschaft München I, die Teilkomplexe im Schottdorf-Verfahren bearbeitet, "kein Interesse an den Unterlagen bekundet beziehungsweise sich nicht um einen richterlichen Beschluss bemüht", müssten die Unterlagen wieder herausgegeben werden, heißt es in einem Besprechungsprotokoll. So kommt es dann auch. In einer Verfügung der Staatsanwaltschaft Augsburg kurz vor Weihnachten 2008 wird angeordnet, dass die Laborkarten "unverzüglich" herauszugeben seien. Von der Polizei landen sie schließlich direkt im Schredder, "unrekonstruierbar vernichtet", heißt es in den Unterlagen.
Für Florian Streibl, den parlamentarischen Geschäftsführer der Freien Wähler, steht fest: "Dieser Vorgang ist in jedem Fall Thema für den Untersuchungsausschuss." Er nennt den Umgang mit möglichen Beweismitteln "äußerst bedenklich" und fordert Aufklärung. Das gilt auch für die Frage, warum die Staatsanwaltschaft Augsburg Anfang 2009 Verfahren gegen knapp 150 Ärzte einstellte. Die Staatsanwaltschaft Augsburg konnte nach eigenen Angaben keinen Betrug erkennen. Dabei war die Rechtslage alles andere als eindeutig. Und: Die plötzliche Einstellung widersprach der Strategie, zunächst das Musterverfahren gegen einen Münchner Arzt abzuwarten. Und der wurde 2010 immerhin verurteilt. Wegen Betruges.